Lauscht und staunt

Heidelberger Frühling feiert den 100. Geburtstag von György Ligeti

Ereignisreiche Konzerte und überwältigende Orgelmusik: Das Konzert ist Teil von vier Programmschwerpunkten.

06.04.2023 UPDATE: 06.04.2023 06:00 Uhr 3 Minuten
Experten für Zeitgenössisches zu Gast in Heidelberg: Péter Eötvös dirigiert das Klangforum Wien in der Neuen Aula. Foto: studio visuell

Von Jesper Klein

Heidelberg. Improvisieren muss man können. Als mitten hinein in die expressivsten Momente der Solokadenz von György Ligetis Violinkonzert ein Handy dudelt – und dann auch noch Mozarts Alla-Turca-Rondo! – ist das schon bitter, auch für den Solisten Barnabás Kelemen. Der hat aber die richtige Antwort parat: Er greift das Motiv mit grimmigem Ton auf und führt das Stück mit Bravour zu Ende. Chapeau! Das Publikum in der Aula der Neuen Universität ist begeistert, und das liegt sicher nicht nur an dieser kleinen Einlage.

Zwar ist die Empore heute gesperrt, doch das Interesse an Ligetis Musik ist groß. Schließlich kommt ein Weltklasseensemble der zeitgenössischen Musik wie das Klangforum Wien nicht oft nach Heidelberg, zumal mit einem so renommierten Dirigenten und Komponisten wie dem Ungarn (und Landsmann Ligetis) Péter Eötvös. Es ist einer jener Abende, mit denen sich ein Festival wie der Heidelberger Frühling überregional profilieren kann. Péter Eötvös in Heidelberg? Dafür reisen die Kenner der Szene an.

Das Konzert ist Teil von vier Programmschwerpunkten: "Ligeti 100", "Trans- und Interkulturelles", "Visionäre" und "Ideale Ensembles". Das steht sinnbildlich für die Suche des Festivals nach seinem Thema. In diesem Jahr streift der "Frühling" einiges, hat aber mit dem Motto "Zusammen" keinen programmatischen roten Faden. Den bilden laut Festival "Ideale und idealistisch gesinnte Teamkonstellationen engagierter Individuen". Nun ja, das meint wohl Ensembles wie das Klangforum.

Die Experten für Zeitgenössisches zeigen mit vier charakterlich verschiedenen Konzerten von Ligeti ihre Klasse – eines für Kammerbesetzung und die drei Solokonzerte für Violine, Cello und Klavier. Im Violinkonzert hebt sich die Geige schon durch ihr Spiel in hoher Lage ab. Zunächst stolpert sie zusammen mit der Percussion ziellos umher, während die Streicher das Grundrauschen beisteuern.

Dann singt Barnabás Kelemen mit viel Vibrato auf der Geige eine so zart schmelzende Arie, dass man sich fast mehr solch sinnlicher Momente in der zeitgenössischen Musik wünscht. Am Ende geht es virtuos zur Sache. Schon in der ersten Hälfte bietet das Klangforum ein aufregendes Erlebnis.

Das liegt auch an den genialen Werken Ligetis, in denen eine gute Portion Humor steckt! Péter Eötvös steuert das Ensemble mit akkuraten Zeichen, die nötig sind, um die Klangeffekte mit höchster Präzision zu erzeugen. Manchmal kann sich der Hörer nicht sicher sein, auf welchen Instrumenten gerade gespielt wird, so verfremdet klingen sie. Woher kommt etwa das pfeifenhafte Heulen, das mit einem Schlag zur Stille verdonnert wird? Wie herausragend gut dieses Ensemble aufeinander abgestimmt ist, merkt man gerade an solchen Phrasenenden. Hier wackelt gar nichts.

Ganz anders klingt das Cellokonzert nach der Pause (mit László Fenyö als Solist). In kleinerer Besetzung, viel leiser und langsamer ziehen feine Klangwolken vorüber. Im Klavierkonzert bricht schließlich das Chaos aus. Zoltán Fejérvári lässt das Instrument wunderbar angeheitert und energisch in Clustern sprechen. Mit mehreren parallelen Rhythmen geht es teils hochkomplex zur Sache, worauf schon die übergroße Partitur hindeutet. Das Publikum dankt dem begeisternden Duo Eötvös/Fejérvári mit lang anhaltendem Beifall.

Schon am Nachmittag hat der Ligeti-Tag in der Jesuitenkirche einen außergewöhnlichen Einstand. Kantor Markus Uhl kombiniert an den beiden Orgeln der Kirche Bach und Ligeti, auch wenn Letzterer nur drei Werke für das Instrument geschrieben hat. Uhl nennt sie Etüden für die Ohren. In "Étude 1: Harmonies" sind die Finger des Organisten gleichsam an den Tasten und den Registern gefordert, weshalb das Stück eigentlich einen weiteren Spieler erfordert.

Uhl stemmt es allein, indem er Bleigewichte auf den Tasten platziert und umlegt, während er an den Registern die eigentliche Klangarbeit leistet. Der Musiker wird zum Maschinisten. Die kleine Chororgel singt und pfeift wie eine Lokomotive, am Ende zischt nur noch ein feiner Luftstrom.

In "Volumina", einem Schlüsselwerk der Moderne, gilt es dann, das Maximum aus der Hauptorgel herauszuholen. Zwei Drittel der Register sind gezogen, alle Tasten gedrückt. Dann donnert es los. So manch ein Instrument, erzählt man sich, ist daran schon zugrunde gegangen. Die Wirkung ist überwältigend. Mal peitschen Stürme in Clustern auf, mal strömt ein metallisches Sirren durch die Kirche. All das schrieb Ligeti grafisch, also ohne Noten, in die Partitur. Dass mit dieser Grenzen überschreitenden Musik nicht jeder warm wird, liegt sicher auch an den frostigen Temperaturen in der Jesuitenkirche.

Als Zugabe eine schöne Neuschöpfung: Uhl verschmilzt die Tonbuchstaben B-A-C-H mit den für Ligeti typischen Clustern und verändert den Sound an den Registern. Am Ende spielt die Königin der Instrumente fast ganz von selbst, und Uhl deutet stolz auf seine Klanginstallation: Lauscht und staunt!

Was nimmt man mit von diesen ereignisreichen Konzerten am ersten Tag des Ligeti-Schwerpunkts? Der ein oder andere Klavierabend weniger und dafür mehr solcher Schritte auf unwegsames Terrain wagen – das würde dem Festival durchaus gut zu Gesicht stehen.

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