Die erste "Angie" war nur ein kleiner Chihuahua
Wenn die Kanzlerin in eine Stadt kommt, läuft eine Sicherheitsmaschinerie an - Klima-Aktivisten sah man lieber aus der Ferne

Das Grüppchen von "Fridays for Future" musste gestern Vormittag in größerer Entfernung der "Klima-Arena" protestieren. Foto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Warten auf die Ankunft der Bundeskanzlerin. Bereits am Wochenende waren Gerüchte über den Besuch zur Eröffnung der Klima-Arena in der Stadt kursiert. Als sie sich am frühen Montagmorgen erhärten, erfährt man aus Behördenkreisen, dass Angela Merkel zwischen 10 und 11 Uhr auf der Piste des Flugsportrings Kraichgau im Wiesental landen würde.
Sehr konkrete Angaben: Die Landung in Sinsheims viel zitierter "Grüner Lunge" erfolge mit einem Helikopter, Typ "Puma". Feuerwehrfahrzeuge und ein Krankenwagen würden hinzukommen, wohl erst zu einem Zeitpunkt kurz vor der Landung. Hierauf hin deutet am Montagvormittag lange nichts. Vor Ort ist lediglich ein Passant, der telefoniert. Ein Fahrzeug des Ordnungsamts der Stadt Sinsheim überwacht ein kurzfristig am Montagmorgen, 8 Uhr, angesetztes Halteverbot. Eine junge Frau führt drei winzige Chihuahua spazieren. Eins der Tierchen bleibt zurück. Die Frau ruft es beim Namen. Es heißt tatsächlich "Angie".
Doch da ist Angela Merkel schon angekommen: Gelandet am Baden Airpark und von dort weiter im Korso dreier gepanzerter Limousinen und mehreren Polizeimotorrädern.
Als der Besuch, der ganz offensichtlich unter Geheimhaltung stattfinden sollte, spätestens am späten Sonntagabend im Internet viral geht, entscheidet man sich offenbar für eine Planänderung. Über den dritten Autobahnanschluss und die Dietmar-Hopp-Straße ging es schließlich direkt zur Klima-Arena - eine deutlich sicherere Anreise als der Umstieg im Wiesental: Die topfebene Freifläche ist ziemlich genauso groß wie 100 Fußballfelder und von Schilf, Gebüsch und hohen Stadthäusern entlang der Hauptstraße gesäumt. Die 700.000 Quadratmeter Wiesen-, Sumpf- und Feldfläche gelten als unkontrollierbar. Nicht alle an der enormen Sicherheitslogistik Beteiligten werden über die Planänderung in Kenntnis gesetzt.
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Jedenfalls herrschte am gestrigen Montag Sicherheitsstufe eins in Sinsheim, bestätigt die Polizei Mannheim. Man will sich zu Details des Sicherheitskonzepts nicht in die Karten schauen lassen, sei mehr Ausführender als Planer. Ums Planen kümmert sich ein Stab des Bundeskanzleramts. Auch Bundeskriminalamt und Staatsschutz sind in Besuche dieses Kalibers eingebunden - auch in Landstädtchen, auch bei Geheimhaltung.
Was im Hintergrund läuft, das weiß man unter anderem vom Besuch Helmut Kohls - 1994 die vorerst letzte Kanzlervisite in Sinsheim. Damals, am 11. Oktober, kamen allerdings 3000 Zuhörer zur öffentlichen Kohl-Ansprache ins Technik-Museum. 160 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Behörden und Organisationen waren es am Montag.
Sowohl die Anreise der Kanzlerin und des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als auch das Auditorium selbst sind daher deutlich weniger risikobehaftet als beim Kohl-Besuch, der damals hinter Sicherheitsglas zu den Sinsheimern sprach. Dennoch: Die Gästelisten seien "frühzeitig und mehrfach überprüft worden", weiß ein Insider. Es gab etliche Sicherheitsbesprechungen, eine Überprüfung des An- und Abfahrtwegs auf explosive Stoffe. Das Krankenhaus ist auf einen Ernstfall vorbereitet.
Die Bevölkerung jedoch weniger auf den Besuch. Nur etwa zwei Handvoll Zaungäste sind bei der Ankunft vor der Klima-Arena versammelt. Einige treibt Neugierde, "etwas erleben, das es nie wieder gibt". Andere sind Bewunderer: "Sie will unser Bestes", heißt es aus dem Grüppchen Mitt- und Endfünfziger. "Überraschend gut ausgesehen hat sie", sagt einer der Herren. Einige winken. Merkel im orangen Jackett setzt zum Winken an, als ein Mann mittleren Alters ruft: "Frau Dr. Merkel, treten Sie zurück, Sie schaden unserem Land."
Gegen 12 Uhr tritt Angela Merkel ihre Rückfahrt an, gefolgt von Mäzen und Klima-Arena-Financier Dietmar Hopp, wenig später von Winfried Kretschmann. Merkel wird am Montagnachmittag zum Folgetermin bei einem Hersteller für Tunnelbohrsysteme in der Ortenau erwartet.
Was Merkel kaum mitbekommt, ist der Auftritt der Sinsheimer "Fridays for Future", weniger mit personen-, dafür mit lautstarkem Protest. In mehreren Presseberichten und Agenturmeldungen am Montagmorgen sei zu lesen gewesen, die Kanzlerin wolle "sich mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einem Rundgang über den Klimawandel, die Umwelt, erneuerbare Energien und Ressourcenschutz informieren".
Yushka Brandt, Aktivistin der örtlichen "Parents for Future", nennt dies "eine Farce". Die Kanzlerin habe 2015 beim UN-Klimagipfel in Paris schließlich gemeinsam mit 195 Staaten ein Abkommen gegen die Erderwärmung unterzeichnet, sagt Brandt, die noch am gestrigen Morgen eine Mahnwache beim Ordnungsamt angemeldet habe. "Und dann weiß sie nichts davon?" Einige der Jugendlichen schildern, sie hätten an der Klima-Arena "Baumpatenschaften abgeschlossen" und Bäume auf dem Gelände gepflanzt, nun seien sie enttäuscht und hätten sich "mehr Kooperation gewünscht". Yushka Brandt spricht von einer "Showveranstaltung".
Etwa 100 uniformierte Polizeibeamte und zahlreiche in Zivil sind im Umfeld der Klima-Arena postiert. Der Protest der rund 20 Jugendlichen muss mit etwa 100 Metern Abstand zum Geschehen stattfinden. Die Sicherheitsbehörden ordnen solche Distanzen mitunter an, um Attacken mit Farbbeuteln oder Eier-Würfe und damit entsprechend hässliche Pressebilder zu verhindern. Erbost zeigt sich daraufhin der Grünen-Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Sinsheim, Hermino Katzenstein: "Es ist ein Unding, dass man Kinder nicht durch lässt."