In den angegriffenen Wäldern bahnt sich ein bedenklicher Kreislauf an
Mildes Wetter, Pilze, Käfer, Sturm: Die Säfte steigen und die Sorgen auch

Von Tim Kegel und Armin Guzy
Sinsheim/Eppingen. Es ist Ende Februar und es war eindeutig zu mild. Knackige Frosttage oder gar -wochen sind ausgeblieben, mancherorts wurden im Kraichgau sogar 15 Grad Celsius plus und mehr gemessen. Und seit Orkan "Sabine" wehte es in den Nächten immer wieder ziemlich kräftig. Rund 2000 Festmeter Sturmholz sind dem Sturmtief im Eppinger Wald zum Opfer gefallen; etwa 1000 dürften es in Sinsheim sein. Im stark geschwächten Wald bahnt sich ein Fiasko an.
Die Förster sind alarmiert, können aber nur wenig tun. Noch immer kämpfen sie mit den Folgeschäden der letzten beiden extrem trockenen Sommer, holen tote oder kranke Bäume aus dem Wald und versuchen, Kahlflächen mit resistenteren Arten wieder aufzuforsten. Wirklich optimistisch sind sie nicht.
Die Beseitigung des Borkenkäferholzes könnte zur Daueraufgabe werden, schätzt Philipp Schweigler, als Forstbezirksleiter auch für die Sinsheimer Wälder zuständig. Das Schadholz aus dem vergangenen Frühjahr und Sommer sei inzwischen aus dem zentralen "Großen Wald" entfernt worden, nicht jedoch jenes aus dem Herbst: Hier seien "noch nicht alle Bäume gefunden".

Auch Michael Meny, Förster im Revier "Birkenwald" in Eppingen, sagt: "Wir sind nur am Hinterherlaufen." Aktuell bereiten ihm vor allem die abgestorbenen Buchen im Hardtwald Sorgen – einige Hundert Festmeter, die kaum aufzuarbeiten sind. Längst wurden örtliche Lohnunternehmen angeheuert, weil die Forstarbeiter der schieren Menge alleine nicht mehr Herr werden.
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Die Suche nach den bruchgefährdeten toten Bäumen werde die Förster wohl noch bis ins Frühjahr beschäftigen – und spätestens dann werden die Borkenkäfer wieder aktiv. Dass die Käferart bei kalter Witterung abstirbt, ist eine alte Fehlannahme, klärt Schweigler auf. Bei Kälte befänden sich Borkenkäfer lediglich in Winterruhe. Sie würden allerdings "umso früher aktiv, je milder es ist". Dies verstärke die Populationsentwicklung. Problematisch sei also nicht der ausbleibende Kältetod, sondern, dass Borkenkäfer sich länger fortpflanzen können.
"Der Vermehrungszyklus wird im Frühjahr entschieden", sagt auch Meny. Zwei Generationen seien normal, drei gefährlich und vier verheerend. Ein einziges Weibchen sorgt – Verluste eingerechnet – schon bei drei Zyklen für bis zu 100.000 Nachkommen; in Extremjahren mit vier Generationen können es 250.000 sein. Die Zahl der Käfer sei bereits jetzt "immens", sagt Meny. Trotz der vergleichbar milden Temperaturen im Januar sei es aber noch zu kalt: "Die Borkenkäfer werden jetzt noch nicht ,krabbelig‘", gehen also noch nicht auf Brautschau. Normalerweise tun sie das erst im März/April, wenn Temperaturen über 15 Grad herrschen, weiß Meny.
Doch die milden Januartemperaturen bringen noch weitere Probleme für die Förster. Beispielsweise begünstigen sie das Aufsteigen der Säfte im Baum. Diese enthalten Zucker, der wiederum Nährboden für Pilze und Bakterien ist. "Im Saft", also während der Vegetationsperiode gefälltes Holz, ist anfälliger für vielerlei Befall und Krankheiten als "außerhalb des Saftes", sagen die Förster. Der Effekt verstärkt sich, wenn ein Baum aus den Vorjahren geschwächt ist. Vereinfacht heißt das für Schweigler: "Das Holz geht schneller kaputt."
Extrem trockene Sommer und milde Winter schwächen den Wald, begünstigen die Entwicklung von Insekten oder – sobald es feuchter wird – von Pilzen und Bakterien, die sich dann besonders drastisch auswirken. Im Sinsheimer Wald sind – abhängig von Standorten und Böden – inzwischen nicht nur Fichten, sondern auch Eschen und Buchen durch Wassermangel, Insekten und Krankheiten gefährdet, worüber wir mehrfach berichtet haben. Eine Aufforstung, oft mit resistenteren Baumarten, tut dort not, wo sich Bestände nicht von selbst verjüngen oder größere Flächen gefällt werden mussten.
Hier wirkt sich jedoch ein weiteres komplexes Zusammenspiel aus: Wildtiere. Förster erwarten, dass Jungpflanzen mehr und mehr mit Zäunen oder sogar einzeln vor Reh-Verbiss geschützt werden müssen, was mit viel Arbeit und hohen Kosten verbunden ist. Größere Säugetiere, vor allem Rehe, aber auch Wildschweine, profitieren auf kürzere Sicht von milden Wintern und einem trockenen Frühling. Denn vor allem Nässe und Kälte sind es, die deren Nachwuchs dezimieren können. "Inzwischen finden sie bei uns ganzjährig optimale Lebensbedingungen", sagt Meny, der einer der Wildtierbeauftragten im Landkreis Heilbronn ist.

Der Ruf der Förster nach einer stärkeren Bejagung von Rehwild an Schonungen wird schon seit einiger Zeit laut, während Jäger ungünstige Rahmenbedingungen beklagen: Mehr Umtrieb im Wald und auf dem Feld sowie Freizeitbetrieb habe das Reh ortsweise vom tags- und dämmerungsaktiven "zum Nachttier werden lassen". Rehe effektiv zu bejagen sei hierdurch schwieriger geworden.
Weil Eicheln und Bucheckern im vergangenen Jahr nicht üppig auf die Waldböden fielen, ziehe es Wildschweine außerdem vermehrt auf die Felder, wo der Tisch für sie üppiger gedeckt ist. Sie gelten als geschickt und greifen dort zu, wo es am einfachsten ist. In Erinnerung sind vielen noch die "Grabungen" der Sauen auf Golfplätzen der Region, etwa im Januar letzten Jahres auf dem Golfplatz Buchenauerhof und in diesem Jahr auf der Anlage in Heinsheim. Mangels Frost hatten die Tiere leichtes Spiel. Ein aktueller Fall wurde in diesen Tagen im Dührener Gewann Kaisersberg gemeldet. Dort hatte eine Rotte Wildschweine weite Teile eines Felds mit jungem Weizen aufgebrochen, begünstigt durch die weiche Krume.
Auch Schweinen werde man als Jäger immer schwerer habhaft: Größer werdende Schläge mit Raps und Mais böten bessere Versteckmöglichkeiten. Oft reichten Äcker bis an die Waldkante, weshalb die Tiere ungehindert und nahezu unsichtbar zwischen Wald und Feld umherziehen könnten. Auch im Kraichgau treffe man Wildschweine zudem immer näher an Dörfern oder – wie zuletzt in Dühren – in unmittelbarer Nähe zu Bauernhöfen an.
Und auch die nach wie vor nicht üppigen Niederschlagsmengen bereiten den Förstern Sorgen. Wozu ein zu niedriger Grundwasserstand führen kann, sieht Meny beispielsweise auf dem ohnehin trockenen Schilfsandsteinboden im Hardwald. Vor allem die älteren Buchen kommen mit dem Wassermangel nicht mehr zurecht und sterben in großer Zahl ab. Zwei bis drei nasse Jahre braucht es nach Menys Schätzung, bis sich auch in den unteren Bodenschichten wieder genügend Wasser gesammelt hat, um das Defizit der beiden letzten trockenen Sommer auszugleichen. "Ich hoffe auf Regen", sagt Meny, "aber erst, wenn ich mein Holz aus dem Wald habe." Denn das ist ein weiteres Problem, über das sich dann erfahrungsgemäß die Waldbesucher wieder beschweren: Wenn es zu warm und außerdem zu nass ist, hinterlassen die Waldarbeiter mit ihren Maschinen tiefe und unschöne Furchen im weichen Waldboden. Aber das tote Holz müsse eben raus aus dem Wald, sonst findet der Borkenkäfer noch mehr Nahrung. Irgendwann wäre das Problem mit den Rückegassen dann natürlich auch erledigt, sagen die Förster. Denn: Auf Kahlflächen brauche man auch keine Rückemaschinen mehr.
"Wir kommen aus dem Schadholzmodus nicht mehr raus" – dieses ernüchternde Fazit hat jetzt der Sinsheimer Revierförster Dietmar Weiland von den Sturmwurfflächen im Großen Wald gezogen. Orkan "Sabine" sei "der fünfte Wintersturm in Folge" gewesen – danach wehte es regelmäßig kräftig. Stürme, Käfer und Pilze hätten bewirkt, dass Weiland sein rund 1000 Hektar großes Revier in nur 15 Monaten drei Mal durchkämmen musste. Über 600 Einzelpunkte mit Schäden seien aufzuarbeiten. Der Sturm werfe ein Schlaglicht auf den Pilzbefall – viele der abgebrochenen Bäume, darunter auch starke Buchen und viel Nadelholz, habe "starken Pilzbefall an der Wurzel".
Ein Teufelskreis. Die Gesamtentwicklung erlaube kein Durchatmen: Sowohl die Windwürfe als auch das Wetter bereiteten schon jetzt wieder "den idealen Nährboden" fürs nächste Borkenkäferproblem, fürchtet Weiland. Anzeiger für "einen bedenklichen Trend" sei auch, "dass bereits jetzt der Bärlauch sprießt".



