Nanine Linning verlässt die Tanzstadt - eine heftige Zäsur
Nanine Linning verlässt das Theater Ende der nächsten Spielzeit - Im Herbst plant sie mit ihrer Choreografie "Dusk" noch eine große Produktion

Im Malersaal des Heidelberger Theaters: Nanine Linning verlässt das Haus Ende der nächsten Spielzeit, Intendant Holger Schultze lässt sie nur ungern gehen. Foto: P. Rothe
Von Volker Oesterreich
Wenn es am schönsten ist, soll man zu neuen Ufern aufbrechen. Diesen Leitsatz hat sich Nanine Linning zu eigen gemacht. Ende der nächsten Spielzeit möchte die höchst erfolgreiche Leiterin der Dance Company das Heidelberger Theater verlassen. "Nicht aus Wut oder Überdruss, sondern weil die Kunst vom stetigen Wandel lebt." Das sagt die Choreografin im Gespräch mit der RNZ: "Ich hatte und habe hier eine tolle Zeit, möchte aber Neues ausprobieren. Deshalb bin ich mit Festivals im Gespräch über Gastchoreografien. Ich habe Lust auf neue Inhalte, neue Formen und neue Räume - vielleicht auch einmal in einem Museum." 2018 zieht es sie zunächst nach London.
Für das Heidelberger Publikum bedeutet diese Nachricht einen herben Einschnitt. Nanine Linning hat den Tanz, der hier für viele Jahre darnieder lag, zu neuen Spitzenleistungen geführt und der Sparte eine internationale Reputation verschafft. Nicht zuletzt durch ihre Gastspiele, die sie zum Beispiel mit "Hieronymus B." ins niederländische S-Hertogenbosch geführt hat; dort war das Renaissance-Genie Hieronymus Bosch vor 500 Jahren geboren worden. Ihr bildgewaltiges Spektakel über Werk, Vita und Epoche des Malers konnte sich in Holland sogar in royalem Glanz sonnen.
Hintergrund
> Nanine Linning wurde in Amsterdam geboren. Ihre Choreografien verbinden den Tanz mit Design, Video, Musik und Bildender Kunst. Sie thematisiert grundsätzliche menschliche Instinkte, Begierden und Emotionen. Linning schloss ihr Studium 1998 an der
> Nanine Linning wurde in Amsterdam geboren. Ihre Choreografien verbinden den Tanz mit Design, Video, Musik und Bildender Kunst. Sie thematisiert grundsätzliche menschliche Instinkte, Begierden und Emotionen. Linning schloss ihr Studium 1998 an der Rotterdamer Tanzakademie ab. Während ihrer Ausbildung assistierte sie William Forsythe und Dana Caspersen bei deren Tanzfilm "From A Classical Position". Im Jahr 2000 wurde sie für den holländischen Kulturpreis nominiert. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen gehören u. a. der Perspektiv-Preis 2002 und der Philip-Morris-Kunstpreis für ihr Gesamtwerk 2003. Für "Voice Over" wurde sie 2012 für den größten deutschen Theaterpreis, "Der Faust", nominiert, im darauf folgenden Jahr für "Zero". Die Neueinstudierung von "Requiem" in Bern erhielt 2015 den Schweizer Tanzpreis. Von 2001 bis 2006 war Nanine Linning Hauschoreografin des Rotterdamer Scapino Balletts, bevor sie sich ab März 2006 auf ihre eigene Amsterdamer Company Naninelinning.nl konzentrierte. Seit August 2009 war sie neben der Leitung ihrer Company auch künstlerische Leiterin und Chefchoreografin am Theater Osnabrück. Zur Spielzeit 2012/13 übernahm sie die Verantwortung für die Tanzsparte in Heidelberg. (voe)
Dass Heidelberg seit 2012 wieder als Tanzstadt gilt und dass zusammen mit dem Unterwegstheater sowohl die Tanzbiennale als auch das "Choreographische Centrum" gegründet werden konnten, ist Nanine Linnings Charisma und ihrem künstlerischen Ideenreichtum zu verdanken. Jai Gonzales und Bernhard Fauser vom Unterwegstheater haben ebenfalls viel dazu beigetragen. Rein pekuniär sorgten die Mäzene Wolfgang Marguerre, Manfred Lauteschläger und Wolf Meng dafür, dass die aufwendigen Choreografien und die Tanzbiennale gestemmt werden konnten. Denn der Etat für die Sparte musste mit den bescheidenen Mitteln auskommen, die vorher für die Tanzkooperation Heidelberg/Freiburg zur Verfügung standen. Diese kaum glanzvolle Kooperation war vom Intendanten Holger Schultze gekündigt worden, um einen Neuanfang zu ermöglichen.
Durch ihre Vielseitigkeit konnte Nanine Linning - wenn auch mit einer künstlerisch völlig anderen Handschrift - an die lange zurückliegende Ära Johann Kresniks anknüpfen. Zwei ihrer Produktionen wurden für den "Faust"-Preis nominiert; in der Schweiz erhielt sie außerdem den begehrten Tanzpreis für ihre Neueinstudierung von "Requiem". Darüber hinaus konnte sie immer wieder in den Kritikerumfragen punkten.
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Bevor Nanine Linning nach Heidelberg kam, wurden die TanzAbende des Theaters pro Saison durchschnittlich von nur rund 3000 bis 4500 Besuchern frequentiert. Mit ihrem Wechsel von Osnabrück an den Neckar änderte sich das schlagartig: Die Holländerin hat die Zahlen verfünffacht. Keine andere Sparte ist so gut ausgelastet wie ihre, zuletzt lag die Quote bei 97 Prozent.
Wenn sie zu Beginn der Spielzeit 2018/19 das Haus verlässt, wird sie sechs Jahre fest in Heidelberg gearbeitet haben. Zählt man das "Requiem"-Gastspiel von 2011 während der Sanierungsphase des Hauses im provisorischen Opernzelt dazu, so kommt sie sogar auf die magische Zahl von sieben Heidelberger Jahren.
Mit dem hiesigen Intendanten Holger Schultze verbindet sie eine noch längere künstlerische Arbeitsgemeinschaft: neun Jahre. "Wir sind uns erstmals in Rotterdam begegnet", sagt Schultze. "Dort wurde Nanines Choreografie ,Dolby’ gezeigt. Und bei dieser Gelegenheit habe ich erlebt, wie sie während einer Diskussion resolut mit einem Glas auf einen Tisch schlug. Da dachte ich mir: Diese Frau hat Leitungsqualitäten." Bald darauf holte er sie an seine frühere Wirkungsstätte Osnabrück.
Die sehr speziellen Stadttheater-Strukturen kannte die aus der freien Szene der Niederlande stammende Künstlerin zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht. Aber die neue Herausforderung hat funktioniert. Und wie!
"Meine Zeit hier hat mich inspiriert und nachhaltig künstlerisch beeinflusst", betont die Choreografin. "Ich bin stolz auf alles, was wir gemeinsam erreicht haben und natürlich dankbar für die fantastischen Möglichkeiten, die mir das Heidelberger Theater jahrelang gegeben hat." Ob bei "Requiem" oder "Zero", bei "Bacon" oder zuletzt "Khôra" - stets fand Nanine Linning zusammen mit ihrer zehnköpfigen Company sowie erfindungsreichen Bühnen- und Kostümdesignern zu immer neuen Erlebnissphären. Mal bildgewaltig und suggestiv, mal musikalisch aufgeladen, dann wieder sinnlich und kontemplativ.
In der nächsten Saison plant sie den Tanzabend "Dusk", an dem Elias Grandy mit dem Orchester mitwirken werden. Nanine Linning verspricht ein Gesamtkunstwerk, das zu den Klängen von Gustav Mahlers Neunter durch drei Räume in eine jeweils neue Welt führen werde. Der Titel "Dusk" (Dämmerung) spielt auf die Phase zwischen Ende und Neubeginn an - und damit in übertragenem Sinne auch auf den bevorstehenden Abschied Nanine Linnings von Heidelberg und ihrem eigenen Neuanfang. Die Premiere soll am 11. November im Marguerre-Saal über die Bühne gehen.
Nach "Dusk" soll die Tanzstadt Heidelberg dennoch nicht in einer stockfinsteren Nacht versinken. "Die Sparte und die Tanzbiennale werden weiterhin leuchten", verspricht Holger Schultze. Im Herbst will er bekannt geben, wie und mit wem ab der Saison 2018/19 die Bühnenlichter bei künftigen Choreografien angeknipst werden. "Die Gespräche laufen gerade." Mehr verrät der Intendant vorerst nicht. Vorrangig ist für ihn zunächst der Dank an Nanine Linning für ihre immense Leistung. Sie habe Heidelberg zu einem fantastischen Sprungbrett für Künstlerinnen und Künstler entwickelt: "Ich schaue zurück auf eine spannende Ära unter einer Ausnahmechoreografin, deren spektakuläre Werke noch lange im Gedächtnis bleiben werden."



