Tanzgottesdienst in Heidelberg: Chaos wird zu Ordnung (plus Fotogalerie)

Heiliggeistkirche Heidelberg: 300 Besucher sahen Nanine Linnings Choreographie "Khôra"

19.02.2017 UPDATE: 20.02.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 51 Sekunden

Die Dance Company des Heidelberger Theaters war zu Gast in der Heiliggeistkirche und zeigte Ausschnitte aus Nanine Linnings Choreographie "Khôra". Es geht um das Chaos vor der Schöpfung, das sich nach und nach in Ordnung verwandelt. Foto: Rothe

Heidelberg. (mio) Es war eine einzigartige Erfahrung: Mehr als 300 Besucher hatten ihre Stühle in einem dichten Kreis rund um den Mittelraum der Heiliggeistkirche aufgereiht. Es knisterte vor Spannung. Auch wenn die Sicht nicht überall ideal war, so entstand doch beim Tanz-Gottesdienst mit den Tänzen aus Nanine Linnings Choreographie "Khôra" in dem hohen Kirchenschiff ein fast magisches Miteinander zwischen Dekanin Marlene Schwöbel-Hug, Citypfarrer Vincenzo Petracca, den Tänzern und den Besuchern - ein besonderes Geschenk zum 500-Jahr-Jubiläum der Reformation.

Die Schöpfungsgeschichte wurde mit der Linning-Choreographie "Khôra" gemixt, die vor Kurzem im Theater Heidelberg ihre Uraufführung hatte. "Khôra" nannte der griechische Philosoph Platon einen Zustand vor der Schöpfung - das ursprüngliche Chaos, aus dem mit den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft und Äther die Welt entstehen sollte.

So fluteten die Tänzerinnen und Tänzer in hautfarbenen, engen Kostümen in das freie Viereck der Kirche und streckten und reckten sich im Chaos, wie ungeordnete Ur-Teilchen im rasenden Ur-Tanz. Schwöbel-Hug dazu: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer." Nur ein Tänzer mit einer Kugel vor dem Bauch konnte sich dem Chaos entziehen und entwickelte zur Musik eigenen Rhythmus - der Beginn einer Ordnung. Weitere Tänzer kamen hinzu, es entstanden Gruppenbewegungen von einer ungewöhnlichen Erotik. Die Dekanin: "Für mich ist der Beginn der Performance die Einführung der Ideen, die von der Gottheit fließen, sprudeln, tanzen und rauschen. Die Ideen dürfen fließen, auseinanderdriften, sich finden, ein Ganzes bilden und wieder in Einzelteile spalten. Den Gedanken wird Freiraum gelassen."

Erneut eroberten Tänzer die Mitte - und vermutlich waren sie nur selten so vielen Zuschauern so nah wie in der Kirche: In fließenden, dunklen Gewändern fanden sich die Frauen und Männer zu Paaren zusammen. Wie Derwische drehten sie sich, die weiten Gewänder formten eigene Figuren. Schwöbel-Hug: "Dunkelheit schwebt über der Erde. Sie kann tröstlich sein, aber sie kann auch Angst machen."

Zum dritten Ensemble-Auftritt trugen die Tänzer knallrote Kostüme, die zischten wie Feuer - mit jeder Bewegung sorgten die Tänzer für eine eigene Melodie. Das Chaos hatte sich so weit geordnet, dass alle Tänzer gemeinsam die Kraft des Feuers "aufflammen" ließen. Die Morgensonne tauchte den Tanz dazu in ein mystisches Licht. "Das Feuer leuchtet, tanzt und breitet sich aus. Der Besitz und die Kontrolle des Feuers machen unser Menschsein aus", unterstrich Malrene Schwöbel-Hug.

War der Tanz für eine Kirche zu erotisch? Citypfarrer Vincenzo Petracca lachte: "Gott hat uns als Mann und Frau geschaffen, als sexuelle Wesen - so sollte Sexualität auch im Gottesdienst einen Platz haben." Damit war alles gesagt. Der Gottesdienst gehört zur Reihe "Abends ins Theater - morgens in den Gottesdienst." Die gesamte Khôra-Aufführung steht auf dem aktuellen Spielplan des Theaters. Kantor Christoph Schäfer umrahmte den Gottesdienst mit Werken von Johann Sebastian Bach.

Fi Info: Eine Bilderstrecke zu dem Gottesdienst gibt es unter www.rnz.de.

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