Weite Abstände im und enge Spielräume im Gemeinderat
Erste Ratssitzung nach Corona-Pause - OB Just rechnet mit Verlusten im zweistelligen Millionenbereich - Erholung könne Jahre dauern

Von Nicoline Pilz
Weinheim. Ein Schritt in Richtung Normalität und dennoch noch weit davon entfernt: Zum ersten Mal seit Wochen fand am Mittwoch eine Sitzung des Gemeinderats wieder als Präsenzveranstaltung statt, wegen der Verordnungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie jedoch in der Stadthalle, wo jedem Stadtrat ein Einzeltisch zugewiesen wurde und das Publikum auf der Empore in gebührendem Abstand voneinander saß.
Desinfektionsmittel am Eingang und an der Getränkeausgabe, Abstandsmarkierungen und das Gebot, eine Mund- und Nasenabdeckung zu tragen, waren sichtbare Zeichen dieser "besonderen Sitzung", wie Oberbürgermeister Manuel Just formulierte. Wie lange jeder Einzelne seine Maske tragen könne, sei ihm selbst überlassen, so der OB. Er wisse durchaus, dass es einen Unterschied mache, ob man – wie bei einem Behördengang – nur wenige Minuten oder, wie hier, über mehrere Stunden Mund und Nase abdeckt.
Wie unvorstellbar die letzten Wochen des Stillstands allen öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens waren, spiegelte Justs Sachstandsbericht zur Corona-Krise wider. Die nun erfolgten Lockerungen seien erfreulich, so Just. Der Arbeitsaufwand für die Verwaltung und die dazugehörigen Einrichtungen sei indes nach wie vor hoch. Der Krisenstab, dem auch die örtliche Führung von Feuerwehr, Polizei sowie eine leitende Ärztin der GRN-Kliniken angehören, tage wöchentlich noch zwei- bis dreimal.
Das Engagement der Rathausmitarbeiter und der Ehrenamtlichen in der Stadt sei "bemerkenswert". Just fand, die Krise habe auch "kreative Kräfte" freigesetzt. "Herzlichen Dank, Weinheim!", sagte er unter beifälligem Klopfen der Stadträte. Mit 142 Infizierten hatte Weinheim die höchste Krankheitsrate im Kreis, Stand Mittwoch waren es noch 16 Erkrankte. 41 Kinder sind derzeit in der Notbetreuung in städtischen Einrichtungen, 99 in der Schulbetreuung. Es sei unwahrscheinlich, so Just, dass die gewohnte Normalität noch in diesem Jahr zurückkehrt: "Stand heute glaube ich, dass uns das Virus noch bis Herbst begleiten wird."
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Die finanziellen Auswirkungen der Krise dürften sicher länger andauern: Die Stadt verzichtete im März und April auf ihre Miet- und Pachteinnahmen, auf Nutzungsentgelte für Sportstätten und Betreuungsgebühren. Der bereits genehmigte Haushalt werde so nicht kommen, meinte Just. Er sprach von Verlusten im zweistelligen Millionenbereich und davon, dass das Regierungspräsidium in Karlsruhe als Rechtsaufsichtsbehörde die Stadt Weinheim aufgefordert habe, ihre Bemühungen zur Haushaltskonsolidierung fortzusetzen. Schwierig, wenn die von Betrieben erbetenen Stundungen und die geplanten Gewerbesteuereinnahmen zusammenfallen. Die Hilfe des Landes – zweimal 307.000 Euro – kompensiere die Ausfälle allein der Kindergarten-Gebühren um lediglich 50 Prozent. "Ein Tropfen auf dem heißen Stein", sagte Just.
Er hoffe auf einen "Rettungsschirm" für die Kommunen – nach der Steuerschätzung im Mai wisse er mehr über die Höhe der Verluste. Klar sei, dass der Spielraum eng wird: "Es wird Jahre dauern, bis sich der Haushalt erholt."
Die Kämmerei arbeite an einem "Streichpaket" und mit einer 30-prozentigen internen Haushaltssperre, um die finanziellen Ausfälle zu kompensieren. Spätestens im Juni werde die Verwaltung dem Gemeinderat Maßnahmen aufzeigen, wie der "Haushalt im Vollzug zu retten ist", kündigte Just an. Möglicherweise stehe ein Nachtragshaushalt zur Debatte.
Die Fraktionen lobten überwiegend das Krisenmanagement der Stadt und die Solidarität innerhalb der Bürgerschaft, äußerten aber auch ihre Sorgen um die Finanzen, die Freiheitsrechte der Bürger und die Folgen, die die Einschränkungen für Psyche und Wirtschaft nach sich ziehen.
Die Herausforderungen sind groß. So sollen am 18. Mai Viertklässler wieder in die Grundschulen gehen. Warmes Wasser zum Händewaschen gibt es nicht, das sei auch keine Vorgabe, so die Verantwortlichen der Verwaltung. Es würden Seife und Desinfektionsmittel bereitgestellt.



