"Sie haben das Leben von zwei Familien zerstört"
Motiv bleibt im Dunkeln - Staatsanwältin fordert zehn Jahre Haft

Kerzen und Blumen hinterließen Trauernde vergangenen September am Tatort. Was dort genau geschah, bleibt unklar. Foto: Priebe
Von Willi Berg
Leimen/Heidelberg. Er habe nie die Absicht gehabt, einen Menschen zu töten, sagte der Angeklagte in seinem Schlusswort vor dem Landgericht Heidelberg. "Ich wurde selbst angegriffen und habe es aus Notwehr gemacht", behauptete der 36-jährige Kosovare. Und versprach, er werde "künftig vorsichtig sein". Der Asylsuchende hatte am Morgen des 23. September einen Polen vor einem Nachtclub in Leimen erstochen.
Oberstaatsanwältin Christiane Vierneisel forderte am Dienstag zehn Jahre Haft für den Vater von vier Kindern. Wegen Totschlags. "Es ist unverständlich, wie es zu der Tat kam", sagte sie. Verteidiger Ekkart Hinney stellte keinen Antrag. Sein Mandant habe aus Panik gehandelt. Für den Anwalt bleiben viele offene Fragen. Das Urteil soll am Mittwoch verkündet werden.
Der getötete 45-jährige Pole hinterlässt eine Frau und drei Kinder aus erster Ehe. Die Witwe sei "vor Entsetzen gelähmt", sagte Opferanwalt Silvio Käsler. Der Tod des Gatten sei "ein brutaler Einschnitt in ihr Leben". Das Paar hatte erst sieben Monate zuvor geheiratet. Der Angeklagte habe "die Tat kaltblütig ausgeführt", glaubt Käsler.
"Sie haben das Leben von zwei Familien zerstört", so die Oberstaatsanwältin. Die Frau und die Kinder des Angeklagten seien inzwischen abgeschoben worden. Dass der Kosovare zuerst attackiert wurde, hält Vierneisel für widerlegt. "Niemand sah, dass er angegriffen wurde."
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Für sie stellt sich das Geschehen so dar: Der Angeklagte und das spätere Opfer seien in dem Lokal mehrmals verbal aneinandergeraten. Bei dem Streit soll es um eine angebliche Geldforderung des Angeklagten gegangen sein.
Der Pole und andere Personen schuldeten ihm 25.000 Euro, soll der Kosovare behauptet haben. Wofür, das ist völlig unklar. Zunächst gelang es anderen Personen, schlichtend einzuwirken.
Gegen Morgen flammte der Streit zwischen beiden erneut auf. "Sie standen sich wie zwei Hähne gegenüber", sagte Vierneisel. Wütend habe der mit einem Messer bewaffnete Angeklagte den Nachtclub verlassen. Und dann 20 Minuten lang vor der Tür auf den Kontrahenten gewartet.
"Er wollte ihm höchstwahrscheinlich eine Abreibung verpassen." Als der Pole das Etablissement verließ, kam es zunächst zu einer heftigen Schlägerei. Dann habe der Angeklagte zehnmal "heftig" zugestochen.
Das Opfer schleppte sich bis zur Tür des Nachtclubs und klopfte an. Doch niemand öffnete die von innen verschlossene Tür. Man habe "den Sterbenden im Stich gelassen" und ihm den Zutritt verwehrt, kritisierte Anwalt Thomas Franz, der einen Sohn des Opfers vertritt.
Der Pole erlag am Tag darauf seinen schweren Verletzungen. Nach der Bluttat fuhr der Angeklagte mit dem Taxi zu seiner Familie nach Wiesloch. Einige Tage später wurde er in Frankreich verhaftet.
Für Verteidiger Ekkart Hinney bleiben auch nach mehreren Verhandlungstagen mehr Fragen als Antworten. "Was dort wirklich abgelaufen ist, wissen wir nicht." Es sei nicht gelungen, die Vorgeschichte aufzuklären und Licht ins Dunkel zu bringen. Zeugen hätten nicht die ganze Wahrheit gesagt. "Sie wollten nicht berichten, was los war."
Hinney sprach von einem "Schweigekartell". Und stellte die Frage: "Wollten sie jemanden schützen?" Dass Geld damals eine Rolle spielte, sei nur ein Gerücht. Es gebe dafür "nicht den geringsten Anhaltspunkt".
Zweifel an der angeblichen Geldforderung des Angeklagten hat auch Opferanwalt Thomas Franz. "Woher sollen die 25.000 Euro kommen?" Es sei "lebensfremd", dass ein Asylbewerber so viel Geld verleiht. Auch Franz kritisierte das Verhalten von Zeugen. "Sie haben gemauert." Und das, obwohl sie "mehr gesehen" hätten.
Der Angeklagte, der die kosovarische und serbische Staatsbürgerschaft besitzt, ist vorbestraft. Er war vor einigen Jahren an einem Wohnungseinbruch in Freiburg beteiligt.
Durch Gewalt sei der Mann jedoch noch nie aufgefallen, sagte Oberstaatsanwältin Vierneisel. Er sei ein liebevoller Vater und habe sich in einer Kirchengemeinde engagiert. Der Pfarrer habe sich für ein Bleiberecht der Familie eingesetzt. Die Frau des Angeklagten und seine vier Kinder sollen inzwischen in Serbien leben.



