Wahlbeteiligung kein Anlass für Bürgerschelte
Es bleibt aber Luft nach oben - Große Kreisstadt liegt noch im Rahmen

Sieger Manuel Just: In seinem "schwächsten" Wahl-Bezirk holte er knapp 45, in seinem stärksten 83 Prozent. Mit 68,4 Prozent im Endergebnis schaffte er mehr Prozente als alle nicht-amtierenden OB-Bewerber seit 1948. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim. Die Feier von Manuel Just und seinen Anhängern begann, bevor die letzten Wahlbezirke ausgezählt waren. Die Zahlen waren zu eindeutig. Von der Kita "Kuhweid" bis nach Ritschweier: Überall in den 59 Weinheimer Wahlbezirken landete Just auf Platz eins. Ein eindeutiges Ergebnis.
Einziger Wermutstropfen: Die Wahlbeteiligung lag mit 49,2 Prozent knapp unter der psychologisch wichtigen "Fünfzig". Aber auch das muss kein Anlass für Bürgerschelte sein, wie ein Experte aus Stuttgart meint. Aber zunächst die Weinheimer Wahl-Analyse.
Die Wahlbezirke erwiesen sich als unterschiedlich, was die Zustimmungsquoten für Just anbelangt. Während er in Bezirk 009-02 (Grundschule Rippenweier) ein Traum-Ergebnis von 83,2 Prozent erreichte, schaffte er in Bezirk 005-01 rund um die Friedrichschule nur 44,6 Prozent, womit er immer noch die relative Mehrheit holte.
Seine letztlich chancenlosen Mitbewerber hatten ebenfalls verschiedne Leib-und-Magen-Gegenden. Weststädterin Stella Kirgiane-Efremidou (52,SPD) holte in Bezirk 004-02, der in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule wählt, 21,4 Prozent. Ihr stärkstes Zwischenergebnis.
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Dennoch verlor sie in der Gesamtwertung den zweiten Platz an Carsten Labudda (42, Die Linke). Der hatte bei 24,1 Prozent der Stimmen seine Fans dort, wo Just die wenigsten Unterstützer hatte: In Nordstadtbezirk 005-01 (Friedrich-Schule). Simon Pflästerer (34,WL) hat in Bezirk 004-07 (Kita Kuhweid) noch die meisten Wähler überzeugen könne, hier schaffte er 11,6 Prozent.
Der parteilose Polizist und Sportfunktionär Oliver Kümmerle (48) holte ebenso wie Kirgiane-Efremidou den höchsten Stimmenanteil dort, wo er selbst herkommt. In seinem Fall ist das die Nordstadt, wo er in Bezirk 005-03 mit 9,3 Prozent den stärksten Auftritt hinlegte.
Vorsichtiges Fazit: Während Just in den Ortsteilen und der Südstadt noch weiter davonzog, bewiesen Teile der West- und Nordstadt ein Herz für Außenseiter.
Die Wahlbeteiligung lag bei 49,22 Prozent. Das hat Beobachter wie aktive Politiker zum Teil arg enttäuscht. Zumal die sieben sehr unterschiedlichen Kandidaten, das freiwillige Aus des bisherigen Amtsinhabers und nicht zuletzt der hohe Anteil an Briefwählern, der bereits vor Sonntag feststand, mehr Interesse erwarten ließen. Ein historischer Tiefstand ist hier aber nur bedingt erreicht.
Begingt deshalb, weil die Wahlbeteiligung in Weinheim schon öfter unter 50 Prozent lag. Allerdings nur dann, wenn der Amtsinhaber kandidierte. Im Januar 1966 war der amtierende OB Rolf Engelbrecht (parteilos) der einzige ernsthafte Kandidat. 45,6 Prozent der Wahlberechtigten strömten an die Urnen, um ihn mit 97,8 Prozent Zustimmung zu bestätigen.
2010 hatten sich die Zeiten geändert. Auch jetzt gab es nur einen Kandidaten: den amtierenden OB Heiner Bernhard (SPD). Die Wahlbeteiligung lag bei 25,2 Prozent, Bernhard holte 73,2 Prozent der Stimmen.
Wenn kein Amtsinhaber zur Verfügung stand, schnellten die Wählerzahlen in die Höhe. Absoluter Rekord: Ebenfalls das Jahr 1966, in dem Rolf Engelbrecht überraschend starb. Im Juli 1966 stand die Richtungsentscheidung zwischen Theo Gießelmann (parteilos) und Wolfgang Daffinger (SPD) an. Bei 82,9 Prozent Wahlbeteiligung gewann Gießelmann mit 52,3 Prozent der Stimmen.
Wahlbeteiligung im Land: "Eine Wahlbeteiligung von 49,2 Prozent ist für eine Stadt in der Größenklasse zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern immer noch respektabel", sagt Thomas Schwarz, Leiter des Statistischen Amts der Landeshauptstadt Stuttgart: "Angesichts der großen Bewerberzahl bleibt aber Luft nach oben."
Zwischen Anfang 2010 und Ende 2015 hat er sämtliche die (Ober-)Bürgermeisterwahlen im Land statistisch erfasst und ausgewertet. "Die Wahlbeteiligung nimmt ab", hat er festgestellt. Vor allem Städte seien von diesem Trend betroffen. "Auf dem Land funktioniert das Wählen noch öfter im Sinne der sozialen Kontrolle", meint er.
Bei Städten in der "Weinheimer" Größenordnung liege der Schnitt bei 39 Prozent Wahlbeteiligung. Wobei er aus Validitätsgründen nicht zwischen Wahlen mit und ohne Amtsinhaber trennt: "Wenn Sie jede mögliche Konstellation erfassen, haben Sie nur noch Einzelfälle", sagt er.
Dafür, dass es eine Wahl mit sieben Kandidaten war, hat Weinheim jedoch schwach abgeschnitten, stellt er fest. Hier seien unabhängig von der Größe der Kommunen Durchschnittswerte von über 60 Prozent Wahlbeteiligung die Regel. Ein Ausreißer nach unten sei Weinheim deshalb jedoch definitiv nicht.
Doch warum ist die Wahlbeteiligung heute ohne etablierten Amtsinhaber kaum größer als 1966 mit amtierendem OB? Die Gründe sind vielfältig, aber einer lässt sich statistisch festmachen. Heute dürfen EU-Ausländer und Jugendliche ab 16 Jahren bei Kommunalwahlen mitwählen. Statistisch gesehen drücken beide Gruppen die Wahlbeteiligung. Vor allem erstere, so Schwarz: "Die EU-Bürger stehen bei Kommunalwahlen in den Wählerverzeichnissen, aber die politische Mobilisierung ist hier geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt."
Gebe es keinen Kandidaten, der viele EU-Ausländer überzeugt, sänken die Quoten hier bisweilen in einstellige Bereiche, hat Schwarz beobachtet. Allgemein im Land, versteht sich. Auch bei den 16- bis 18-Jährigen sei die Wahlbeteiligung etwas geringer als bei den wahlaffinen 18- bis 21-Jährigen.