So kam Weinheim durch das "Corona-Jahr"
Das Jahr 2020: Kein Sommertagszug, keine Kerwe, kaum Veranstaltungen - Und trotzdem war wieder viel geboten

Von Philipp Weber
Weinheim. Ein neuer OB, ein neuer Gemeinderat, mehr oder weniger neue Gesichter an weiteren verantwortlichen Stellen, zum Beispiel in der Bonhoeffer-Schule: Nach einigen Wechseln 2019 startete das Jahr 2020 in Weinheim nicht unbedingt verheißungsvoll – aber doch irgendwie zukunftsträchtig. Dann wurde das Virus zum beherrschenden Thema: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen schlugen zu. Nun endet das "alte" Jahr im Lockdown – und die Hoffnungen ruhen auf dem "neuen".
> Januar: Die erste Schlagzeile des Jahres entsteht – ausgerechnet – in der GRN-Klinik. Der Anlass ist erfreulich: Neujahrsbaby Ilaria Malchow erblickt etwas mehr als zweieinhalb Stunden nach dem Jahreswechsel das Licht der Welt. Die Arbeit in den politischen Gremien startet etwas später: mit dem städtischen Mietshaus in der Mannheimer Straße 14-20. Nach Irritationen in der CDU plädiert der technische Ausschuss einstimmig dafür, bei der Sanierung zu bleiben und nicht neu zu bauen. Eine Bombe platzt im Einzelhandel: Der "Hit"-Markt will das Drei-Glocken-Center verlassen, die Anwälte der Hit-Handelsgesellschaft hatten den Mietvertrag zuvor außerordentlich gekündigt.
> Februar: Ein typischer Monat der Vor-Corona-Zeit: Ein vermeintlicher Aufreger jagt den nächsten. Der Beginn ist freudig: Die RNV-Sanierung ist fertig, bei der Abschlussfeier mit Landes-Verkehrsminister Winfried Hermann liegt Erleichterung in der Luft. Nur wenig später "kracht" es bei der Feuerwehr. Die Ehrenamtlichen sind unzufrieden mit ihrem Kommandanten Sven Lillig. Auch die Bewohner von Waid und Ofling sind sauer, weil Gäste des Miramar ihre Siedlungen zuparken. Das Bad könnte ein Parkdeck bauen, verlangt dafür aber Zugeständnisse von der Lokalpolitik. Sozialdemokrat und Ex-SPD-Fraktionschef Wolfgang Metzeltin erhält die Willy-Brandt-Medaille.

> März: Um die nun folgende Entwicklung in Richtung Lockdown zu begreifen, lohnt ein Rückblick in den Februar: In jenem Monat feierte man noch Straßenfastnacht. Doch im März wird eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt. Prominentestes Beispiel ist der Sommertagszug. Schon kurz darauf rufen die Gastronomen nach Hilfe, da weitere Groß-Veranstaltungen wackeln. Und dann geht es schnell: Erst trifft es Bars und Vergnügungsstätten, dann die Restaurants, Läden, Schulen. Selbst die Kirchen schließen, wobei ein Gottesdienst in der Peterskirche ein breites Publikum findet: Das SWR-Fernsehen überträgt ihn. Derweil appelliert das Personal der GRN-Notfallambulanz: "Bleibt zuhause!".
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> April: Während der Betrieb an vielen Stellen zunächst ruht, wird auf dem Bau weitergeschafft: etwa im Schloss. Viel Beachtung findet, dass das Fest der Feste abgeblasen wird: 2020 wird ein Jahr ohne Kerwe. Auf der anderen Seite entwickelt sich die digitale Form des Miteinanders: Sogar Stadtführer Franz Piva ist dabei. Nach einem stillen Osterfest und einem Monat mit hartem Lockdown stehen aber erste Lockerungen ins Haus. Das wichtigste Werkzeug für das neue Miteinander zeigt OB Just, im Zuge einer Videobotschaft: den Mund-Nasen-Schutz. Gute Nachricht: Die in Peru gestrandete Sarah Schäufele ist sicher zurückgekehrt.
> Mai: Menschen tragen Masken beim Friseur, Kellner kommen mit Mund-Nasen-Schutz auf die wieder öffnenden Restaurantterrassen. Der Gemeinderat tagt – in der Stadthalle. Erster Zankapfel sind die Betreuungsgebühren: Die Fraktionen links der Mitte wollen die Sozialstaffelung, die sich am Einkommen von Familien ausrichtet. OB Just und die "Bürgerlichen" setzen durch, dass die Zahl der Kinder in einer Familie ausschlaggebend bleibt. Für den "Hammer" sorgt erneut das Drei-Glocken-Center: Pläne für ein Hotel und eine geriatrische Reha werden bekannt gegeben. Schlimm: Kinderbuchverleger Hans-Joachim Gelberg verstirbt mit 89 Jahren.
> Juni: Trotz Coronakrise wird im Westen Geschichte geschrieben: Das GRN-Betreuungszentrum zieht von der Viernheimer Straße an die GRN-Klinik. 200 Bewohner wechseln ihr Heim, 250 Betreuer ihren Arbeitsplatz. Unerfreuliches gibt es von einer Lkw-Kontrolle auf den Autobahnparkplätzen zu erzählen: 40 Beamte kontrollieren Brummifahrer. Schwerpunkt: Alkohol. Nicht jeder darf weiterfahren. Auf der Wachenburg startet das jährliche Filmfestival, im Burghof. Und in der CDU bewirbt sich der Hohensachsener Ulf Martini um die mögliche Nachfolge des Bundestagsabgeordneten Karl A. Lamers. Sein Konkurrent Alexander Föhr wird später siegen.
> Juli: Der Gemeinderat speckt den Etat 2020 um 5,9 Millionen Euro ab. Dann endet eine 72-jährige (Erfolgs-)Geschichte: Die Kulturgemeinde, die bislang in Form eines Vereins funktionierte, leitet die Selbstauflösung ein. Mit einer kommunalen Kulturkonzeption sollen nun Kräfte gebündelt werden. Frust erzeugt, dass sich Fußballer der TSG Lützelsachsen Hoffnungen auf den Gewinn eines Klick-Wettbewerbs machen – und den Spaß an der Sache verlieren, weil in den Weiten des Internets betrogen wird. Und man schreibt wieder Geschichte: Nach einem gescheiterten Anlauf an der Pestalozzi-Schule stimmt der Gemeinderat nun für den gebundenen Ganztag an der Schweitzer-Schule.
> August: Sie prägt den Spätsommer: die Debatte rund um den von OB Just und den Fraktionen abgelehnten "Gebetsruf in Pandemiezeiten" an der Weinheimer Moschee. Die einen ärgern sich über die Religionsgemeinschaft, die einen anno 2010 errungenen Kompromiss aufs Spiel setze; die anderen sehen den Vertrauensbruch bei der Stadt, da Gespräche hinter verschlossenen Türen einseitig öffentlich gemacht worden seien. Diskussionen samt einem heftigen Mailwechsel von Bürgermeister Fetzner mit Anwohnern gibt es um ein altes Villenanwesen in der Innenstadt, dessen Garten zum Nachverdichtungsprojekt wird. Traurig: Irene Kemen schließt nach viereinhalb Jahrzehnten ihr Tanzstudio.

> September: Neues vom Hauptbahnhof: Im Süden des Haltepunkts können Pendler wieder parken. Das kostet aber nun vier Euro pro Tag, weil hier die Tagesplätze angelegt worden sind. Stumm bleiben viele Weinheimer Sirenen beim Warntag, die Aktivierung durch die Rettungsleitstelle funktioniert nicht so gut wie erhofft. Im Schlosspark wehren sich der Jugendgemeinderat und das Bündnis "Weinheim bleibt bunt" dank einer privaten Initiative gegen die "Querdenker", die im September auch einen rechtspopulistischen Landtagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Göppingen reden lassen. Die gute Nachricht des Monats: Krimilegende Ingrid Noll feiert ihren 85. Geburtstag.
> Oktober: Im Oktober wird aus der Debatte um Feuerwehrkommandant Lillig eine Frage der Ursachenforschung: Die Stadt gibt bekannt, dass Lillig Ende 2020 seinen Posten räumt. Die CDU-Ratsfraktion wiederum wird um ein Mitglied ärmer: Susanne Tröscher wirft der Fraktion den Bettel hin, da man sie aus diversen Ausschüssen gedrängt hatte. Beim AC Weinheim endet ein Richtungsstreit: Das Lager der "Bewahrer" wird in fast alle Vorstandsposten gewählt. Gegen Ende des Monats wird klar, das Kulturstätten und Restaurants erneut schließen müssen. Vorher gibt’s aber noch ein Schmankerl: Regisseur Michael Verhoeven ist im "Modernen Theater" zu Gast.
> November: Selbst an Allerheiligen protestieren "Querdenker", sie verteilen weiße Rosen. Sie nehmen Bezug auf den Widerstand gegen das NS-Regime – und ziehen damit einen Vergleich, der an Obszönität kaum zu überbieten ist. Auf den Straßen geht das Leben tagsüber weiter, abends leuchtet Weinheims City in schönen Farben. Im Fernsehen macht Dirk Peschke bei "Das große Backen" ebenso eine gute Figur wie Targol Dalirazar bei "The Voice of Germany". Im Gemeinderat zeigt eine Tourismuskonzeption Potenziale auf. Die Bürgerstiftung wird 15 Jahre alt, Martina Schildhauer erhält das Bundesverdienstkreuz.

> Dezember: Der Monat startet mit Schnee und Eis. Viel wärmer wird es nicht, als OB Just den Etat 2021 in den Gemeinderat einbringt. Er muss von einem 14-Millionen-Euro-Minus ausgehen. Als die Ratsmehrheit der von der GAL (!) vorgeschlagenen Susanne Tröscher einen Sitz im Gutachterausschuss verwehrt, kommt’s auch noch zum Eklat. Dafür gibt’s gute Nachrichten aus dem Drei-Glocken-Center. Hier entsteht ein Kreis-Impf-Zentrum. Abschied nehmen muss Weinheim von der früheren Leiterin des Bodelschwinghheims, Heidi Zieger: Sie verstirbt im Alter von 67 Jahren. Mitte Dezember kommt der "harte" Lockdown: Schulen und Läden schließen, das Ende des Jahres wird ein stilles.