Weinheimer Verwaltung beantwortet Vorwürfe aus der BI-Breitwiesen
Die RNZ hat die Stadtspitze mit den Ansichten eines BI-Breitwiesen-Mitglieds konfrontiert - Dieses sieht die Rolle des OBs sehr kritisch

Die Breitwiesen an der A 5 gehören derzeit zu 100 Prozent der Landwirtschaft. Die Stadt sieht hier jedoch weiter Potenzial für ein Gewerbegebiet, das neue Steuerzahler anziehen könnte. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim. "Die Gewerbeentwicklung wird Thema des Jahres." Das hatte OB Heiner Bernhard im Januar betont. Dies wird hier und da jedoch als brisant empfunden: In Weinheim wehrt sich eine Bürgerinitiative (BI) seit Jahren gegen ein Gewerbegebiet in den Breitwiesen an der A 5 - wo die Verwaltung und die Mehrheit des Gemeinderats vor etwas mehr als drei Jahren die besten Chancen für neue, aber auch für erweiterungswillige Betriebe sahen.
2013 setzte die BI ihre Position - "Wertvolles Ackerland und Naherholungsgebiet darf nicht zubetoniert werden" - per Bürgerentscheid durch. Dessen Bindungskraft ist nun erloschen. Jetzt hat ein BI-Mitglied einen Leserbrief verfasst. Darin werden der Stadtspitze schwere Vorwürfe gemacht. Die RNZ hat die Verwaltung mit fünf davon konfrontiert.
> "Auch wenn das Gesetz nach drei Jahren die Bindungspflicht für Bürgerentscheide wieder aufhebt, so ist es eine grobe Missachtung des Bürgerwillens, wenn Gemeinderat und OB schon wieder versuchen, in den Breitwiesen ein Gewerbegebiet einzurichten. Nur durch einen erneuten Bürgerentscheid sollte es möglich sein, die Entscheidung von 2013 aufzuheben", schreibt das BI-Mitglied.
Der Gesetzgeber habe die Bindungskraft eines Bürgerentscheides bewusst auf drei Jahre begrenzt - und nicht für alle Ewigkeit festgeschrieben, antwortet die Stadt: "Worin soll die ’grobe Missachtung’ bestehen, wenn man sich daran hält? Da muss auch nichts aufgehoben werden." Die Entscheidung sei nach drei Jahren schlicht nicht mehr gültig. Die Kommune halte sich an Recht und Gesetz, wie man das von ihr erwarten könne. Der Meinungsbildungsprozess zur Gewerbeentwicklung in Weinheim sei darüber hinaus sorgfältig vonstattengegangen: So hätten sich bis heute mehrere mögliche Standorte in der Diskussion gehalten (Hintere Mult, Hammelsbrunnen und eventuell Tiefgewann).
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"Die Verwaltung bleibt bei ihrer Ansicht, dass die Breitwiesen als Gewerbegebiet geeignet sind. Womöglich besser und umweltverträglicher als andere Areale. Aber das wird die weitere Diskussion ergeben", verweist die Stadt auf den kommunalen Diskurs. So haben die Freien Wähler beantragt, das Thema noch im laufenden Quartal auf die Tagesordnung des Rats zu setzen. "Das werde ich nächste Woche wiederholen", so Fraktionschef Gerhard Mackert gestern. Die Stadt habe ihm versichert, eine Vorlage zu erarbeiten. Ob das bis März klappt, sei aber offen.
> "Mit der notwendigen Sanierung der Bonhoeffer-Sporthalle wurde zu lange gewartet, weil anscheinend das Geld für das Prestigeprojekt Sport- und Kulturzentrum West vorgesehen war", kritisiert das BI-Mitglied unter anderem auch die bisherige Investitionspolitik der Stadt.
Die Verwaltung: "Wer das Schulzentrum West als ’Prestigeprojekt’ bezeichnet, sollte sich mit den Schülern, Lehrern und Eltern unterhalten, die dringend aus der Albert-Schweitzer-Schule ausziehen müssen und eine neue Schule brauchen, ebenso mit den engagierten Teilnehmern des Moderationsprozesses, in dem die Idee eines solchen Schulzentrums schon vor fünf Jahren entwickelt worden ist. Schulbau ist eine kommunale Pflichtaufgabe."
> "Freudenberg hat noch viel hochwertiges Gelände für Gewerbetreibende frei. Werksküche, Feuerwehr, Werksarzt und anderes können dort mitgenutzt werden. Das kostet, ist aber sinnvoller, als irgendwelche Billigheimer auf neuem Gelände ansiedeln zu wollen", ist ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt des BI-Mitglieds.
"Natürlich gibt es Gespräche mit Freudenberg", antwortet die Stadt. Aber es bleibe immer die Entscheidung des Unternehmens, welches seiner Grundstücke auf den Markt kommt. "Gewerbeentwicklung gehört in die Regie der Kommune - nicht in die eines Wirtschaftsunternehmens", stellt man im Rathaus klar. Nur auf diese Weise könne die Stadt auch Qualitätsstandards garantieren.
> "Viele Gewerbeflächen in der Region stehen leer", eröffnet der Leserbriefautor ein weiteres Feld: "Was wurde den Heddesheimern alles versprochen? Heute legen sie Geld drauf für viel ehemaliges freies Gelände mit einer Betonburg, in der man kaum Beschäftigte sieht. In Bensheim hat sich die SAP wieder verabschiedet."
"Jede Kommune kann mithilfe der Bauleitplanung ihre Gewerbeentwicklung so gestalten, wie sie es für richtig hält", lautet die Antwort: "Das wird in Weinheim wie gewohnt mit hoher Transparenz und Bürgerbeteiligung unter dem Aspekt der qualitativen Entwicklung geschehen."
So gesehen sei grundsätzlich kein Gewerbegebiet mit einem anderen vergleichbar: "Wir halten aber einen vergleichenden Blick mit dem Gewerbesteueraufkommen in Bensheim für durchaus geboten. Dort rechnet man 2017 mit Einnahmen aus der Gewerbesteuer in Höhe von 47 Millionen Euro - in Weinheim sind es 30 Millionen Euro. Jeder kann sich ausrechnen, was man mit 17 Millionen Euro mehr - nur in einem Jahr - anfangen könnte", argumentiert die Verwaltung.
> Zum Abschluss blickt das BI-Mitglied in die Zukunft: "Wir, die BI Breitwiesen, werden uns gemeinsam mit den Bauern nach allen Kräften wehren, auf dass die wertvolle Ackerfläche in den Breitwiesen für uns und unsere Nachkommen erhalten bleibt. Eine Möglichkeit dazu bietet uns und den Wählern die nächste OB-Wahl. Deshalb: Keinen OB, der unsere schöne Gegend verschandeln lässt!"
Die Gewerbeentwicklung in Weinheim sei eine Zukunftsfrage, antwortet die Stadt: "Es wäre geradezu fahrlässig, diese Frage mit Amtszeiten, Legislaturperioden und einzelnen Personen zu verknüpfen. Wer so argumentiert, wird dem Thema nicht gerecht. Wir finden es auch schade, dass die Breitwiesen-Frage, die sich uns im Moment so gar nicht stellt (weil auch andere Flächen in der Diskussion sind), zur Stimmungsmache und zu persönlichen Angriffen ausgenutzt wird."
Die Frage der Gewerbeentwicklung zur Zukunftssicherung der Stadt werde vonseiten der Verwaltung sachlich und ausgewogen diskutiert, lautet die abschließende Antwort aus dem Rathaus.