Sanierung Weinheimer Hauptbahnhof: "Die Bahn steht jetzt ziemlich hilflos da"

Interview mit dem Pro Bahn-Aktiven Michael Löwe - Über die stockende Sanierung des Hauptbahnhofs, Intercitys und das Lärmproblem

09.08.2016 UPDATE: 10.08.2016 06:00 Uhr 5 Minuten, 35 Sekunden

Unfertige Aufzugschächte, Bauzäune auf den Bahnsteigen und ein gesperrter Fußgängertunnel: Obwohl nur noch wenige Arbeitsschritte fehlen, stockt der Umbau des Hauptbahnhofs: Die Bahn kann derzeit keine Sperrpausen für die Durchgangsgleise einlegen. Fotos: Dorn

Von Philipp Weber

Weinheim. Dass es mit der Sanierung des Hauptbahnhofs nicht bis Ende Juni geklappt hat, will Michael Löwe (61) der Bahn gar nicht vorwerfen. Dafür nennt der Weinheimer Pro Bahn-Aktive und frühere Rhein-Neckar-Vorsitzende des Fahrgastverbands eine Menge anderer Kritikpunkte. So stand er der RNZ zu Sperrpausen für Gleise, zu IC-Verbindungen, zur S-Bahn Rhein-Neckar und zum Lärm durch Güterzüge Rede und Antwort.

Herr Löwe, vor gut einem Jahr kündigten Iris Hannappel von DB Netze und Christian Böckling (DB Projektbau) in der Stadthalle an, den Hauptbahnhof in einem Jahr S-Bahn-tauglich zu machen. Haben Sie das geglaubt?

Ich habe mich gefragt, wieso das plötzlich so schnell geht. Der Umbau des ähnlich großen Bahnhofs in Bensheim wurde für die Zeit zwischen Dezember 2008 und Ende 2010 geplant - und nach zwei Jahren Bauzeit termingerecht abgeschlossen. Ich habe mich damals gemeldet und auf Bensheim verwiesen. Aber es hieß: "Nein, wir machen es in einem Jahr." Zuerst lief es sehr gut für die Bahn: Wegen des milden Winters ging der Umbau in Weinheim gut voran. Erst am Schluss liefen die Dinge aus dem Ruder. Nach meinen Informationen gibt es eine Restbauzeit von vier bis sechs Wochen. Aber die bleibt nun lange liegen.

Laut Bahn sind zurzeit keine Sperrpausen für die betroffenen Gleise möglich.

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Das stimmt. Zum einen gibt es auch an der Riedbahn aktuell Baustellen (Anm. d. Red.: dies ist die Parallelachse zur Bergstraßenstrecke), zum anderen hat Bahnchef Rüdiger Grube eine Pünktlichkeitsoffensive veranlasst, die keine zusätzlichen Sperrpausen zulässt. Ich werfe der Bahn gar nicht vor, dass der Bahnhof nicht pünktlich saniert wurde - auch wenn mir das weitere Argument mit dem problematischen Untergrund der Aufzugschächte schwammig vorkommt. Mich ärgert, dass man bei der Bahn nicht wenigstens bis September weitere Sperrpausen auf dem Weinheimer Streckenabschnitt eingeplant hat - nur für den Fall, dass man überzieht. Auf diese Weise wäre es bei einer Verspätung von ein bis zwei Monaten geblieben. Jetzt sind auf absehbare Zeit keine Sperrpausen möglich - und die Bahn steht ziemlich hilflos da.

Welche Nachteile befürchten Sie für die Reisenden?

Ärgerlich ist, dass der direkte Zugang zum Reisezentrum wohl für mindestens ein halbes bis dreiviertel Jahr blockiert ist. Reisende kommen nicht von Gleis 1 aus rein, sie müssen um das Gebäude herumlaufen. Vor allem aber ist der südliche Durchgang zu den Gleisen 2 bis 4 noch monatelang gesperrt. Und es könnte der Qualität des Bahnhofsumfelds schaden, wenn die quasi halb fertige Baustelle möglicherweise einen Winter lang Wind, Wetter und Vandalismus ausgesetzt ist.

In den letzten Monaten wurde über eine mögliche Ausdünnung des Fernverkehrs entlang der Bergstraße diskutiert. Besteht das Risiko, dass Mittelzentren wie Weinheim abgehängt werden?

Ganz klar: Nein. Damit ist vor der Fertigstellung der Neubaustrecke Mannheim-Frankfurt nicht zu rechnen. Die Karten werden also erst in frühestens 15 Jahren neu gemischt. Ob diese Veränderungen zu unserem Nachteil ausfallen, bleibt abzuwarten. Unser großer Vorteil ist: Wir sind in Sachen Intercityverbindungen mit den Großstädten Heidelberg und Darmstadt in einem Sack gefangen. Auch Heidelberg hat neben den beiden Intercitylinien, die auch in Bensheim und Weinheim verkehren, lediglich einige wenige ICE-Verbindungen vorzuweisen. Ansonsten sind wir alle an zwei IC-Linien angeschlossen, die im Zweistundentakt verkehren, in beide Richtungen. In Weinheim fährt also idealerweise pro Stunde je ein IC nach Süden und nach Norden.

Warum heißt es dann immer wieder, die Pendler schlügen Alarm?

Es bestehen zwei Risiken. Eines davon ist, dass eine der beiden IC-Linien gestrichen wird. Aber das halte ich - eben im Hinblick auf Heidelberg - für unwahrscheinlich. Eine andere Möglichkeit wäre, die Züge in Weinheim und/oder Bensheim nicht mehr halten zu lassen. Aber da beide Städte - mit Viernheim, bzw. Heppenheim - jeweils ein bis zu 80 000 Einwohner zählendes direktes Umland haben, ergibt auch das wenig Sinn. Auch im nordhessischen Wabern mit seinen siebeneinhalbtausend Kernstadtbewohnern halten Intercitys. Außerdem hat die Bahn bereits Nachfolgewaggons für die aktuell eingesetzten Züge bestellt.

Also alles in Butter?

Leider nein. Es besteht die große Gefahr, dass innerhalb der vorhandenen Linien einzelne Züge gestrichen werden, da diese sich angeblich nicht rentieren. Damit gehen der regelmäßige Takt und die Verlässlichkeit für die Kunden verloren. Es wird für Reisende komplizierter, Anschlüsse zu erreichen. Über die Jahre wurden bereits Einzellagen gestrichen, sodass der Takt Löcher bekommen hat. Dafür sind zwar Einzelverbindungen, etwa in Richtung Saarbrücken, hinzugekommen, wozu Pro Bahn nie Nein sagt. Aber die neuen Verbindungen ersetzen nicht den regelmäßigen Zwei-Stunden-Takt auf der Nord-Süd-Achse.

Ist ein fester Takt in Zeiten von Smartphones und internetfähigen Armbanduhren wirklich so entscheidend? Technisch fitte Reisende finden binnen Sekunden eine andere Verbindung.

Diese Möglichkeiten gibt es. Und vielleicht ist "Merkbarkeit" tatsächlich nur noch im Nahverkehr ein Kriterium. Dennoch muss ich dagegen halten: Wenn eine Zuglinie nicht regelmäßig bedient wird, entstehen Löcher, da bringt die modernste Technik nichts. Reisende müssen öfter umsteigen, es steigt das Risiko, Termine zu verpassen. Deshalb sollte die Bahn nicht nur zu Uhrzeiten fahren, die finanziell attraktiv sind. Schließlich wollen etwa Geschäftsreisende auch mal spät heimfahren, wenn’s bei der Arbeit länger dauert. Ist das nicht möglich, steigen sie aufs Auto um. Und das will Pro Bahn gerade nicht.

Unabhängig vom Personenverkehr fällt die Bahn in Weinheim negativ auf - etwa ein Viertel der Zweiburgenstädter leidet nachts unter dem Lärm von Güterzügen. Ähnliche Quoten gibt es auch in anderen Städten. Was sagt Pro Bahn dazu?

Pro Bahn kann sich dazu nur sehr bedingt äußern, da wir gemäß Satzung nur die Interessen der Fahrgäste vertreten. Ich kann jedoch sagen, dass wir das Thema sehr genau verfolgen. Schließlich wollen wir, dass die Bahn und ihre Angebote auf Akzeptanz stoßen. Lärmbelästigung bewirkt das Gegenteil. Andererseits trägt der Güterverkehr auf der Schiene auch dazu bei, dass sich weniger frequentierte Strecken weiter lohnen und auch für den Personenverkehr erhalten bleiben. Als Bewohner der Weinheimer Rosenbrunnenstraße in unmittelbarer Sichtweite der Gütertransversale Rotterdam-Genua kann ich mich aber äußern.

Bitte.

Selbstredend muss der Lärm, der von den Güterwaggons ausgeht, verringert werden. In den vergangenen Jahrzehnten ist viel zu wenig getan worden. Es fehlte der Druck, politisch wie wirtschaftlich. Forschung und Entwicklung kamen sehr langsam in die Gänge. Inzwischen greift das Transitland Schweiz entschlossen durch. Und in Deutschland haben insbesondere die Bürgerinitiativen im Mittelrheintal dazu beigetragen, dass sich die hohe Politik nun kümmern muss. Im Moment tut sich viel - das merke auch ich als Anwohner.

So viel Zuversicht bekommt man bei diesem Thema eher selten zu hören.

Ich persönlich glaube jedenfalls nicht, dass es immer schlimmer wird. Die Strecke zwischen Mannheim-Friedrichsfeld und Darmstadt ist seit den 90er Jahren komplett ausgelastet - nur im Verlauf der Wirtschaftskrise 2008/09 fielen Züge weg. Nach meinen Informationen sind es seit vielen Jahren konstant etwas über 200 Züge am Werktag. Ich nehme an, dass sich das Problem mit dem Lärm in den nächsten vier bis sechs Jahren deutlich entschärft. Bis 2020 will Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ein Fahrverbot von Güterwaggons mit veralteten Bremswerken durchsetzen. Und die Bahn hatte zum letzten Jahreswechsel schon ein Drittel ihrer eigenen Waggons auf LL-Sohlen umgerüstet, die ein langsames Aufrauen und lautstarkes Prallen der Räder verhindern. Ein Güterzug mit durchgehend leisen Waggons ist in etwa so laut wie ein Intercity. ICEs und Regionalzüge mit Doppelstockwagen sind noch etwas leiser, da deren Wagenböden näher am Gleis sind.

Was würden Sie sich als Weinheimer für die kommenden Jahre von der Bahn wünschen?

Von der Bahn und der Stadt wünsche ich mir, dass die Baumaßnahmen am Bahnhof rasch abgeschlossen werden. Vor allem im Westen steht noch einiges an. Ich wünsche mir - auch wenn Sie das überrascht -, dass Intercitys nicht durch ICEs ersetzt werden, das würde die Jahreskarten für Pendler, die in Frankfurt oder Stuttgart arbeiten, um 20 bis 30 Prozent verteuern. Und es würde mich sehr freuen, wenn die alte Interregioverbindung in Richtung Köln wiederbelebt würde. Toll wären Direktzüge bis Freiburg oder Basel, da eine von unseren beiden IC-Linien bereits in Karlsruhe endet und die andere bei Bruchsal gen Stuttgart abzweigt. Dann hoffe ich auch, dass die S-Bahn irgendwann nach Weinheim kommt - auch wenn beim Thema S-Bahn Rhein-Neckar noch sehr viel zu tun ist. Aber insgesamt sind wir nicht schlecht bedient.

Was stimmt Sie in Sachen S-Bahn so nachdenklich?

Die S-Bahn an sich nutzt vielen Fahrgästen wenig, wenn sie in Sachen Verbindungsfrequenz und Durchbindung nur den Status quo aufrechterhält - und bestimmte Umsteigesituationen problematisch bleiben. Wenn man hier Verbesserungen will, müsste man den Abschnitt Mannheim-Heidelberg ausbauen, das heißt: die Strecke drei-, viergleisig ausbauen, da hier eine Engstelle besteht. Dann könnten die künftigen S-Bahnen so wie eigentlich geplant fahren, und es gäbe mehr regelmäßige Verbindungen für Pendler - die das Auto stehen lassen könnten.

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