Bahnlärm in Weinheim: EU will sich mit neuen Gesetzen Zeit lassen

EU will Beschränkungen für Uralt-Waggons erst nach 2021 anpacken - Weinheimer Bürgerinitiative reagiert schockiert - "Die EU ist schlimmer als der Bund" 

25.08.2015 UPDATE: 26.08.2015 06:00 Uhr 1 Minute, 43 Sekunden

"Bahnlärm" ist in Weinheim alles andere als ein Fremdwort. Foto: Dorn

Von Philipp Weber

Weinheim. Kürzlich hat Peter Thunsdorff, Sprecher der Weinheimer Bürgerinitiative "Schutz vor Bahnlärm", Bekannte vom Hauptbahnhof abgeholt. Bei dieser Gelegenheit hat er das "Schauspiel" an der Main-Neckar-Bahnlinie aus allernächster Nähe verfolgen können.

Erster Akt: Im Norden tauchen drei Scheinwerfer aus der Dämmerung auf. Wenige Augenblicke später ist die Lok da. Sie zieht Güterwaggons hinter sich her - ganz eindeutig welche der Marke Altbau. Der Krach ist ohrenbetäubend.

Zweiter Akt: Von Süden nähert sich ein weiterer Güterzug. Auf den Ladeflächen: Brandneue Mercedes-Benz-Wagen. "Es war ein großer Unterschied", so Thunsdorff. Zwar ist auch die Durchfahrt des zweiten Zugs nicht sonderlich leise. Verglichen mit dem "Vorgängermodell" rollt der "Daimlerzug" jedoch durch den Bahnhof, als ob er auf Samtpfoten schleiche.

Hintergrund

Der Güterverkehr auf der Schiene entlastet überfüllte Bundesstraßen und Autobahnen vom Lkw-Verkehr. Den Anwohnern stark befahrener Strecken raubt er jedoch den Schlaf.

Die "Übeltäter" sind die Grauguss-Bremsen der älteren Waggons. Die Bremstechnik aus

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Der Güterverkehr auf der Schiene entlastet überfüllte Bundesstraßen und Autobahnen vom Lkw-Verkehr. Den Anwohnern stark befahrener Strecken raubt er jedoch den Schlaf.

Die "Übeltäter" sind die Grauguss-Bremsen der älteren Waggons. Die Bremstechnik aus dem 19. Jahrhundert raut die Räder auf, führt zu Lärm und Erschütterungen. "Nach der letzten Statistik, die uns die Bahn gegeben hat, rollen zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens je 86 Güterzüge durch die Stadt", so die Initiative Bahnlärm. Regelmäßig auftretende Lärmspitzen verhindern das Einschlafen. Und selbst wenn es gelingt: Die Qualität der Erholung nimmt ab.

Seit 2005 ist Weinheim offiziell bahnlärmsaniert, obwohl es auf weiten Teilen der Bahnstrecke keine Schutzwände gibt. Eine Wiederaufnahme der Sanierung auf Bahnkosten gilt als unwahrscheinlich.

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Der Vollständigkeit halber der dritte und letzte Akt: Wieder ein Zug, wieder alte Waggons, wieder lautes Getöse, wieder vibrierende Bahnsteige.

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Thunsdorffs Dreiakter belegt sinnbildlich, worauf es den Anti-Bahnlärmkämpfern von Oberbayern bis ins Mittelrheintal ankommt: Sie verlangen neue Gesetze. Diese sollen die Bahn und weitere Waggoneigentümer verpflichten, veraltete Güterwagen mit sogenannten "Graugussbremsen" zu ersetzen - oder zumindest mit neuer Bremstechnik auszurüsten. Doch jetzt droht die EU-Kommission, einen entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Bundesverkehrsministerium auszubremsen.

Verlangt wird ein europaweit einheitliches Vorgehen. Doch dieses würde wohl erst nach 2021 und mit bislang unbestimmter "Deadline" in Schwung kommen, während der Bund nach eigenen Angaben schon vom 13. Dezember 2020 an leisere Züge vorsieht. Anwohner und Politik im bahnlärmgeplagten Mittelrheintal sind erbost. Und auch Thunsdorff ist entsetzt: "Ich habe das Gefühl, die EU- ist schlimmer als die Bundespolitik." Hintergrund: 2014 hatten Anti-Lärm-Aktive versucht, auf den Bundestag einzuwirken. Damals stand die "Novellierung des Bundesemissionsschutzgesetzes" an. In Sachen Bahnlärm tat sich wenig. Womöglich rächt sich das jetzt.

Immerhin hätten sich die drei Abgeordneten aus dem Wahlkreis einer "informellen" Bahnlärm-Gruppe von Bundesparlamentariern angeschlossen, so Thunsdorff. Karl A. Lamers (CDU) und Lothar Binding (SPD) hatte die BI bereits zu Gast, die Grüne Franziska Brantner will demnächst gemeinsam mit Bürgermeister Torsten Fetzner kommen.

Thunsdorff und seine Mitstreiter wollen die Belastungen, denen Tausende Weinheimer aus Sulzbach sowie der Nord-, West- und Südstadt ausgesetzt sind, so kurzfristig wie möglich abmildern. Ein hehres Ziel: Sie stehen einem Bundeskonzern gegenüber, der auf Bestandsrechte und den kostengünstigen Erhalt seines Transportmittels plädiert. Das hat Thunsdorff in jahrelangen Kämpfen gemerkt. "Kürzlich hat sich eine Initiative aus Mannheim gemeldet", erzählt er. Gemeinsam mit den Quadratestädtern und weiteren Gruppen aus der Kurpfalz und Südhessen will man jetzt die Kräfte bündeln.

Denn: Die neue, von der Bahn gewollte Zuglinie zwischen Mannheim und Darmstadt kommt in (frühestens) 15 Jahren. "Und selbst dann ist nicht sicher, dass alle Güterzüge dort entlangfahren", so Thunsdorff.

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