"Wir haben alle geschlafen"
Die Sanierung der B37 war Gelegenheit, die Situation zu verbessern - Konzept blieb in der Schublade

Radfahrer haben es auf der B 37 nicht leicht: Für sie gibt es kaum Schutzeinrichtungen, teilweise fehlen auch Markierungen. Foto: Alex
Von Christoph Moll
Neckargemünd. Man stelle sich einmal vor: Eine Straße wird komplett saniert und erhält am Ende auch neue Fahrbahnmarkierungen. Das ist die Gelegenheit, um die gerade für Radfahrer nicht optimale Aufteilung des Straßenraums zu verbessern. Dafür liegt in der Behördenschublade sogar längst schon ein fertiges Konzept. Doch es bleibt in der Schublade liegen.
Am Ende werden wieder genau dieselben Fahrbahnmarkierungen aufgebracht wie vorher. Gibt’s nicht? Gibt’s doch! Genau das ist bei der Sanierung der B37 in Neckargemünd geschehen. Und heraus kam das, als sich der Gemeinderat in seiner zurückliegenden öffentlichen Sitzung mit dem Radverkehrskonzept beschäftigte.
Hintergrund
Radkonzept soll nicht wieder in der Schublade verschwinden
"Der Auftrag liegt ja inzwischen schon etwas zurück", sagte Moritz Albrecht. Und tatsächlich: Bereits im Jahr 2014 hatte der Gemeinderat das Büro
Radkonzept soll nicht wieder in der Schublade verschwinden
"Der Auftrag liegt ja inzwischen schon etwas zurück", sagte Moritz Albrecht. Und tatsächlich: Bereits im Jahr 2014 hatte der Gemeinderat das Büro "R+T Ingenieure" aus Darmstadt mit einem Radverkehrskonzept für die Stadt beauftragt. Nun, fast vier Jahre später, stellte der Geograf das Ergebnis im Gemeinderat vor. Dieser beschloss anschließend einstimmig, das Konzept zu verfolgen und bei Planungen zu berücksichtigen.
Zunächst machte Albrecht eine Bestandsaufnahme: Vorhanden seien zum Beispiel der Radweg Richtung Rainbach, ein gemeinsamer Geh- und Radweg in der Neckarsteinacher Straße in Kleingemünd und ein für Radler freigegebener Radweg in der Julius-Menzer-Straße. Vorherrschend sei aber Mischverkehr, der bis 4000 Fahrzeuge pro Tag bei Tempo 50 kein Problem sei - bei mehr Verkehr hingegen schon. "Solch ein Flickenteppich ist ganz typisch", sagte Albrecht, der einige Mängel aufzählte: Es gibt nur wenige Schutzstreifen für Radfahrer an Fahrbahnseiten, Radwege würden ohne Fortführung enden, manche Radwege wie jene am Neckar hätten schlechte Oberflächen, häufig müssten Radfahrer schmale Gehwege mitbenutzen und es gebe hohe Bordsteine, die zur Gefahr für Radler werden können. Positiv sei, dass es eine Wegweisung für Freizeitrouten - wenn auch unvollständig - gebe und Einbahnstraßen entgegen der Fahrtrichtung freigegeben seien.
Als Maßnahmen empfahl Moritz Albrecht allgemein eine durchgängige Radwegweisung auf wichtigen Achsen mit wichtigen Zielen wie Einkaufsmärkten, Schulen, Sportplätzen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Einfache Maß-nahmen seien die Erneuerung von Schildern und die Freigabe von noch mehr Einbahnstraßen. Die Kosten für die Umsetzung aller vorgeschlagenen Maßnahmen schätzte Albrecht auf rund zwei Millionen Euro, wovon die Stadt laut Bürgermeister Frank Volk dank Zuschüsse nur etwa 500.000 Euro tragen müsste.
"Habemus Radkonzept", freute sich Hermino Katzenstein (Grüne), der einst die Erarbeitung angeregt hatte. "Das Konzept beinhaltet viele tolle Vorschläge, die wir schnell umsetzen sollten - wenn auch nicht auf einmal", forderte er. "Es wäre aber ein Schildbürgerstreich, das Konzept nun wieder in der Schublade verschwinden zu lassen." Katzenstein regte für mehr Sicherheit zudem sogenannte Aufstellflächen für Radfahrer an Ampeln an, forderte einen Statusbericht in einem Jahr und kündigte schon jetzt an: "Ich werde scharf nachfragen!"
Das Konzept sei "echt toll", fand auch Jürgen Rehberger (Freie Wähler). "Es zeigt alle Schwachstellen in Neckargemünd." Rehberger sah das Konzept als "Überschrift" für anstehende größere Maßnahmen. Die Erneuerung von Schildern solle aber kurzfristig geprüft werden. "Wir können nicht über alle Maßnahmen alleine entscheiden, sondern müssen immer erst Kreis, Land oder auch Bund fragen, weil wir keine untere Verkehrsbehörde sind", gab Rehberger zu bedenken. "Die Umsetzung wird Jahre dauern." Anne von Reumont (CDU) forderte, dass das Konzept anpassbar sein müsse.
"Es muss dynamisch sein", fand auch Bürgermeister Frank Volk, der zugab: "Unser Radnetz ist noch nicht so toll." Er kündigte an, dass die Anregungen Schritt für Schritt bei anstehenden Maßnahmen angegangen und kleinere Vorschläge wenn möglich sofort umgesetzt werden. Auch er gab zu bedenken: "Wir sind nicht immer Herr der Situation." Die Stadt brauche verkehrsrechtliche Anordnungen, die man erst beantragen müsse. "Viele Maßnahmen sind aber en passant möglich." (cm)
Dass die Bahnhofstraße nicht nur ein Teil des Konzepts, sondern ein "Schlüsselprojekt" sei, machte Moritz Albrecht vom beauftragten Büro "R+T Ingenieure" aus Darmstadt deutlich. Hier gab und gibt es bislang - bis auf den Fahrradstreifen am Stadtausgang Richtung Schlierbach - keine Radverkehrsanlagen. "Bei über 15.000 Fahrzeugen pro Tag und erlaubtem Tempo 50 ist diese Straße für Radfahrer unkomfortabel", meinte er.
Dabei gebe es durchaus Möglichkeiten, denn die Straße sei "sehr breit": Durch das Verlegen von Parkplätzen könne man im Teil der Bahnhofstraße von Schlierbach kommend an beiden Fahrspuren Radwege erreichen. Im weiteren Verlauf Richtung Altstadt würde die Straße zwar schmaler, aber Schutzstreifen für Radfahrer seien dort immer noch möglich. Diese Markierungen dürfen im Gegensatz zu Radwegen "überfahren" werden, wenn sich zum Beispiel zwei Lastwagen begegnen und es eng wird. Auch die Parkplätze am Fahrbahnrand könnten erhalten bleiben, so Albrecht.
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Der Fachmann empfahl zudem, an der großen Kreuzung an der Friedensbrücke eine Abbiegespur Richtung Kleingemünd wegzunehmen, sodass ein Schutzstreifen für Radfahrer möglich wird. Alle Maßnahmen hier würden 600.000 Euro kosten. Die Umsetzung wäre bei der Sanierung wohl günstiger möglich gewesen, ist aber nicht geschehen.
"Wir haben alle geschlafen", räumte Hermino Katzenstein (Grüne) ein, der das Radkonzept vor drei Jahren angeregt hatte. "Es ist sehr ärgerlich, dass wir das bei der Fahrbahnerneuerung der B37 nicht berücksichtigt haben." Auch er müsse sich "an die eigene Nase packen", im Landtagswahlkampf sei das Thema untergegangen. "Nie wäre die Umsetzung günstiger gewesen", meinte er.
Auch Jürgen Rehberger (Freie Wähler) fand es "sehr schade", dass die Maßnahmen nicht bei der B37-Sanierung umgesetzt wurden: "Wir können die Straße nun nach einem Dreivierteljahr nicht wieder umbauen." Von einer "Nachlässigkeit, die nicht so einfach zu entschuldigen ist" sprach Walter Berroth (SPD): "Aber auch das für die Sanierung zuständige Regierungspräsidium hätte auf diese Idee kommen können", meinte er.
Berroth sprach zudem die wegen des Lärmschutzes anstehende Reduzierung des Tempos von 50 auf 30 Kilometer pro Stunde in der Bahnhofstraße an. Auch bei Tempo 30 brauche man dort Radstreifen, meinte er. Auf Nachfrage von Hermino Katzenstein sagte Ingenieur Albrecht, dass auch bei Tempo 30 Radstreifen möglich seien. Nur in Tempo-30-Zonen seien diese nicht erlaubt. Dietmar Keller (SPD) brachte eine andere Idee ins Spiel - nämlich eine Führung der Radfahrer parallel zur Bahnhofstraße entlang des Neckars.
Bürgermeister Frank Volk sprach von einem "unglücklichen Versäumnis", aber sah alles nicht ganz so dramatisch: "Es geht um Streifen auf der Fahrbahndecke, die man auch wieder mit dem Flammenwerfer entfernen und ändern kann", meinte er. Nur der Einbau von rotem Asphalt für Radstreifen sei nun nicht mehr möglich. Dafür müsse man nun eben rote Farbe nehmen.
"Ich glaube nicht, dass alles verloren ist", sagte Volk. "Eine Verbesserung für Radfahrer wird auch nach wie vor möglich sein." Katzenstein schlug vor, wenigstens im Bereich der B37 mit noch fehlenden Fahrbahnmarkierungen das Konzept umzusetzen: Das würde nichts kosten. "Das liegt nicht in unserer Macht", meinte Bürgermeister Volk. "Wir werden das Landratsamt aber darauf hinweisen."

Radfahrer dürfen den Gehweg an der Wiesenbacher Straße mitbenutzen. Foto: Alex
Das sind die Handlungsschwerpunkte beim Radverkehr
Wiesenbacher Straße: Aktuell müssen Radfahrer in Fahrtrichtung Wiesenbach wegen der Benutzungspflicht für vorhandene Radwege mehrmals die Fahrbahnseiten wechseln, berichtete Moritz Albrecht vom Büro "R+T Ingenieure", das das Radkonzept erarbeitete. In die Gegenrichtung ist es Radlern hingegen freigestellt, ob sie den vorhandenen Radstreifen am Fahrbahnrand oder den Geh- und Radweg an der gegenüberliegenden Fahrbahnseite nutzen.
Wegen der Fahrbahnbreite von fünf Metern ist nur auf einer Seite ein Radschutzstreifen möglich. Für beidseitige Streifen seien sieben Meter notwendig. "Es wäre auf jeden Fall sinnvoll, die Benutzungspflicht zumindest teilweise aufzuheben", meinte Albrecht. Auch eine Reduzierung des Tempolimits von 50 auf 30 Kilometer pro Stunde könne helfen, damit sich Radfahrer sicherer fühlen. Eine weitere Möglichkeit seien Fahrrad-Piktogramme auf der Fahrbahn, die Autofahrer sensibilisieren.
"Hier wechselt kein Radfahrer drei Mal die Fahrbahnseite, sondern fährt eher entgegen der Vorschrift", sah auch Jürgen Rehberger (Freie Wähler) Handlungsbedarf. Hermino Katzenstein (Grüne) wies darauf hin, dass Mülltonnen ein großes Problem seien. Anwohner würden diese zur Leerung auf den Radweg stellen. Die Wiesenbacher Straße sei schon Gegenstand einer Verkehrstagfahrt gewesen, berichtete Bürgermeister Frank Volk. Änderungen seien angedacht.
Hauptstraße: Hermino Katzenstein regte eine Freigabe der Einbahnstraße für Fahrradfahrer entgegen der Fahrtrichtung, also bergab, an. "Das funktioniert nicht", widersprach Moritz Albrecht. "Hierfür müsste die Fahrbahn mindestens drei Meter breit sein, was sie aber nicht ist." Hinzu kommen das Gefälle und der Busverkehr. Es sei bergab nicht möglich, Tempo 20 oder gar Schritttempo am Marktplatz einzuhalten, meinte Bürgermeister Volk und fügte wohl nicht ganz ernst gemeint hinzu: "Dann bräuchten wir einen Fahrradblitzer."
Eisenbahnbrücke: Derzeit ist die Benutzung des Wegs unter der Eisenbahnlinie nur Fußgängern erlaubt, Fahrräder müssen geschoben werden. Dies ist auch noch der Fall, obwohl die entsprechenden Hinweisschilder auf beiden Seiten der Brücke unlängst gegen ein Schild mit der Aufschrift "Tauben füttern verboten" ausgetauscht wurden. Hintergrund des Radfahrverbots ist, dass das Geländer zu niedrig ist. "Es fehlen 20 Zentimeter", erklärte Bürgermeister Volk. Die Stadt will das Geländer erhöhen, doch so ganz einfach sei dies nicht. "Über diese Brücke fahren zwar jeden Tag tonnenschwere Güterzüge, aber wir mussten wegen der Erhöhung des Geländers eine Statikberechnung durchführen", regte sich Volk auf und sagte ungläubig: "So ist Deutschland." Im Sommer soll es aber nun soweit sein. Dann sollen auf Kleingemünder Seite auch die Rampen zum Neckartal-Radweg erneuert werden.
Radweg beim Neckarhäuserhof: Radfahrer auf dem Neckartal-Radweg müssen zwischen dem Neckarhäuserhof und Neckarsteinach auf die Fahrbahn der von Mückenloch kommenden Kreisstraße wechseln. Das Problem: Zwischen Straße und Neckar ist nicht genug Platz für einen Radweg. "Wir versuchen seit 15 Jahren, hier eine Lösung zum Beispiel mit einem Steg zu erreichen", berichtete Mückenlochs Ortsvorsteher Joachim Bergsträsser (SPD). Dass es hier Handlungsbedarf gibt, hätten auch höhere Behörden erkannt: Am Radsonntag werde die Straße einseitig gesperrt. "Die fehlenden 300 Meter stören mich auch", sagte Bürgermeister Volk. "Es ist extrem gefährlich, weil die Autos dort 100 fahren dürfen."