Flüchtlinge in Hardheim: "Unsere Sorgen werden lächerlich gemacht"

Keine Pläne für Ausweitung der BEA – 2018 Unterschriften wurden gegen die weitere Zuweisung von Flüchtlingen gesammelt

08.10.2015 UPDATE: 09.10.2015 06:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden

Die Unterschriften von 2018 Bürgern überreichte Bürgermeister Volker Rohm an Joachim Pampel vom Integrationsministerium. Diese Botschaft gegen eine weitere Zuweisung von Flüchtlingen richtet sich an den Ministerpräsidenten.

Von Rüdiger Busch

Hardheim. Ein Großteil der rund 400 Teilnehmer der Bürgerversammlung in der Hardheimer Erftalhalle hatte am Mittwochabend ein Déjà-vu-Erlebnis: Der gleiche Ort, die selben Themen, (fast) die selben Protagonisten auf der Bühne, die selben Fragen und die selben - größtenteils - unbefriedigenden Antworten. Nach der dritten Bürgerveranstaltung zum Thema Flüchtlinge, die unter dem Motto "1000 sind genug" stand, ist man in Hardheim nicht viel schlauer als zuvor. Hoffnung machte lediglich die Aussage von Joachim Pampel vom Integrationsministerium, dass nach wie vor nicht geplant sei, mehr als 650 Flüchtlinge in der Kaserne unterzubringen , und die eindeutige Willensbekundung der Bürger: In einer Woche wurden 2018 Unterschriften gesammelt, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann davon überzeugen sollen, dass die Gemeinde von weiteren Zuweisungen verschont wird.

Hintergrund

"Wer bei uns leben und bleiben will, muss unsere Regeln anerkennen und einhalten."
Bürgermeister Volker Rohm

"Was bleibt für uns im ländlichen Raum? FFH-Gebiete, Windräder und jetzt auch noch die Flüchtlinge."
Ingo

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"Wer bei uns leben und bleiben will, muss unsere Regeln anerkennen und einhalten."
Bürgermeister Volker Rohm

"Was bleibt für uns im ländlichen Raum? FFH-Gebiete, Windräder und jetzt auch noch die Flüchtlinge."
Ingo Großkinsky (CDU)

"Es kann nicht sein, dass bei uns im ländlichen Raum alles hinkommt, was keiner haben will."
Landtagsabgeordneter Peter Hauk (CDU)

"Ich bin über Ihre Wortwahl enttäuscht. Wenn das schon der Beginn des Wahlkampfs ist."
Antwort von MdL Georg Nelius (SPD)

"Wir können keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen, sonst sehe ich den sozialen Frieden gefährdet."
Manfred Böhrer (SPD-Bürgerliste)

"Wir wissen, dass wir Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten kommen, hier aufnehmen wollen und müssen. Aber wir sollten auch ehrlich sein: Ein großer Teil kommt aus anderen Gründen."
Fritz-Peter Schwarz (CDU)

"Es gibt keine einfachen Lösungen."
Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Bündnis 90/Die Grünen)

"Die Frauen haben Angst, nachts durch den Ort zu laufen."
Manfred Böhrer (SPD-Bürgerliste)

"Das Team von RTL war beim gemeinsamen Rundgang durch Hardheim entsetzt von der Situation vor Ort. Im Beitrag wurden die kritischen Stimmen dann aber ausgeblendet."
Steffen Böhrer (CDU)

"Die Zuwanderung bringt auch Chancen für uns mit sich."
Landtagsabgeordneter Georg Nelius (SPD)

"Ich sehe für Hardheim durch die große Zahl an Flüchtlingen keine Chancen."
Bürgermeister Volker Rohm

"In der GU leben derzeit noch 278 Flüchtlinge - 34 haben sich verflüchtigt."
Landrat Achim Brötel (CDU) zum Phänomen, dass Flüchtlinge aus den Unterkünften verschwinden

"Deutschland ist nicht unbegrenzt aufnahmefähig - irgendwann werden vielleicht Aufnahmestopps nötig."
Bundestagsabgeodnete Nina Warken (CDU)

"Wann ist das Ende der Fahnenstange erreicht? Bei 5, 10 oder bei 100 Millionen Flüchtlingen?"
Wolfgang Leiblein

"Wenn wir den inneren Frieden erhalten wollen, dann müssen wir etwas ändern."
Bundestagsabgeodneter Alois Gerig (CDU)

"Sie sind kein Flüchtlingsrat, sondern unsere Volksvertreter."
Dietmar Henn zu den Politikern auf dem Podium

"Nehmen Sie es mir nicht übel: Sie erscheinen mit unseren Fragen und Sorgen alle überfordert."
Dirk Köhler

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Wie bei der ersten Bürgerversammlung vor drei Wochen führte SWR-Moderatorin Friederike Kroitzsch bei der Diskussion gekonnt Regie und stellte fest: "Die Situation ist in Hardheim seit dem letzten Mal noch schwieriger geworden." Auch die Stimmung im Publikum war deutlich gereizter, was auch die Bürgervertreter auf dem Podium durch Unmutsbekundungen zu spüren bekamen.

"Die Sorgen unserer Bürger drehen sich um die Verfremdung der Heimat, um einen allgemeinen Werteverlust, um den Verlust des Sicherheitsgefühls und das hohe Gut der persönlichen Freiheit", betonte Bürgermeister Rohm eingangs. Er habe aber den Eindruck, dass die Sorgen der Bürger im ländlichen Raum verharmlost oder gar lächerlich gemacht würden.

Die überproportionale Belastung Hardheims mit 1000 Flüchtlinge auf 4600 Einwohner thematisierte Dr. Ingo Großkinsky. Die strukturschwache Gemeinde habe sowieso schon mit einem Bevölkerungsrückgang zu kämpfen, der sich nun noch verstärken könnte. "Welche Perspektive hat die Gemeinde dann noch, wenn es so weitergeht?" Manfred Böhrer rechnete die Hardheimer Zahlen auf Stuttgart (dann 130 000 Flüchtlinge), Mosbach 85000) und Buchen (4000) hoch und warnte vor weiteren Zuweisungen.

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Joachim Pampel wies darauf hin, dass dem Landkreis die in der Kaserne lebenden Flüchtlingen zur Hälfte auf sein Zuweisungskontingent angerechnet würden. Hierzu stellte Landrat Dr. Achim Brötel fest, dass dies bis Jahresende gerade mal 43 Flüchtlinge weniger für den Kreis bedeuten würde - bei 900 noch aufzunehmenden Asylsuchenden. "Hardheim ist auch durch den Kreis überproportional belastet - diese Kritik ist berechtigt", räumte der Landrat ein. Der Landkreis arbeite daran, die ungerechte Verteilung im Kreis zu ändern: "Fast alles, was wir neu schaffen, entsteht im Mittelbereich Mosbach." Gleichzeitig lehne der Kreis regelmäßig angebotene Immobilien aus Hardheim ab, um die Gemeinde nicht noch mehr zu belasten.

Die Möglichkeit weiterer Zuweisungen: Ob das Land in Hardheim noch freie Kapazitäten für Flüchtlinge sieht, wollte Bürgermeister Rohm von Joachim Pampel wissen. Die Standortsuche sei ein fortlaufender Prozess, und es gebe auch eine entsprechende Liste mit möglichen Standorten. Derzeit sei Hardheim aber mit 650 Plätzen ausgewiesen, und es gebe auch keine Planungen, die darüber hinaus gehen. "Ein Versprechen, das dies so bleibt, werde ich Ihnen aber nicht geben können", sagte Pampel. Die hohe Belastung Hardheims sei in Stuttgart aber bekannt: "Diese Botschaft ist bei uns angekommen."

Dietmar Henn kritisierte die Aussage von Ministerpräsident Kretschmann ("Die Kasernen sind da, wo sie sind") und wünschte sich von ihm eine Deckelung der Zahl der Flüchtlinge.

Die Betreuung der Flüchtlinge: Klaus Schneider erkundigte sich nach den Plänen des Landes für die bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtung (BEA): Sechs oder sieben Sozialarbeiter sollen dort in den nächsten Wochen ihren Dienst antreten, antwortete Joachim Pampel. Dadurch soll auch eine bessere Koordinierung der ehrenamtlichen Aktivitäten ermöglicht werden. Auch Soldaten der Bundeswehr könnten in Hardheim als "Helfende Hände" wirken. Diesen Wunsch nehme er mit nach Stuttgart. Eine Forderungsliste des Arbeitskreises "Hardheim hilft" überreichte Lars Günther an die Abgeordneten und den Vertreter des Ministeriums. MdL Schneidewind-Hartnagel merkte dazu an, dass das freiwillige Engagement bei der Flüchtlingsbetreuung nur ein Zusatz sein könne: "Das Ehrenamt kann hauptamtliche Strukturen nicht ersetzen."

MdL Peter Hauk schlug einen Pakt der hiesigen Abgeordneten vor mit dem Ziel, die Forderungen der Helfer bis Ende Oktober umzusetzen. Gemeinsam sollten sich die Volksvertreter auch für eine 24-Stunden-Polizeipräsenz in Hardheim einsetzen. Dass es keine Auffälligkeiten rund um die Flüchtlingseinrichtungen gebe - wie vor drei Wochen vom Vertreter der Polizei behauptet - sei eine Lüge.

Maßnahmen und Verbesserungen: Den Fußweg von der Kaserne kürzen die Flüchtlinge über einen steilen Hang ab. Nun lässt das Land dort eine Treppe bauen, teilte Landrat Dr. Brötel mit. Zudem werde in der Gemeinschaftsunterkunft des Kreises ein Wlan-Hotspot eingerichtet, was zu einer Entlastung des Schlossplatzes führen dürfte. Weshalb man jetzt Geld für eine Treppe ausgeben muss, wenn doch früher 1000 Soldaten auf dem Gehweg in Richtung Ort gekommen seien, kritisierte Inge Bauer.

Harald Eirich wollte wissen, wie viele der Flüchtlinge in der BEA schon registriert wurden und ob schon welche untergetaucht seien. 150 seien registriert, täglich würden 50 weitere folgen, so Pampel. Und von den 623 gemeldeten Flüchtlingen seien noch alle da, so sein Kenntnisstand.

Perspektiven für Hardheim: MdB Alois Gerig sicherte zu, sich weiter für eine vorzeitige Nutzung des Depots etwa durch die Hardheimer Hollerbach-Gruppe einzusetzen. Auch für die Nachnutzung der Kaserne gebe es Perspektiven, z. B. als Standort ein neu aufzustellendes Panzerbataillon oder ein Ausbildungszentrum der Bundespolizei.

"Werden Sie sich persönlich dafür einsetzen, dass Hardheim nicht noch weiter belastet wird?", fragte Dr. Ingo Großkinsky die Abgeordneten und den Landrat. Bis auf MdL Schneidewind-Hartnagel (Grüne) sagten dies alle zu. "Nur gemeinsam können wir etwas erreichen", sagte der Bürgermeister am Ende.