"Wir schwadronieren nicht, wir handeln"
Energiegenossenschaftler wehren sich gegen die Argumente von Windkraftgegnern - Diesen fehle das Fachwissen aus der Praxis

Die Mitglieder der Energiegenossenschaft Starkenburg vor der "Guten Ute", ihrem Windrad auf der Neutscher Höhe. Foto: Schilling
Von Carsten Blaue
Heidelberg/Rhein-Neckar. Die Vorstände der Energiegenossenschaften aus Heppenheim und Heidelberg, Micha Jost und Andreas Gißler, gehen mit den Windkraftgegnern der Region hart ins Gericht. Diese würden mit "Falschinformationen" gezielt Stimmung machen. Die Windenergie sei ein wichtiger Baustein der Energiewende. Eine Versorgung auf Basis erneuerbarer Energien könne gelingen, so Gißler und Jost.
"Wir fragen uns schon, woher die Bürgerinitiativen ihre Falschinformationen hernehmen", sagt Jost, der Vorstand der Energiegenossenschaft Starkenburg (ES). Gißler, sein Kollege von der Heidelberger Energiegenossenschaft (HEG) nickt. Den Bürgerinitiativen (BI) der Windkraftgegner werfen sie vor, zu wage zu sein, wenn es um Erklärungen geht, wie die Energiewende funktionieren soll. Gißler und Jost sind überzeugt davon, dass diese ohne fossile Brennstoffe oder Atomenergie gelingen kann.

Micha Jost. Foto: zg
Und muss: "Es gibt seriöse Quellen wie zum Beispiel das Umweltbundesamt und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die belegen, dass der Atomausstieg und ein gleichzeitiger Kohleausstieg machbar sind. Allerdings müssen wir dazu das Ausbautempo bei den erneuerbaren Energien deutlich steigern." Die Windenergie sei kein "Allheilmittel", so Jost, aber "ein großer Baustein", dessen Effizienz, gemessen am Flächenverbrauch am größten sei.
Jost will das mit Zahlen bisheriger ES-Projekte belegen. So bringt eine Biogasanlage in Lorsch jährlich zwei Kilowattstunden Stromertrag pro Quadratmeter, die Photovoltaikanlage mit Namen "SolarStark 1" in Heppenheim 108 Kilowattstunden und eine Windkraftanlage in Gundersheim, an der die ES beteiligt ist, rund 2000 Kilowattstunden pro Quadratmeter: "Wir brauchen also das Potenzial der Windkraft", so Jost. Zumal sich die Technik weiterentwickelt habe. Ein Windrad erzeuge heute so viel Strom wie drei Anlagen, die vor 20 Jahren aufgebaut worden seien.
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Andreas Gißler. Foto: zg
"Und auch wir wollen die Natur nicht schädigen", beteuert Gißler. Die Eingriffe in die Umwelt und die Chancen auf Ertrag müssten bei jedem Windkraftprojekt in der Balance sein. Gerade an diesem Punkt würden die Windkraftgegner mit falschen Argumenten Stimmung machen, was Jost erzürnt: "Da wird von 35 Metern Fundamenttiefe gesprochen, dabei sind es drei Meter." Oder davon, dass die Betonfundamente niemals aus dem Wald verschwinden würden, sollten die Anlagen mal abgebaut werden. Jost schüttelt den Kopf: "Die Kosten für einen möglichen Rückbau müssen doch schon vor dem Baubeginn als Bürgschaft hinterlegt werden."
Der ES-Vorstand gibt ja zu, dass es während der Bauphase einer Windkraftanlage durchaus "wüst" aussehe rund um die Baustelle: "Aber Windenergieanlagen haben bereits nach etwa drei bis sieben Monaten so viel Energie produziert wie für Herstellung, Betrieb und Entsorgung aufgewendet werden muss. Und schauen Sie heute mal ans Greiner Eck". An einem der fünf Windräder dort sind ES und HEG gemeinsam beteiligt. Heute würden selbst Kritiker diesem Windpark Positives abgewinnen können.
Hintergrund
> Heidelberger Energiegenossenschaft eG (HEG). Die HEG wurde am 8. September 2010 von 17 Personen gegründet und hat heute 320 Mitglieder. Die HEG betreibt 13 Photovoltaikanlagen, ist an drei Windkraftanlagen beteiligt und hat ein LED-Contractingprojekt
> Heidelberger Energiegenossenschaft eG (HEG). Die HEG wurde am 8. September 2010 von 17 Personen gegründet und hat heute 320 Mitglieder. Die HEG betreibt 13 Photovoltaikanlagen, ist an drei Windkraftanlagen beteiligt und hat ein LED-Contractingprojekt umgesetzt. Seit der Gründung haben die Mitglieder insgesamt 1,5 Millionen Euro investiert. Dieses Jahr erhielt die HEG die Bürgerplakette der Stadt Heidelberg für ihren Beitrag zur Förderung von erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes in der Stadt. Zudem erhielt die HEG den Deutschen Solarpreis für ein Photovoltaikprojekt in Nußloch. Sieben Anlagen wurden auf Mehrfamilienhäusern errichtet. Im Gegenzug können Mieter preisgünstig Solarstrom beziehen.
> Energiegenossenschaft Strahlenburg eG (ES). Am 15. Dezember 2010 gründeten 13 Bürger die ES, die inzwischen 840 Mitglieder zählt. Die Genossenschaft betreibt drei Bürgerwindräder und ist an drei Windparks beteiligt. Zudem gehören 15 Bürgersolaranlagen und eine Biogasanlage zum Portfolio. Schließlich betreibt die ES auch die Pelletheizung im Rathaus von Wald-Michelbach. Die Stromerzeugung der ES beträgt 19 Millionen Kilowattstunden jährlich, die Wärmeerzeugung 2,6 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Seit ihrer Gründung hat die ES rund 18,5 Millionen Euro investiert, vor allem finanziert durch Genossenschaftsanteile und Darlehen mit 20-jähriger Laufzeit, die die ES bei ihren Mitgliedern gekommen hat. cab
Dann der Artenschutz. Jost kennt die Berichte vom Massensterben der Fledermäuse an Windrädern, diesen "Todesfallen". Für den Genossenschaftsvorstand viel zu plakativ. Lieber verweist er auf die Technik am Greiner Eck zum Schutz der Tiere: Die Windkraftanlagen müssten hier beispielsweise zwischen 15. März und 31. August von einer Stunde vor Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang abgeschaltet werden. Und zwar bei Windgeschwindigkeiten unter sechs Metern pro Sekunde und Temperaturen von 9 Grad Celsius und mehr.
Dass sich Windräder auch mal nicht drehen, hatte der hiesige Windkraftkritiker und ehemalige Landrat des Kreises Bergstraße, Matthias Wilkes, kürzlich in der RNZ als absurd kritisiert. Allerdings bezog er sich nicht auf den Schutz der Fledermäuse, sondern darauf, dass die Netze die Überkapazität nicht tragen könnten, wenn zu viel Wind weht. Außerdem monierte er, dass zu viel Strom exportiert werde, weil es an Speichermöglichkeiten fehle. Dazu sagte Gißler: "Im Odenwald gibt es genug Stromverbraucher vor Ort und auch zu wenig Windkraftanlagen, als dass sie deshalb herunterreguliert werden müssten." Der Strom werde lokal verbraucht. Bundesweit gebe es noch zu viele Kohle- und Atomkraftwerke, die das Stromnetz verstopfen würden. Man könne direkt gleich mehrere Meiler stilllegen: "Dann würden weniger Windkraftanlagen im Norden abgeschaltet, und es würde weniger Strom exportiert", so Gißler.
Auch Wilkes’ Vorwurf, dass die Energieversorger eine Vergütungsgarantie erhalten, die letztlich die Stromkunden zu tragen hätten, will der HEG-Vorstand nicht einfach so stehen lassen: "Mit der Einspeisevergütung lassen sich die Windkraftanlagen refinanzieren, und es lässt sich ein kleiner Überschuss erwirtschaften. Allerdings kann man damit keine großen Sprünge machen." Die Kosten für Kohle und Atomstrom würden zwar nicht auf der Stromrechnung auftauchen, würden jedoch durch Steuern, die Übernahme von Altlasten und Gesundheitsgefahren von allen Menschen getragen, sagt Gißler.
Für ihn und Jost ist klar, dass bei den BI zu vieles "nur durch Weitersagen" in die Köpfe komme: "Ihnen fehlt Fachwissen aus der Praxis", so Jost. Diese Erfahrung nehmen die Genossenschaftler für sich in Anspruch: "Wir schwadronieren nicht, wir handeln für den Klimaschutz", sagt der ES-Vorstand. In seiner Genossenschaft zahlt man für einen Geschäftsanteil 200 Euro, bei der HEG sind es 100 Euro. In beiden Genossenschaften können die Mitglieder in Darlehen investieren. Ziel ist immer die eigenständige Finanzierung eines Projekts - sei es etwa ein Windrad, eine Biogasanlage oder Photovoltaik. So hat die ES im Jahr 2011 die 3,3 Millionen Euro für die "Gute Ute", ihr Windrad auf der Neutscher Höhe im hessischen Odenwald, ohne Bank finanziert. HEG und ES gehören auch zu den 72 Genossenschaften unter dem Dach der Bürgerwerke eG Heidelberg, von der jeder seine Energie beziehen kann. Wobei Jost und Gißler das regionale Prinzip wichtig ist. Wer auf ein Windrad schaue, der solle auch den Nutzen davon haben.