Harte Urteile für die Angeklagten
Richter: "Der Erziehungsbedarf springt einem ins Auge" - Angehörige weinen - Jugendstrafrecht angewandt

Von Alexander Albrecht
Mannheim/Weinheim. Die junge Frau hält es kaum auf ihrem Sitz, ständig kaut sie auf den Fingernägeln herum. "Ich bin so aufgeregt. Meine Hände zittern", sagt sie zu ihrer Nachbarin. Wenig später ist die Frau nur noch ein heulendes Häufchen Elend. Die Jugendkammer des Mannheimer Landgerichts verurteilt ihren Freund zu einer empfindlichen Haftstrafe, ebenso die fünf weiteren Angeklagten. Wegen gefährlicher Körperverletzung und Raubes. Der Vorsitzende Richter Joachim Bock folgt weitgehend den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
Fünf der Sechs haben es als OEG-Schläger zu zweifelhafter Bekanntheit gebracht. Im März letzten Jahres war es, als die Gruppe den am Boden liegenden Mehmet Efetürk (28) in der RNV-Linie 5 bei Weinheim krankenhausreif schlug und trat - nachdem dieser einer vom Angeklagten Jermaine L. angepöbelten Frau zur Seite sprang. Einen Monat zuvor hatten vier der 17 bis 19 Jahre alten Männer einen Fahrgast in der S-Bahn mit Faustschlägen traktiert und einen weiteren in der Zugtoilette ausgeraubt.
"Respekt, Empathie und die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, sind die Grundpfeiler menschlichen Zusammenlebens", sagt Richter Joachim Bock in seiner Urteilsbegründung. All das hätten die Angeklagten bei den brutalen Taten vermissen lassen. Der Erziehungsbedarf der jungen Leute springe einem förmlich ins Auge, so Bock, der mit einem milden Lächeln immer wieder auch Einfühlungsvermögen für die Situation der Angeklagten zeigt und bei allen Jugendstrafrecht anwendet - mit der vom Vorsitzenden ausdrücklich erwähnten Option auf vorzeitige Haftentlassung. Als Optimist versuche er stets auch das Positive zu sehen, betont der Richter.
So sei Furkan D. (Urteil: vier Jahre Haft) auf den ersten Blick ein netter und sympathischer Mann. Der Mann habe jedoch noch ein zweites Gesicht, das er in der S-Bahn zeigte, wo der Angeklagte einem sichtlich verängstigen Jugendlichen ins Gesicht schlug. Bock ist "ganz sicher", dass D. beweisen will, im Gefängnis den Weg für ein straffreies Leben einzuschlagen - mit guten schulischen Leistungen und einer Ausbildung.
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Dem Haupttäter Jermaine L. (fünf Jahre Haft), der als erster auf Efetürk losging, empfiehlt Bock, seine Aggressivität zu überwinden. Leicht wird das nicht. Kurz vor dem Gewaltausbruch in der OEG sollte L. eine vom Amtsgericht Bensheim verhängte, neunmonatige Haftstrafe wegen Körperverletzung antreten.
Özcan K. (zweieinhalb Jahre Haft) hat zwar "nur" in der S-Bahn mitgemischt, für Bock war er allerdings eine "prägende Figur" des Verfahrens. In bleibend schlechter Erinnerung ist dem Richter K.s Antwort auf die Frage, warum er von seiner Faust Gebrauch machte: "Passiert halt!"
Bock macht dem Angeklagten eine klare Ansage: "Sie glauben doch nicht, dass jemand mit dieser Einstellung eine Bewährungsstrafe erhält, oder?" Der sonst so selbstbewusst auftretende Özcan K. kann seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Auch die Mutter von Filmon N. (dreieinhalb Jahre Haft) weint. Bock sagt, die Frau sei vor Jahren aus Eritrea nach Deutschland eingewandert, in der Hoffnung auf ein friedliches Leben. "Sie haben ihre Mutter schwer enttäuscht", ruft der Richter dem 17-jährigen Filius zu.
Auf Granit beißt Bock bei Eyyüpcan P. (vier Jahre Haft), der sich wegen des Verdachts der räuberischen Erpressung demnächst erneut vor der Jugendkammer verantworten muss. Der Richter sagt ihm, für ihn gelte in dem Verfahren die Unschuldsvermutung, möglicherweise sei der Strafrahmen überschaubar. P., der wie Jermaine L. sehr problematischen Familienverhältnissen entstammt, lässt das kalt. "Ich will Ihnen nicht zuhören", raunt er trotzig dazwischen, "und ich will auch nichts lernen".
Den Angeklagten Taufik M. (acht Jahre Haft), der nach der Verkündung des Strafmaßes höhnisch klatscht, hält Bock für eine interessante Persönlichkeit, die aufgrund ihrer hohen Intelligenz "eigentlich nicht hier sitzen dürfte". Der Richter weiß aber auch: "Intelligenz ist nicht gleich Vernunft." In M.s Urteil eingerechnet ist eine bereits verbüßte, fünfjährige Haftstrafe, wovon eineinhalb Jahre zur Bewährung ausgesetzt waren.
Bei guter Prognose muss ein nach dem Jugendstrafrecht Verurteilter nur sieben Zwölftel der Strafe absitzen, der Rest wird unter Auflagen auf Bewährung erlassen. In M.s Fall sähe das so aus: Die sieben Zwölftel gelten für die acht Jahre Haft, also vier Jahre und acht Monate. Davon könnten die dreieinhalb Jahre abgezogen werden, die der Angeklagte tatsächlich im Knast war. Entsprechend könnte M. schon nach einem Jahr und drei Monaten wieder freikommen.



