Silvester-Gewalt

Einsatzbilanzen werden nicht nur an Silvester "schöngeredet"

Der Polizeigewerkschafter Thomas Mohr spricht über die Böllerangriffe an Silvester, die Täter und fordert eine Ausweitung der Verbotszonen.

05.01.2023 UPDATE: 05.01.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 12 Sekunden
Silvester in Berlin
Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen.
Interview
Interview
Thomas Mohr
Vize-Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei

Von Carsten Blaue

Mannheim. Wer waren die Täter? Für Thomas Mohr, den Mannheimer Bezirksgruppenvorsitzenden und stellvertretenden Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), ist die Sache klar.

Auf Facebook veröffentlichte er nach bundesweiten Angriffen auf Polizisten und Rettungskräfte beim Jahreswechsel Folgendes: "Silvester-Chaoten, überwiegend respektlose, junge Männer mit Migrationshintergrund, die ihre Verachtung gegenüber staatlichen Strukturen offen zeigen."

Auch in Mannheim hatte es, wie berichtet, mindestens zwei Böllerattacken auf Polizisten gegeben. Im RNZ-Gespräch verteidigt Mohr seine Aussage, kritisiert Verharmlosungen seitens des Mannheimer Polizeipräsidiums und fordert die Ausweitung von Verbotszonen für das Böllern an Silvester.

Herr Mohr, finden Sie Ihre pauschale Beschuldigung von "jungen Männern mit Migrationshintergrund" nicht gefährlich? Sie befeuern damit Vorurteile.

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Das tue ich nicht, und es ist auch nicht "gefährlich", das so klar zu benennen. Ich habe extra ein paar Tage gewartet mit meiner Aussage, um vorher mit meinen Kollegen, auch auf Landes- und Bundesebene, die in der Silvesternacht Dienst hatten, zu sprechen.

Ich bekomme Nachrichten von Kollegen aus dem gesamten Bundesgebiet, auch von denen mit Migrationshintergrund, die wütend sind und meine Aussage bestätigen. Auch Feuerwehrleute und Rettungsdienste haben mir die Situation geschildert.

Mit der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft beispielsweise haben wir eine Kooperation in Baden-Württemberg, und gemeinsam werden wir da nicht zur Tagesordnung übergehen. Und ich habe viele Freunde mit Migrationshintergrund, die sich hier wohlfühlen und bestens integriert sind und die sich fremdschämen für das, was an Silvester bundesweit passiert ist.

Was sagen diese?

Die sagen mir, dass diese "Silvester-Chaoten" mit ihrem Verhalten auch das Ansehen der hier seit Jahren lebenden Menschen mit Migrationshintergrund erheblich geschädigt haben.

Die Herkunft der Chaoten ist mir im Grunde völlig egal. Jeder, der Einsatzkräfte angreift, muss zur Verantwortung gezogen werden. Darum muss man das auch benennen können und nicht als "Party- und Eventgesellschaft" verharmlosen.

Es ist nur zielführend für Lösungen für die Zukunft, wenn man auch Tätergruppen benennt, die diese schlimmen Bilder verursacht haben. Mich irritiert auch immer wieder nach solchen Ereignissen, dass solche Taten oft verharmlost werden und Ausreden für die Täter gesucht werden, egal welcher Gruppierung sie angehören.

Auch früher schon gab es Angriffe mit Böllern auf Sicherheits- und Rettungskräfte an Silvester.

Ja, sicher. Aber die Dimension war dieses Mal doch eine ganz andere. Die "verrohten" Täter haben sich selbst gefeiert für ihre Taten und sich von der Menge bejubeln lassen. Zu Hause sind sie respektvoll, und "draußen" lassen sie es krachen.

In Berlin gab es Hinterhalte, in die Rettungswagen gelockt wurden, um sie danach mit Feuerlöschern zu bewerfen! Das muss man sich mal vorstellen.

Das sind neue Qualitäten, die es zuvor nicht gegeben hat. Und oft wird das Ganze auch noch gefilmt und ins Netz gestellt. Wohl von Leuten, die sich dadurch Aufmerksamkeit versprechen, die sie im normalen Leben nicht bekommen.

In Heidelberg und Mannheim sowie im Rhein-Neckar-Kreis gab es Übergriffe in diesem Ausmaß aber nicht. Allerdings erlitt einer Ihrer Kollegen ein Knalltrauma durch einen Böller, und ein Streifenwagen wurde mit Feuerwerk angegriffen.

Und genau das sind zwei Fälle zu viel! Es gibt ja inzwischen Tendenzen zu der Meinung, dass gerade Polizisten so etwas mal aushalten müssen. Sie seien ja entsprechend ausgerüstet und geschützt, heißt es dann. Da darf dann auch mal ein Böller fliegen oder ein Pflasterstein.

Und eine Beleidigung müssen Polizistinnen und Polizisten ebenfalls ertragen. Das ist eine Entwicklung, die mir gar nicht gefällt. Repräsentanten des Staates sind besonders schutzbedürftig. Daher sollten gerade auch Körperverletzungen gegen Polizeikräfte konsequenter und drakonischer bestraft werden.

Mannheims Polizeipräsident Siegfried Kollmar hat die Pyrotechnik-Angriffe auf die Einsatzkräfte seines Präsidiums verurteilt. Bis auf die "einzelnen Ausnahmen" war er aber mit dem Verlauf der Silvesternacht zufrieden. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?

Im Einflussbereich des Mannheimer Präsidiums gab es 292 erfasste Zwischenfälle in der Silvesternacht. Körperverletzungen, Randale, Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte, Brände: Alles war dabei. Da kann man nicht zufrieden sein.

Aber auch das ist ein Trend. Bilanzen werden schöngeredet. Nicht nur an Silvester. Auch wenn beispielsweise der Waldhof gegen den 1. FC Kaiserslautern spielt und im Umfeld Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke gebraucht werden, heißt es danach, das sei ein "normaler" Einsatz gewesen. Das finde ich äußerst unglücklich.

Die Gewalt gegen Einsatzkräfte nimmt zu. Das muss endlich Konsequenzen haben für strafauffällige Chaoten, ob von links, rechts und von sonstwo her, die staatliche Institutionen nicht akzeptieren.

Bleiben wir beim Jahreswechsel. Was fordern Sie?

Böllerverbotszonen müssen an Silvester auf die kompletten Innenstädte ausgeweitet werden. Damit bestraft man zwar auch diejenigen, die friedlich feiern. Aber die Böllerei passt ohnehin nicht mehr in eine Zeit, in der vom Klimaschutz die Rede ist.

Außerdem muss man die Integrationsbemühungen für junge Heranwachsende weiter verstärken. Es kann nicht sein, dass Ergebnisse dieser wertvollen Arbeit mit einer Nacht zerstört werden. Migrationsverbände, Polizeipraktiker und Justiz sowie Sozialarbeiter, Kulturvereine und Pädagogen müssen an einen Tisch – im bundesweiten Rahmen, aber auch vor Ort, weil es ja von Stadt zu Stadt Unterschiede gibt. Wir dürfen auch nicht wieder zur Tagesordnung übergehen.

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