Gibt's an Silvester künftig Ausschreitungen wie am 1. Mai?
Das befürchtet Polizeigewerkschafter Jochen Kopelke. Er erkennt Parallelen.



Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei
Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Jochen Kopelke (39) ist seit September 2022 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Er ist Beamter im höheren Dienst der Polizei Bremen und Mitglied der SPD.
Herr Kopelke, die Bilanz der Krawalle, Angriffe auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht ist schlimm. Wird Silvester zu einer Art zweitem 1. Mai?
Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich diesmal leider bestätigt: Wo Pyrotechnik, Sprengstoffe, Schreckschusswaffen verfügbar sind, wird dies alles gezielt gegen Helfende, gegen Feuerwehr und Rettungskräfte und Polizistinnen und Polizisten eingesetzt. Der 1. Mai hat einen anderen politischen Hintergrund. Aber es ist doch inzwischen eine Parallele erkennbar. Wenn wir nicht gegensteuern, drohen uns an Silvester in den kommenden Jahren tatsächlich Ausschreitungen wie am 1. Mai etwa in Berlin oder auch Hamburg.
Es wurden teils Barrikaden errichtet, Autos brannten, Mülltonnen ebenfalls. Vermummte schmissen Raketen auf Polizisten. Was heißt das für die zukünftige Vorbereitung auf Silvester?
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Wir werden noch mehr Polizistinnen und Polizisten einsetzen müssen. Wenn die Feuerwehr einen Brand löschen will, muss sie fürchten, angegriffen zu werden. Dafür brauchen wir auch Polizei. Noch weniger Beamte werden die Jahreswende zuhause bei den Familien und Freunden verbringen können. Das Bild, das Deutschland gerade abgibt, ist weltweit verheerend. Ich merke das an den Anfragen. Die kommen aus den USA, aus vielen Ländern Europas.
Man fragt sich: Was bitte ist da bei uns los? Ich denke auch an die vielen ukrainischen Flüchtlinge. Wie müssen die sich fühlen? Ich hoffe, dass die Sozialämter und Behörden auf die Menschen zugegangen sind und ihnen erklärt haben, was der tagelange Böllerterror in unseren Städten zu bedeuten hat. Das ist nicht die Aufgabe der Polizei. Ich befürchte nur, man hat mehr an die verschreckten Haustiere gedacht als an die armen Menschen.
Hat die Gewalt gegen Einsatzkräfte, Feuerwehr, Notarzt tatsächlich zugenommen?
Viel mehr Menschen gehen dazu über, entsprechende Straftaten anzuzeigen. Das gilt auch für Polizisten und Rettungskräfte. Die Verrohung wird nicht mehr akzeptiert. Verbale Entgleisungen werden nicht mehr hingenommen. Der Rechtsrahmen wurde ebenfalls erweitert. Das führt dazu, dass wir in den Zahlen einen Anstieg der Angriffe sehen.
Wenn dann noch Alkohol, Pyrotechnik und Gruppendynamik ins Spiel kommen, erleben die Einsatzkräfte die volle Ausprägung der Ablehnung jeglicher Autorität und Uniform. Da spielt es dann eben keine Rolle, ob es sich um einen Feuerwehrmann oder Polizisten handelt. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen schnelle Genesung.
Sollte das private Böllern verboten werden?
Ich bin für ein Böllerverbot, ein Verkaufsverbot an jeden und jede. Die Silvesternacht hat noch einmal bestätigt, dass Pyrotechnik in die Hände von Profis gehört, sodass es schöne Eindrücke am Himmel gibt und nicht querfliegende Raketen. Regionale Lösungen helfen hier nicht. Es muss ein bundesweites Verbot des Böllerns kommen.
Und was tritt dann an die Stelle? Berlin etwa hat sein großes Feuerwerk einfach ausfallen lassen.
Es ist politisch naiv, Verbotszonen auszuweisen, aber ein eigenes Feuerwerk abzusagen. Dann muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen die Sache selbst in die Hand nehmen. Vor Corona haben wir erlebt, dass viele Städte über Böllerverbote nachdachten und ein staatlich organisiertes Feuerwerk anboten. Dann kam Corona und ein Vollverbot.
Das hat dazu beigetragen, dass Städte, Kommunen und Bundesländer die Debatte, wie man das in Zukunft schöner und besser organisieren kann, wieder beendet haben. Diese Diskussion muss aber wieder geführt werden. Es wäre am Ende schlecht gemacht, wenn man nur Verbote ausspricht. Die Wünsche nach Feuerwerk und Lichtshows sind da. Die muss man ernst nehmen und dafür Geld ausgeben.
Die Innenministerin sagt, man brauche keine höheren Strafen. Man müsste sie nur anwenden. Werden sie ausreichend angewendet?
Nein, der Strafrahmen muss viel konsequenter und schneller ausgeschöpft werden. Dafür bedarf es einer guten Zusammenarbeit zwischen den Ermittlern, den Staatsanwaltschaften und Gerichten. Es wird zu langsam abgeurteilt. Die Justiz ist nicht gut aufgestellt. Wenn wir erst in einem Dreivierteljahr Verurteilungen der Silvester-Chaoten erleben, ist das definitiv zu spät. Es muss zügig und hart Recht gesprochen werden. Die hohe Zahl der Festnahmen zeigt, dass keiner einfach so davonkommt.