Vier Straßen in der Rheinau sollen umbenannt werden
Die Stadt will Straßennamen ändern, die nach Personen aus der Kolonialzeit und Entdeckern mit "zweifelhaften Ruf" benannt sind. Doch unter den Anwohnern gibt es Widerstand. Sie fühlen sich übergangen.

Von Olivia Kaiser
Mannheim. Nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd in den USA gingen im Sommer auch in Deutschland viele Menschen gegen Rassismus auf die Straße. In Großbritannien, aber auch in Deutschland, kam dabei die Diskussion um Straßennamen oder Denkmäler auf, die Personen gewidmet sind, die heute historisch und moralisch einen zweifelhaften Ruf genießen. Dabei rückte in Mannheim das "Viertel der Kolonialpioniere" in Rheinau-Süd in den Fokus.
Hintergrund
> Adolf Lüderitz: Der Bremer Kaufmann ist vor allem bekannt wegen seines betrügerischen Vorgehens beim Landerwerb (1883-1884) in Südwestafrika bekannt, das ist als "Meilenschwindel" in die Geschichte eingegangen ist. Die sich daraus ergebenden Konflikte um Land und
> Adolf Lüderitz: Der Bremer Kaufmann ist vor allem bekannt wegen seines betrügerischen Vorgehens beim Landerwerb (1883-1884) in Südwestafrika bekannt, das ist als "Meilenschwindel" in die Geschichte eingegangen ist. Die sich daraus ergebenden Konflikte um Land und Ressourcen führten zu permanenten Konflikten, die schließlich im Völkermord an den Herrero im heutigen Namibia gipfelten.
> Theodor Leutwein: Er stammt aus Waldbrunn im Odenwald und war von 1895 bis 1905 Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika. Als Gouverneur war er ein "herausragender Repräsentant des kolonialen Unrechtssystems. Seine Person wurde im Zuge der nationalsozialistischen Vergegenwärtigung eines deutschen Expansionsanspruchs geehrt", heißt es in dem Gutachten.
> Gustav Nachtigal: Der Afrikaforscher vollzog als Reichskommissar die Gründung deutscher Kolonien in Westafrika (Togo und Kamerun) und zwang Einheimische, mitunter mit Gewalt und Geiselnahme, ihm ihr Land abzutreten. Dies hatte Aufstände zur Folge, die er blutig niederschlagen ließ. Nachtigal stellte zudem die von Adolf Lüderitz reklamierten Gebiete unter den Schutz des Deutschen Kaiserreichs.
> Sven Hedin: Der international bekannte schwedische Naturforscher (1865-1952) positionierte sich "politisch eindeutig für deutsche Expansionsinteressen und das nationalsozialistische Regime", heißt es in dem Mainzer Gutachten. Hedin vertrat ideologisch einen nordisch-germanischen Rassismus und pflegte antisemitische Einstellungen. (oka)
Drei Straßen sind nach Männern benannt, von denen heute bekannt ist, dass sie in den deutschen Kolonien in Afrika die einheimische Bevölkerung unterdrückt und ausgebeutet haben: Adolf Lüderitz, Gustav Nachtigal und Theodor Leutwein. Eine weitere Straße ist nach dem schwedischen Naturforscher und Hitler-Verehrer Sven Hedin benannt. Die Stadt will die Straßennamen deshalb ändern. Doch in Rheinau regt sich Widerstand.
Hans Held kriegt immer noch Puls, wenn er über die geplante Änderung der Straßennamen berichtet: "Das funktioniert so doch nicht." Damit meint der FDP-Bezirksrat und Vorsitzende der Siedlergemeinschaft Rheinau-Süd, dass die Stadtverwaltung die Namensänderung plante, ohne zuvor die Rheinauer Bürger informiert zu haben. Im Oktober sollte das Thema auf die Tagesordnung des Gemeinderats. Als Held davon erfuhr, setzte er alle Hebel in Bewegung, das zu verhindern. Schließlich beschloss die Stadtspitze, das Thema zu vertagen. Die Entscheidung der Stadtverwaltung, den Vertretern von Kolonialismus und Rassismus die Ehre einer Straßennennung zu entziehen, stützt sich auf ein Gutachten der Universität Mainz, dass das Quartett unter die Lupe nahm.
Laut einer Umfrage sprechen sich über 90 Prozent der Anwohner gegen die Umbenennung aus – auch Hans Held. "Obwohl wir genau wissen, was die verbrochen haben." Dazu müsse man die besonderen Umstände kennen, so der Bezirksbeirat. Die Straßen des Anstoßes befinden sich in der BASF-Siedlung, die in den 1930er-Jahren entstand. Damals sei es normal gewesen, Straßen nach Persönlichkeiten aus der Kolonialzeit zu benennen, erklärt Held. Die "Siedler" wie sich die Anwohner nennen, zeichneten sich durch eine große Verbundenheit zu ihrem Viertel aus. "Es handelt sich um Straßen in der Ursiedlung", erklärt Held. Die Namen seien identifikationsstiftend. Die Siedlergemeinschaft sieht keine Notwendigkeit zur Änderung: "Wir möchten, dass Plaketten unter die Straßenschilder kommen, die eine geschichtliche Einordnung der Person vornehmen", so Held. "Das haben andere Städte so gehandhabt, zum Beispiel Hamburg."
Bei einer Informationsveranstaltung in Rheinau lag auch das historische Gutachten der Stadt aus. "Die Anwohner sind also informiert." Eine Ausnahme bildet für viele Siedler allerdings der Sven-Hedin-Weg. "Der Weg befindet sich im Neubaugebiet, den gibt es erst seit 1984", weiß Hans Held. "Da würden wir uns nicht gegen eine Änderung stellen, zumal Hedin ein glühender Hitler-Verehrer war."
Dass es der Siedlergemeinschaft nicht um eine grundsätzliche Ablehnung geht, zeigt die Tatsache, dass in dem Viertel bereits vor zehn Jahren die Carl-Peters-Straße in Wilhelm-Peters-Straße umbenannt wurde. Carl Peters gilt als Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika, den heutigen Ländern Burundi, Ruanda und Tansania. Allerdings ging er als Reichskommissar mit solch tödlicher Brutalität und Härte gegen die Bewohner vor, dass er ins Kaiserreich zurückbeordert wurde und einem Verfahren nur entging, weil er sich nach London absetzte. In der Weimarer Republik war der "Hänge-Peter" verpönt, im Nationalsozialisten galt er – wie die anderen "Kolonialpioniere" – als Vaterlandsheld.
Die Stadtverwaltung hat mittlerweile beschlossen, die Bürger mit ins Boot zu nehmen. Ein Gespräch mit Vertretern der Verwaltung und der Siedlergemeinschaft sowie Marchivumsdirektor Ulrich Nieß hat bereits stattgefunden. Zudem soll eine Bürgerinformation in größerem Rahmen durchgeführt werden, wie eine Stadtsprecherin mitteilte. "Das Format ist aufgrund der Pandemie in Prüfung." Oberbürgermeister Peter Kurz hat sich per Brief an die betroffenen Haushalte gewandt.
Dass die Bürger nicht darüber informiert wurden, dass im Gemeinderat über die Umbenennung diskutiert wird, begründete er folgendermaßen: "Zunächst sollte von den politischen Vertretern der Stadt eine Einschätzung kommen, wie grundsätzlich mit sehr kritischen Straßenbenennungen umgegangen werden soll." Aufgrund des historischen Gutachtens habe sich die Verwaltung zu einer Umbenennung der Straßen entschlossen. "Auch der Bezirksbeirat Rheinau stimmte mehrheitlich für eine Umbenennung", heißt es in dem Schreiben. Kurz betonte aber, dass neue Straßennamen in Kooperation mit der Bürgerschaft ausgewählt würden.
Mit der Namensänderung sind auch Kosten für die Anwohner verbunden. Adressänderungen auf Ausweisdokumenten sind kostenlos, die Gebühren von 11,70 Euro, die für eine Änderung des Fahrzeugscheins anfallen, will die Verwaltung übernehmen. Doch Hans Held merkt an, dass die Änderung für Gewerbetreibende trotzdem teuer werden kann. "Arbeitskleidung, Schriftzüge an Firmenfahrzeugen, Visitenkarten, Internetauftritt – das alles muss geändert werden." Schon allein deshalb hält er die Variante mit einordnenden Plaketten als kostengünstiger. Über die Zusatzkosten diskutiert der Hauptausschuss des Gemeinderats am Dienstag, 8. Dezember, aufgrund eines entsprechenden Antrags der Fraktion LiParTie (Linke, die Partei und Tierschutzpartei).