RNZ-Jahresinterview

Das war 2019 wichtig für Schwetzingens OB René Pöltl

Rathauschef über den Immobilienmarkt, Vandalismus im Stadtgebiet und Verbesserungen für Radfahrer

20.12.2019 UPDATE: 21.12.2019 06:00 Uhr 7 Minuten, 13 Sekunden
Oberbürgermeister René Pöltl im Gespräch mit RNZ-Reporterin Anna Manceron. Foto: Lenhardt

Von Anna Manceron

Schwetzingen. Ob die schwierige Wohnungssituation in der Stadt, die Entwicklung der Konversionsgelände und des Pfaudler-Areals oder die Verkehrspolitik: Oberbürgermeister René Pöltl (52) hat mit der RNZ über die wichtigsten Themen des Jahres 2019 gesprochen. Und über die Verrohung der Gesellschaft, die er mit Erschrecken beobachtet.

Herr Pöltl, Sie sind passionierter Gitarrist. Welcher Song beschreibt das Jahr 2019 aus Ihrer Sicht am besten?

"Respect" von Aretha Franklin.

Warum genau dieses Lied?

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Weil ich mit Erschrecken beobachte, dass der Respekt in der öffentlichen Debatte immer mehr abnimmt.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ja. Nach einem Vorort-Termin mit Landesvertretern auf dem Kasernengelände Tompkins vor ein paar Monaten hat jemand auf Facebook geschrieben: "Schaut euch dieses Arschloch an mit seinen Schlampen." Gemeint waren ein Vertreter des Ministeriums und seine Mitarbeiterinnen. So etwas passiert jeden Tag tausendfach, in dieser Hinsicht ist das Internet ein rechtsfreier Raum. Kein Staat kümmert sich darum, dass dort Menschen beleidigt oder verunglimpft werden. Ich finde das hoch gefährlich. Das Netz hat uns neue Möglichkeiten für die Freiheit des Wortes und der Gedanken eröffnet, aber die Hemmschwellen sind weg. Das war früher nicht so.

Seit wann beobachten Sie solche verbalen Angriffe?

Seit drei oder vier Jahren. Ich glaube, dass den sozialen Medien dabei eine Schlüsselrolle zukommt. Diese Entwicklung ist gefährlich für unsere Gesellschaft. Deshalb müssen wir zusammen überlegen, wie wir damit umgehen, dass einige keine Grenzen mehr kennen. Wenn es angezeigt ist, halte ich auch dagegen und kommentiere selbst auf Facebook. Nicht als Privatperson, sondern als OB.

Denken Sie, dass solche Angriffe noch weiter gehen können – wie bei Dieter Gummer, dem Alt-Oberbürgermeister von Hockenheim, der von einem Unbekannten vor seinem Haus angegriffen wurde?

Ja, aber ich bin nicht ängstlich. Wenn ich ein ängstlicher Mensch wäre, wäre ich in diesem Job verkehrt.

Finden diese Angriffe und Beleidigungen auch im persönlichen Kontakt statt oder nur in den sozialen Netzwerken?

Ich hatte tatsächlich mal einen Fall in der Bürgersprechstunde. Der Mieter einer städtischen Wohnung hatte Streit mit anderen Hausbewohnern. Ich wollte an dieser Stelle nicht für ihn Partei ergreifen. Das hat er nicht akzeptiert und ist mit der gehobenen Faust auf mich los. Es ging gerade noch gut.

Haben Sie auch mal darüber nachgedacht, im Rathaus Sicherheitspersonal einzusetzen?

Nein. Aber unsere Mitarbeiter können Schulungen besuchen, in denen Sie lernen, wie man mit Konfliktsituationen umgeht. Denn es kommen immer mehr Menschen mit psychischen Problemen zu uns ins Rathaus. Das macht mir Sorgen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass wir in Deutschland ein sehr strenges Betreuungsrecht haben. Wer verhaltensauffällig ist, kommt meist sehr spät in eine Betreuungssituation. Ich halte das nicht für falsch, weil es ein Ergebnis unserer Geschichte ist. Im dritten Reich wurden solche Menschen in null Komma nichts weggesperrt. Aber dass immer mehr Verhaltensauffällige im Rathaus aufschlagen, birgt schon ein Gefahrenpotenzial. Denn geistig verwirrte Menschen sind oft nicht berechenbar.

Im Juni verwüsteten Jugendliche die „Alla Hopp“-Anlage in Schwetzingen. Später entschuldigten sie sich persönlich beim OB. „Das fand ich sehr gut“, sagt Pöltl. Foto: Lenhardt

In Schwetzingen gab es in den vergangenen Monaten auch immer öfter Fälle von Vandalismus – zum Beispiel an der Alla-Hopp-Anlage. Damals haben Sie gesagt, man werde nicht umhinkommen, eine Videoüberwachung einzuführen. Wie weit ist man damit?

Vor Kurzem haben wir dort eine Beleuchtungsanlage installieren lassen. Interessanterweise ist seither nichts mehr passiert. Eine Videoüberwachung würde ich erst machen, wenn es gar nicht anders geht. Zwei der drei Jugendlichen, die für die Zerstörungen verantwortlich waren, haben sich auch aus freien Stücken bei mir persönlich entschuldigt. Das fand ich sehr gut.

Welchen Eindruck haben diese Jugendlichen auf Sie gemacht?

Das war eine anlasslose Tat, eine Dummheit aus Lust und Laune. Sie konnten es im Nachhinein selbst nicht mehr erklären. Was komisch ist: Bis vor drei oder vier Jahren gab es in Schwetzingen kaum Vandalismus. Das ist jetzt anders. Das Glücksschwein auf dem Schlossplatz, die Pappel-Pyramide und die Kunstwerke in der "Galerie Gleis 1" im Bahnhof – sie alle wurden beschädigt. Das hat etwas mit Respektlosigkeit zu tun, gegenüber Menschen und Eigentum.

Wissen Sie, wer dafür verantwortlich ist?

Es gibt eine Jugendgang, die im Verdacht steht. Ob sie in allen Fällen verantwortlich ist, wissen wir nicht. Die meisten Mitglieder kommen auch nicht aus Schwetzingen, sondern aus den Nachbargemeinden. Wir haben zu einigen Kontakt aufgenommen, aber es ist nicht einfach.

Als "nicht einfach" könnte man auch die Wohnungssituation in Schwetzingen bezeichnen. Sie selbst leben seit 20 Jahren in der Stadt. Wie froh sind Sie, schon ein Haus zu haben?

Sehr froh. Wir haben damals eins der letzten Grundstücke im Schälzig bekommen. Erstens ist es eine sehr schöne Lage. Zweitens kriege ich ja mit, wie problematisch es heute ist, hier eine Wohnung zu finden. Das hat damit zu tun, dass wenige Menschen wegziehen. Deswegen ist wenig Bewegung im Immobilienmarkt. Die Wohnungssituation ist nicht dramatisch, aber angespannter als früher.

Woran merken Sie das?

Wir haben mehr Noteinweisungen von Menschen, die ihre Wohnung verloren haben und nichts mehr finden. Diesen Leuten stellen wir dann eine Wohnung aus unserem städtischen Kontingent zur Verfügung.

Und reicht dieses Kontingent aus?

Bisher ja. Diese unfreiwillige Obdachlosigkeit trifft häufig Alleinerziehende. Aber ich kenne auch Menschen, die gern nach Schwetzingen ziehen würden und nichts finden.

Der Gemeinderat hat die Verwaltung damit beauftragt, über den Kauf der Konversionsflächen zu verhandeln. Glauben Sie eigentlich selbst daran, dass dort einmal ein Stadtteil entsteht?

Nein. Meines Erachtens wird es dort nie Wohnen geben, das ist zu schwierig. Zu Beginn waren wir wild entschlossen und hätten es aus der Not heraus auch machen müssen. Allerdings ist die Erschließung der Konversionsflächen durch den Natur- und vor allem den Lärmschutz mit enormem Aufwand verbunden. Das ist für Wohnen nahezu unmöglich.

Wieso will die Stadt diese Areale dann kaufen?

Weil es trotz allem wichtige Entwicklungsflächen für Schwetzingen sind. Ich glaube allerdings, dass ein Großteil davon gar nicht entwickelt wird. Die kleine Kaserne zum Beispiel wird man wohl als Reservefläche brauchen – zum Beispiel für Naturschutzmaßnahmen. Andere Flächen sind wiederum sehr gut geeignet, um dort Handwerks- oder Gewerbebetriebe unterzubringen.

Auf dem Pfaudler-Areal entsteht bald Wohnraum für 1500 bis 1800 Menschen. Wird es dort eine Sozialquote geben?

Ja, wir haben mit dem Investor eine Quote von 20 Prozent vereinbart. Ich glaube auch nicht, dass der Bedarf höher ist. Allerdings ist das keine Sozialquote im herkömmlichen Sinn, weil wir keine Sozialwohnungen bauen. Es geht eher um preisgünstiges Wohnen. Der festgelegte Preis liegt beim Durchschnittspreis oder darunter, sowohl bei der Miete als auch beim Eigentum. Wir als Stadt werden auch Wohnungen erwerben und diese dann unterhalb des Durchschnittspreises vermieten – wahrscheinlich für sechs oder sieben Euro pro Quadratmeter.

Das Pfaudler-Areal liegt direkt an den Bahnschienen. Anfang des Jahres haben Sie mit den Bürgermeistern aus Hockenheim, Neulußheim und Oftersheim eine Resolution für besseren Lärmschutz unterschrieben. Was ist daraus geworden?

Erfreulicherweise hat sich die Metropolregion Rhein-Neckar sehr hinter dieses Thema geklemmt – genau wie die Bürgerinitiativen. Tatsächlich haben die Bahn und der Bund einer Untersuchung zugestimmt, die sich damit beschäftigt, wie man den Güterverkehr von der Strecke südlich von Mannheim herunterbekommt. Das ist der wichtigste Schritt, den wir erreicht haben. Und es gibt durchaus eine Chance, dass der Güterverkehr in einen Tunnel verlegt wird.

Und wo wäre dieser Tunnel?

Das wissen wir noch nicht. Aber er könnte zum Beispiel parallel zum Pfingstbergtunnel in Mannheim-Rheinau verlaufen. Die Züge kämen dann in Schwetzingen vertieft raus, sodass man sie nicht mehr hört. Diese Lösung wird ernsthaft geprüft. Wenn sie käme, wäre das Problem gelöst. Allerdings würde es zehn bis 15 Jahre dauern, bis der Tunnel gebaut ist. Eventuell könnte man den Pfingstbergtunnel auch verdoppeln, das ginge dann eventuell schneller.

Als passionierter Radfahrer setzt sich der Rathauschef (r.) für die Belange der Radler ein. Foto: Lenhardt

Beim ADFC-Fahrradklima-Test 2018 hat Schwetzingen in der Kategorie der Städte mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern landesweit den ersten Platz belegt – allerdings nur mit der Note 3,3. Wie wollen Sie die Stadt für Radfahrer attraktiver machen?

Wir haben uns gefreut, dass Verbesserungen wie das Fahrrad-Leitsystem und die Auszeichnung der Marstallstraße als Fahrradstraße bei den Bürgern gut angekommen sind. Und wir bleiben dran – zum Beispiel mit dem Rondell. Dort wird zum ersten Mal in Baden-Württemberg ein großer Kreisverkehr so zurückgebaut, dass man eine Spur komplett den Radfahrern gibt. Wo wir können, wollen wir auch das Leitsystem erweitern. Und in der Karlsruher Straße wird es nach der Sanierung einen Radverkehr in zwei Richtungen geben.

Wäre es nicht denkbar, die Autos komplett aus der Innenstadt zu verbannen?

Das brauchen wir gar nicht, weil Schwetzingen mit dem Fahrrad eigentlich sehr gut funktioniert. Das liegt daran, dass wir eine kleine Stadt sind und nicht so viel Autoverkehr haben. Die große Krux ist die Nord-Süd-Verbindung zwischen Schlossgarten und Bahnlinie. Dort gibt es nur drei Straßen, die man nutzen kann. Aber für die Marstallstraße haben wir ja schon die entscheidende Lösung gefunden. Viel wichtiger finde ich die Radweg-Schnellverbindung von Heidelberg nach Schwetzingen. Da sind wir mit Nachdruck hinterher – gemeinsam mit Heidelberg, Plankstadt und Eppelheim.

Wie weit ist man da?

Wir sind jetzt in der Planungsphase. Die Pläne machen wir selbst, weil das Land derzeit keine Kapazitäten hat. Es wird zum Beispiel eine zweite Brücke nur für Radfahrer über die B535 geben. Mit einem E-Bike ist man dann in 15 bis 20 Minuten stressfrei in Heidelberg.

Wann wird der Radweg fertig sein?

Die Planung dauert das ganze nächste Jahr, früher kriegen wir es nicht hin. Ich hoffe, dass der Radweg 2023/24 fertig sein wird.

Und eine Straßenbahnlinie nach Heidelberg ist kein Thema mehr?

Doch, aber die Sache ist knifflig. So etwas kostet sehr viel Geld, vor allem später im Betrieb. Schwetzingen hat zurzeit 21.500 Einwohner – und dementsprechend ist auch unsere Finanzkraft. Ich kann nicht eben mal 700.000 oder 800.000 Euro im Jahr für einen Straßenbahnbetrieb zuschießen. So etwas wird der Gemeinderat auch nicht beschließen, das wäre politisch und finanziell fatal. Leimen zum Beispiel zahlt einen riesigen Zuschuss für die Straßenbahnanbindung nach Heidelberg. In unserem Fall müsste man nach einer anderen Lösung suchen. Vielleicht, indem die größeren Städte einen höheren Anteil der Kosten übernehmen. Oder die Region gibt Geld dazu.

Nach einem Brand Ende August in der Flüchtlingsunterkunft Hotel Atlanta wurden die Bewohner in Patrick-Henry-Village in Heidelberg untergebracht. Eigentlich sollte das Hotel Atlanta schon nach zwei oder drei Wochen wieder bewohnbar sein. Warum dauert das so lange?

Die meisten Bewohner sind schon wieder in Schwetzingen, draußen in der Tompkins-Kaserne. Damit sind sie auch nicht ganz zufrieden, aber unter diesen Umständen ist das die optimale Lösung. Die Alternative wären Container gewesen, aber die bekommen wir im Moment nicht auf dem Markt. Das Thema ist sehr komplex, weil der Brand durch den ganzen Versorgungsschacht gezogen ist. Die Reparaturen sind sehr aufwendig, aber wir versuchen, das Gebäude so schnell wie möglich wieder instand zu setzen.

Soll denn so schnell wie möglich auch der Junior-Bürgermeister kommen, den Sie bei der letzten Achterrats-Sitzung ins Spiel gebracht haben?

Von mir aus ja! Ich würde mich sehr darüber freuen. Aber die Wahl müssen die Schülerinnen und Schüler selbst organisieren, das habe ich ihnen auch gesagt.

Gibt es denn schon einen Jugendbürgermeister im Land?

Ich kenne noch keinen. Aber ich fände es genial, wenn wir einen in Schwetzingen hätten. Der Jugendbürgermeister wäre mir zugeordnet und hätte ein jährliches Budget in Höhe von 5000 Euro. Er könnte eigene Maßnahmen umsetzen und wäre der direkte Ansprechpartner für alle Jugendfragen. Die einzigen Bedingungen: Der- oder diejenige müsste zwischen 14 und 18 Jahre sein und in Schwetzingen zur Schule gehen.

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