Die Mannheimer Flüchtlingsaufnahmestelle "ist eine Schande"
Die RNZ hat einen Blick in die Mannheimer Flüchtlingserstaufnahmestelle geworfen - Ein Rundgang mit dem Standortleiter und einer ehrenamtlichen Helferin

Mannheim. Das Wetter ist so trist wie der Gebäudeblock schon von außen wirkt. Der Regen prasselt auf die Asylbewerberunterkunft in der Mannheimer Industriestraße mitten im Gewerbegebiet. Die Fenster im Erdgeschoss sind vergittert, weiter oben baumelt eine Deutschlandfahne aus einem Zimmer. Zwei junge Frauen sind mit dem Auto an den Eingang gefahren und laden Säcke aus. "Wir haben Kleidung für Männer dabei", sagt die eine.
Das macht Sinn. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (LEA) sind 700 Männer sowie nur 50 Frauen und Kinder untergebracht. Vor Kurzem hat die Stadt mehrere Familien in die Notunterkunft in die Benjamin-Franklin-Village verlegt. Dort zogen sie in von amerikanischen Soldaten zurückgelassene Wohnungen ein, größere und sauberere.
Die Helferinnen haben die Kleidung bei einer Sammelaktion erhalten. Auf das Gelände gehen die beiden nicht. Das ist auch nicht ohne Weiteres möglich. Eine mächtige Metalldrehtür versperrt ihnen den Weg. Vier Afrikaner karren Schiebewagen an und transportieren Hosen, Pullover und Jacken für die Wintermonate ins Innere. Der RNZ-Autor hat sich mit Gisela Kerntke verabredet, der Vorsitzenden von KulturQuer. Der Verein fördert die Vielfalt von Kulturen und übernimmt Flüchtlings-Patenschaften.
Kerntke gibt Asylbewerbern Deutschunterricht und geht mit ihnen zu Behörden. Die Flüchtlingsunterkunft nennt sie "eine Schande". Früher wurde in dem Gebäudekomplex eine Mühle betrieben. "Im Keller sind noch Mehlspuren. Dort hausen Kakerlaken und Ratten", sagt die 67-Jährige.
Seit den 90er-Jahren hat zunächst die Stadt Menschen aus aller Welt beherbergt, im Juni 2014 übernahm das Land und betreibt seither eine LEA-Außenstelle. Das ist nichts anderes als eine Durchgangsstation für Flüchtlinge, die nach wenigen Wochen in andere Kommunen "umziehen" müssen. Die Federführung hat das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe, das jedoch viele Aufgaben den Mitarbeitern der Privatfirma "European Homecare" überträgt. "Ich bin hier die One-Man-Show", sagt Joachim Cavallaro bei der Begrüßung. Der Mann vom RP leitet seit drei Monaten die Mannheimer LEA. Und ist tatsächlich der einzige Behördenvertreter in der Unterkunft.
Der gelernte Bank-Betriebswirt hat einen kräftigen Oberkörper und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. "Das braucht man hier auch", sagt er. "Und Angst darf man schon zweimal nicht haben." Cavallaro hatte einen vergleichsweise ruhigen Job bei der Bundesfinanzverwaltung. Dann entschied er sich bewusst für den LEA-Job. "Ich wollte helfen, hier in Mannheim etwas aufzubauen. Ja, und ich mag Menschen", erzählt er. Auch sein biografischer Hintergrund - der Vater ist Sizilianer - habe eine Rolle gespielt. Cavallaro hat sich trotz seiner kurzen Amtszeit schon viel Anerkennung bei den Flüchtlingen verschafft. Die grüßen ihn freundlich und respektvoll. Manche nennen ihn "Onkel". Cavallaro gefällt das. Seine Arbeit erfordere Fähigkeiten, die man nirgendwo lernen könne. Einfühlungsvermögen zum Beispiel.
Der Standortleiter berichtet von traumatisierten Flüchtlingen, die den Weg nach Deutschland unter teils größten körperlichen Strapazen geschafft hätten. Oder von einem Sudanesen, der kurz vor seinem Abschied aus Mannheim in eine andere Stadt bitterlich geweint hat, weil er nicht wegwollte. "Das ging mir sehr nahe", gesteht Cavallaro. "Manchmal muss man die Menschen einfach in den Arm nehmen."
Der Mann vom RP kann sich mit den meisten Bewohnern auf Italienisch, Englisch oder Französisch unterhalten. Wenn es sprachlich mal nicht hinhaut, "dann eben mit Händen und Füßen". Die von den beiden Frauen gebrachte Kleidung ist inzwischen in der Kleiderkammer eingetroffen, vor der sich eine kleine Schlange gebildet hat. Im von mehreren Häusern umschlossenen, u-förmigen Hof ist ansonsten wegen des Regens tote Hose. "Bei gutem Wetter ist das anders. Dann spielen die Leute Fußball und Basketball, machen Musik. Da ist richtig was los", sagt Cavallaro.
Unter einem engen Dachvorsprung stellen sich derweil die ersten Bewohner zur Essensausgabe an. Heute steht Pasta mit Hühnchen auf dem Speiseplan. Weil es keine Kantine gibt, nehmen die Flüchtlinge die aufgewärmten Mahlzeiten auf den Zimmern zu sich. Starker Essensgeruch steigt dem Besucher später in die Nase, als er sich dort umsieht. Etwa bei John, der mit fünf weiteren Menschen auf zwölf Quadratmetern untergebracht ist. Während der Togolese fröhlich lächelt, blickt sein Mitbewohner böse drein. Er hat einen Mann mit Kamera gesehen. Als ihn Cavallaro aufklärt, dass es sich um den RNZ-Fotografen handelt, entspannt sich allmählich seine Miene.
Brenzlige Situationen oder Kabbeleien - ja, das komme hin und wieder vor, sagt der Standortleiter. Heftige Auseinandersetzungen zwischen den aktuell vor allem aus Syrien, Eritrea und dem Kosovo stammenden Bewohnern habe er bislang aber nicht miterlebt.
Kerntke hat viel zugehört an diesem Morgen. Die sanierungsbedürftige Unterkunft gefällt ihr nach wie vor nicht, und Cavallaro räumt ein: "Das ist natürlich kein Fünf-Sterne-Hotel." Kerntke ist aber sehr angetan von der Empathie und Menschlichkeit des Standortleiters. "Die Flüchtlinge sind bei Ihnen gut aufgehoben", lobt sie Cavallaro.
Kerntke ist heute bei "Mannheim sagt Ja!" mit dabei. Ihr Einsatz geht aber weiter. Das wünscht sie sich auch von anderen. "Es wäre schön, wenn sich mehr Menschen ein bis zwei Stunden in der Woche für die Flüchtlinge Zeit nehmen könnten." Und sie fordert finanzielle Hilfe zur Aufstockung der von Caritas und Diakonie organisierten Sozialberatung. "Acht hauptamtliche Mitarbeiter für die gesamten 1250 Flüchtlinge in Mannheim - das ist zu wenig."