Plus Mannheims scheidender OB

Den Keller darf Peter Kurz jetzt aber nicht aufräumen

RNZ-Sommerinterview: "Ich muss mich aus dem Amt rausschälen". Fortschritte sieht er beim Klimaschutz, aber für benachteiligte Kinder hätte er gerne mehr erreicht.

02.08.2023 UPDATE: 02.08.2023 16:45 Uhr 11 Minuten, 34 Sekunden
Abschied nach 16 Jahren als Oberbürgermeister: Peter Kurz geht an diesem Freitag in den Ruhestand, konkrete Zukunftspläne hat er noch nicht. Foto: Gerold
Interview
Interview
Peter Kurz
Mannheims scheidender Oberbürgermeister

Von Olivia Kaiser und Alexander Albrecht

Mannheim. Heißer Ort für heiße Themen: Für das letzte RNZ-Sommerinterview hat sich Peter Kurz (60; SPD) die Buga ausgesucht. Bei mehr als 30 Grad an diesem Juli-Nachmittag zieht das Stadtoberhaupt im Spinelli-Park unter einem Sonnenschirm und bei kühler Limonade Bilanz seiner 16-jährigen Amtszeit, die an diesem Donnerstag zu Ende geht. 

Herr Oberbürgermeister, Sie waren bisher fast ausschließlich dienstlich auf der Buga …

… ja, ich war nur einmal richtig privat da, habe einen ganzen Tag lang mit Freunden und Bekannten von außerhalb verbracht. Wir sind 15 00 Schritte gegangen und waren neun Stunden unterwegs. Das hat nicht gereicht, um ihnen alles zu zeigen. 

Wird man Sie nun privat häufiger hier sehen? 

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Ja, meine Frau und ich werden einen relativ kurzen Urlaub machen und erst nach dem Ende der Buga im Oktober möchte ich mir ein paar Wochen Auszeit nehmen. Auch hat es einigen Gästen, die noch kommen wollten, in meiner Amtszeit nicht mehr gereicht. 

Es gab jahrelang sehr kontroverse Diskussionen um die Buga, jetzt ist schon Halbzeit. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt? 

Die Stimmung wurde schon vorher immer besser, mit der Eröffnung war dann die Skepsis weg. Die Erwartungen haben sich über die positive Resonanz erfüllt. Die ist mit Blick auf die lange kommunale Diskussion nicht selbstverständlich. Auch wegen die Konzeption der Buga, die anders ist als andere Gartenschauen. 

Das müssen Sie erklären. 

Die U-Halle ist das erste, was man auf Spinelli wahrnimmt. Wir verbergen nicht, dass es sich um ein ehemaliges Militärgebäude der Amerikaner handelt. Wir haben die Rauheit und den aufgeplatzten Beton belassen, direkt dort werden zum Beispiel die schönen Schlösser Baden-Württembergs präsentiert. Dadurch entsteht eine eher urbane Reibung. Hinzu kommt die klare inhaltliche Ausrichtung.

Was auffällt, ist die große Zahl an Veranstaltungen. 

Das stimmt, es gibt sehr viele Inhalte. Wir präsentieren 80 Fachausstellungen, normalerweise sind es auf einer Buga 20. Und wir bieten Informationen zu Themen in einer nie da gewesenen Breite: Gemüse- und Getreideanbau weltweit zum Beispiel oder die Frage, wie Landwirtschaft überhaupt funktioniert. Auch ein Projekt wie der Weltacker ist für eine Bundesgartenschau eher ungewöhnlich. 

Manche Gäste fühlen sich von der Weitläufigkeit des Spinelli-Geländes erschlagen.

Man muss sich das ja nicht alles anschauen, aber klar, die große Weite sorgt für Irritationen: ein offener Raum, der kein Park, sondern Natur wird und wo sich Magerrasen entwickelt. Wir mussten erklären, dass das nicht so ist, weil wir an dieser Stelle nicht fertig geworden sind, sondern dass das so gewollt ist und in die Zukunft zeigt, gerade unter dem Aspekt des Artenschutzes. Das sind durchaus Elemente, die neu sind, nicht selbstverständlich und die traditionellen Erwartungen an eine Bundesgartenschau herausfordern. 

Und das Konzept funktioniert? 

Ja, nach den Besucherbefragungen der Deutschen Bundesgartenschau-Gesellschaft empfehlen 74 Prozent der Gäste die Buga auf jeden Fall weiter und 20 Prozent wahrscheinlich. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Auch mit Blick auf den Anspruch, Themen zu vermitteln. Viele sagen, sie hätten etwas gelernt, auch für ihr eigenes Verhalten. Mit einer Million Gäste sind wir sehr gut im Plan, in der zweiten Hälfte ist die Resonanz normalerweise noch etwas stärker. Und vor Ort wird verstanden, was die Buga für die Mannheimer auf Dauer bringen wird und welcher ökologische Fortschritt daraus entsteht. 

Oberbürgermeister Peter Kurz beim Gespräch mit den RNZ-Redakteuren Olivia Kaiser und Alexander Albrecht auf der Bundesgartenschau im Spinelli-Park. Foto: Gerold

Gibt es etwas, das Ihnen nicht gefällt?

Zunächst einmal bin ich froh, dass wir nach dem verzögerten Abräumen und der Freigabe des Geländes durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in nur zwei bis drei Jahren ein gewaltiges Programm an Veränderungen stemmen konnten und zum 14. April fertig geworden sind. In den Details …

… die Unterwasserwelt im Luisenpark fehlt immer noch …

Da gibt es auch eine persönliche Tragik, der Firmengründer eines ausführenden Unternehmens ist gestorben. Das fangen Sie bei so einem straffen Zeitbudget nicht mehr auf. Auch der See in der Feudenheimer Au hat noch nicht das angestrebte Gesamtbild.

Was ist Ihr persönliches Highlight? 

Ehrlicherweise ist die größte Überraschung die Wirkung, die im Luisenpark durch die Neue Mitte entsteht. Die Gestaltung des Platzes, eine vorher nicht begehbare Rückseite, hat den ganzen Park neu definiert und ist mit der neuen Vogelvoliere ein ganz großer Gewinn. Das ist noch positiver, als ich es erwartet hätte.

Spektakulär sind auch die Parkschale auf Spinelli mit Spielgeräten und die Veränderungen des Landschaftsbilds – wenn es mal komplett ist, auch außerhalb des Geländes, mit der Neckarrenaturierung und der Nachbildung des alten Neckararms in der Au. Wir bieten aber auch eine Bundesgartenschau klassischer Prägung mit schönen Blumenbeeten. Was die Gärtner hier geleistet haben, ist fantastisch. 

Es hat über 30 Grad bei unserem Treffen, Mannheim gehört zu den heißesten Städten in Deutschland. Da kann einem für die Zukunft Angst und Bange werden, oder?

Die Thematik war absehbar und entwickelt sich noch schneller als gedacht. Der Klimawandel beschleunigt sich täglich. Es fehlt aber persönlich häufig die Bereitschaft, auch einen Preis für die Abwehr dieser Krise zu zahlen. Es wird dramatisch, wenn es nicht gelingt, uns gemeinsam auf den Weg zu machen und mit einem Affenzahn unsere eigenen Versäumnisse irgendwie aufzuholen. Der CO2-Abdruck muss runter und wir müssen mit den Folgen klarkommen.

Nehmen Sie das Beispiel Verkehrsversuch: Die kommunalpolitische Debatte war im Nachhinein unter der Überschrift "Verkehrsversuch" fehlgeleitet. Für die Zukunft der Innenstädte geht es nicht allein um Verkehr, sondern um die Frage, wie der öffentliche Raum aussehen soll, in dem wir uns aufhalten wollen. Wir brauchen eine andere Raumaufteilung, mehr Platz für Begrünung, möglicherweise auch für blaue Infrastruktur, also mit Wasser. 

In der Praxis ist das häufig sehr mühselig.

Jeder neue Baum im Straßenraum ist ein mittelgroßes Investitionsvorhaben, weil sie Infrastrukturen verlegen oder umgestalten müssen, sofern das überhaupt möglich ist. Sie haben einen ganz anderen Pflegeaufwand, der sehr personalintensiv ist. Und wenn man sieht, dass wir in den nächsten zehn bis zwölf Jahren ein Vierfaches an Hausanschlüssen für Fernwärme brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen, dann bedeutet das, vier Mal so viele Straße aufzureißen, wofür man tendenziell wiederum vier Mal so viele Arbeitskräfte braucht. 

Hand aufs Herz: Glauben Sie wirklich, dass Mannheim bis 2030 klimaneutral ist?

Das ist das Ziel eines EU-Programms, an dem wir (und auch Heidelberg, Anm. d. Red.) teilnehmen. Danach sollen wir bis 2030 80 Prozent unseres CO2-Ausstoßes reduzieren. Das ist ein hohes Ziel, das allein aus eigener Kraft natürlich nicht zu schaffen ist, sondern nur, wenn regulatorisch entsprechende Bedingungen mit gesetzt werden und finanzielle Unterstützung kommt.

Das ist genau der Fokus des Programms, nämlich mit EU, Bund und Land zu entwickeln, was ein solches Ziel konkret bedeutet und was es an Unterstützung von außen dafür braucht, um die Ziele zu erreichen, zum Beispiel wo es Verbote oder Förderung bedarf oder wie die Preisbildung aussieht. Das Programm ist als gemeinsamer Lernprozess angelegt. Aktuell sehe ich das kritisch, weil damit noch nicht richtig begonnen worden ist. 

Es ist relativ ruhig geworden …

Wir haben das sehr deutlich bei der EU angesprochen. Uns fehlt hier auch ein Stück politische Führung. Ich kann nicht ein Projekt platzieren mit der Überschrift "Mission", stelle Vergleiche zur Mondlandung an und dann wird das Thema irgendwo administrativ in den Generaldirektionen abgelegt mit der Erwartung: Die kümmern sich schon. Von dort kommt ganz schnell der Hinweis, wir haben ein riesiges Netzwerk und beraten alle Städte – da kommt dann aber keine politisch-fachliche Dynamik auf. Das ist ein Problem.

Die Stadt hat ja einen eigenen Klimaschutzaktionsplan auf den Weg gebracht. Die Frage ist: Wann kommen die Gelder?

Die Frage ist berechtigt. Ich bin allerdings sehr optimistisch, dass wir unsere Pläne umsetzen können, denn bei der Wärmewende sind wir mit unserer MVV aus eigener Kraft unterwegs. In Baden-Württemberg sind wir eine der ersten Städte, vielleicht sogar die erste überhaupt mit einer grünen Fernwärme vor 2030. Die MVV selbst wird eines der ersten großen Unternehmen sein, das klimaneutral wird.

Den Verkehrssektor können wir dagegen nur ganz schwer gestalten: Der ÖPNV-Ausbau ist unglaublich teuer, gleichzeitig sind die Einnahmen begrenzt. Vor allem dort braucht es die Unterstützung. Wir müssen auch den Ausbau der Radwege durch Bund und Land in großem Stil fördern. Bauen ist darüber hinaus das große Thema. Hier zeigen wir auch an der Buga den Weg. 13 er 17 neuen Häuser am Rande von Spinelli sind auch mit Holz errichtet worden und das Quartier funktioniert als sogenannte Schwammstadt. Also: Wir können im Kampf gegen den Klimawandel viel schaffen, ob wir aber die von der EU gesetzten Überschriften erreichen, hängt überwiegend nicht von uns ab. 

Viele Projekte beim Klimaschutz muss Ihr Nachfolger anstoßen, anpacken und zu Ende bringen. Was können wir von Christian Specht erwarten?

Es wäre nicht angemessen, das zu bewerten oder Ratschläge zu geben. Aus eigener Erfahrung weiß ich einerseits, dass sich die Programmatik in acht Jahren stark ändern beziehungsweise weiterentwickeln kann. Ich hatte zu Beginn meiner zweiten Amtszeit nicht so eine harte Klimaagenda formuliert. Andererseits ist das ein Prozess gewesen, den wir mit dem Klimaschutzaktionsplan und breiter Mehrheit im Gemeinderat beschließen konnten.

Die Einsicht in die Notwendigkeit ist gewachsen. Das gilt für alles, was wir in den vergangenen Jahren als bewusste Strategie einer Stadtentwicklung im Sinne einer Nachhaltigkeit angelegt haben. Ich gehe deshalb davon aus, dass es sowohl in der Spitze, also beim OB angefangen, und auch bei der Verwaltung und im Gemeinderat eine Kontinuität bei den Zielsetzungen und Ambitionen geben wird.

Nun ist es so, dass die Unterstützer von Christian Specht im Gemeinderat große Projekte abgelehnt haben, andererseits aber das linke Lager die Mehrheit hat. Fürchten Sie, dass es künftig im Rat zu einem Hauen und Stechen und zu Blockaden kommen wird?

Jeder OB ist in einer ähnlichen Situation und steht vor der Aufgabe, dass er im Gemeinderat Mehrheiten suchen muss. Es gibt allerdings objektive Herausforderungen, die immer offensichtlicher werden und auf die es Antworten zu geben gilt. Insofern besteht hier eine Macht des Faktischen, politisch wie aus der Sache heraus. So hat es Christian Specht auch selbst formuliert und alle, die die Stadt positiv entwickeln wollen, zur Mitarbeit eingeladen. Insofern gehe ich davon aus, dass in der Sache mehr Kontinuität herrschen wird als jetzt vielleicht von dem einen oder anderen formuliert wurde. 

Apropos Wahlkampf: Sowohl Specht als auch Ihr Wunschkandidat Thorsten Riehle von der SPD haben vor der OB-Wahl argumentiert, Mannheim verkaufe sich unter Wert. Hat sie das getroffen?

Ich bin lange genug dabei, um Wahlkämpfe einschätzen zu können. Ob das taktisch sinnvoll war, müssen jeweils die Parteien und Kandidaten beurteilen. Inhaltlich bekommen wir von außen ganz klar gespiegelt, dass sich Mannheim in den vergangenen 16 Jahren positiv verändert hat, sichtbarer und vielgestaltiger geworden ist und jenseits der Einkaufs- und Industriestadt deutlich an Profil zugelegt hat. Wer hätte denn vor 2007 gedacht, dass wir einmal Heidelberg bei den Übernachtungen überholen?

Da hätten doch die Leute gesagt: "Träum weiter". Klar, da geht sicher immer noch eine Schippe drauf, aber es ist nach wie vor so, wie es eine Kulturinstitution einmal formuliert hat: In Mannheim muss man immer doppelt so viel machen, um die gleiche Sichtbarkeit zu erzielen wie in Stuttgart oder Frankfurt. Wir sind auch noch nicht mit der Konversion fertig, auch wenn Leuchtturmprojekte wie die Buga und der Grünzug Nordost zu sehen sind. Da gibt es noch Potenzial in der überregionalen Wahrnehmung, die man nutzen sollte. Wir sind eine bemerkenswerte Wegstrecke gegangen und haben nun eine Plattform, die man als Sprungbrett weiternutzen kann.

Gibt es Dinge, die in den vergangenen Jahren liegen geblieben sind und die Sie gerne noch angegangen wären?

Manche Dinge haben sich langsamer entwickelt als gedacht oder sind in Folge der Pandemie aus dem Fokus geraten, insbesondere Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Insbesondere die gesellschaftspolitische Spannung und Distanz von Kernstadt und Vororten hatte ich mir für die letzten drei bis vier Jahre meiner Amtszeit vorgenommen anzugehen, es fehlten dann aber im wahrsten Sinne des Wortes die Begegnungsorte und Möglichkeiten, um das Thema breit gefächert zu organisieren und auch in den Stadtteilen zu adressieren. Und dann gibt es Themen, wo man mit einer gewissen Ernüchterung feststellen muss, dass man zwar Fortschritte erzielt hat und erfolgreich gerudert ist – aber gegen den Strom.

Zum Beispiel?

Bildungsgerechtigkeit, Schulabbrecherquote, Sprachstandserhebung. Mit Kindern, die noch keine deutsche Schule gesehen haben und dann mit sieben oder acht Jahren in die zweite Klasse kommen und von null anfangen, ist es kein Wunder, dass wir statistisch nicht vorankommen. Wenn wir nichts gemacht hätten, würde es natürlich schlechter aussehen.

Dennoch: Erfolge sind ebenso nicht sichtbar. Auch hat die Pandemie Probleme vergrößert. Wir haben viel Einsatz gezeigt, um mehr Gerechtigkeit herzustellen. Jetzt müssen wir schauen, dass besonders betroffene Kinder nicht noch weiter abrutschen. Es hat etwas von Sisyphos: Man rollt den Stein den Berg rauf, und der rollt wieder runter. 

16 Jahre Oberbürgermeister – welche drei Errungenschaften lassen sich mit Ihrem Namen verbinden?

Die Grundüberschrift war, Mannheim auf die Zukunft auszurichten. Das bedeutet in einer krisenhaften Welt, die wirtschaftliche Basis zu verbreitern, dass sich mehr Unternehmen und neue Industrien ansiedeln. Außerdem wollte ich den Wissenschaftsstandort stärken. Da haben wir erhebliche Fortschritte gemacht. Wir haben mit einer intensiven Start-up-Förderung Firmen angezogen, obwohl wir im Vergleich zu anderen Standorten etwas nur bedingt bieten können: Wagniskapital. Es ist auch gelungen, die Stadt als Lebensort attraktiver zu machen, so wie ich es bei meinem Amtsantritt angekündigt habe. Wir haben den sogenannten Kampf um Talente sehr früh aufgenommen und waren mutig, Atmosphären zu schaffen.

Auch konnten wir weit ausstrahlende Projekte realisieren: die Kunsthalle, das Marchivum oder die Buga. Die dritte Dimension: Alle Menschen – egal, wo sie oder ihre Eltern herkommen – sollen sich als Mannheimerinnen und Mannheimer fühlen und wir alle ein gemeinsames Verständnis unserer Stadt entwickeln. Das ist eine ständige Aufgabe, der ich mich mit aller Kraft gestellt habe.

Das heißt nicht, dass auch hier der Stein nicht wieder runterrollen kann: Es muss nach wie vor gegen das Auseinandertreiben der Gesellschaft, das Aufeinanderprallen von Gruppen und Egoismen gearbeitet werden. Es hätte viele Situationen gegeben, die schwierig geworden wären, wenn wir ihnen nicht über gute Netzwerke und ein gegenseitiges Verständnis hätten begegnen können. Ich hoffe, dass das in Zukunft so bleibt, es bedarf allerdings der ständigen Pflege. 

Um noch einmal auf Ihren Nachfolger zurückzukommen: Christian Specht hat im Wahlkampf angedeutet, die neue Stadtbibliothek und die Multihalle eventuell zur Disposition zu stellen – zwei Projekte, die Ihnen wichtig sind. 

Für mich war entscheidend, ob es dazu tragfähige Alternativen gibt, die vernünftig sind und in die Zukunft weisen. Damit musste ich mich auseinandersetzen und das wird auch Herr Specht tun. Die Stadt kann sich auch in schwierigen Zeiten keinen völligen Stillstand leisten, muss aber schauen, was finanziell möglich ist. Das Nationaltheater war ja auch so ein Fall. Das konnten wir als Stadt nur angehen, weil es gelungen ist, Unterstützung zu organisieren und 120 Millionen Euro Zuschuss dafür zu generieren. Alternativlos absagen, geht jedenfalls in beiden Fällen nicht, und so hat es Christian Specht auch nicht formuliert. 

Wir haben den Eindruck, dass Sie seit Ihrer Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, gelöster und befreiter wirken. Täuscht das? 

Wenn Sie das so wahrnehmen, dann mag da was dran sein, vielleicht ist auch meine Selbstbeobachtung nicht so ausgeprägt (lacht). Ich kann nicht sagen, dass da eine riesige Last von mir gefallen ist. Klar ist: Ich bin zufrieden mit der Entscheidung, die aber auch Kraft gekostet hat.

In den Wochen vor der Entscheidung kamen wir zu der Einschätzung, dass Ihnen die Zukunft des Uniklinikums sehr zusetzt und nicht ohne Spuren blieb. 

Das war auch so, aber solche Phasen gibt es immer wieder. Deshalb habe ich mir auch genau überlegt, ob ich für alle neuen Herausforderungen, die man heute noch gar nicht kennt, die Fähigkeit habe, mich darauf einzulassen – was den Umfang an Arbeit angeht aber auch mit den Belastungen, die manchmal mit Frust und der Fähigkeit zum Frustrationsabbau verbunden sind.

Gab es einen entscheidenden Auslöser, nicht mehr anzutreten?

Nein, es war ein Prozess der Selbstprüfung und des Sich-Reindenkens in die beiden alternativen Welten: Trete ich an und trete ich nicht mehr an. Da spielt nicht nur Rationalität eine Rolle, sondern auch das Gefühl. Es war am Ende ganz eindeutig, was sich richtig anfühlt.

Konnten Sie die Entscheidung selbst fällen oder wurden Sie ein Stück weit auch dazu gedrängt? 

Ich konnte sie autonom treffen, wusste aber um eine bestimmte Erwartungshaltung weiterzumachen im Hintergrund. Es ist aber nicht gesund und sinnvoll, sich für etwas zu entscheiden, das seinem Innersten nicht entspricht. Meine Frau hat zu mir gesagt: Die Voraussetzung ist, dass du das wirklich willst. Eine halbgare Entscheidung hätte ihr nicht ausgereicht – und mir auch nicht. 

Wenn man so wie Sie 16 Jahre fast 24/7 im Dienst ist, sich akribisch in alle Themen einarbeitet und kaum Freizeit hat, kam da manchmal das Gefühl auf, dass einen das Amt auffrisst? 

Das ist wahrscheinlich so, ohne dass man es merkt. Als Oberbürgermeister verschmelzen fast zwangsläufig Amt und Person. Ich habe dafür aber immer ein Problembewusstsein behalten. Jetzt muss ich mich sozusagen rausschälen aus dem Amt. Das ist ein Prozess. Und es kann Verluste geben, die man aktuell vielleicht noch gar nicht kennt.

Können Sie entschleunigen oder müssen Sie das erst noch lernen?

Ich weiß, dass ich das grundsätzlich kann. Die Frage ist, wie lange, in welchem Ausmaß und was einem guttut. Das ist das, was ich mit dem "offenen Feld" verbinde, vor dem ich jetzt stehe. Das Härteste und gleichzeitig Befreiende wird sein, das ich nicht mehr fremdorganisiert bin. Bislang arbeiteten einige Leute daran, dass ich selbst maximal effizient sein kann. Das ist alles weg. Deshalb ist es mir wichtig, mich nicht gleich auf Sachen einzulassen, die am Ende eventuell gar nicht meinen Ressourcen entsprechen. 

Gibt es ein Land, das Sie unbedingt bereisen wollen, oder einen dicken Schmöker lesen oder ein Museum besuchen? 

Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass einem das halbe Europa fremd ist. Was ich tatsächlich noch nicht kenne, ist zum Beispiel der Balkan. Da gibt es für mich viel Neues zu entdecken. 

Was machen sie ab dem 4. August?

Dafür habe ich noch keine Pläne, am nächsten Tag heißt es für den Urlaub packen und vielleicht noch dazwischen irgendwo eine Kiste hinstellen. Der frühere Weinheimer Oberbürgermeister Heiner Bernhard hat auf die Frage, was er im Ruhestand macht, gesagt: "Erst mal den Keller aufräumen". Da hätte meine Frau aber was dagegen.

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