Mannheim

Wie die MVV Energie sauberer macht

Der Energieversorger will spätestens ab 2040 nicht nur klimaneutral, sondern sogar klimapositiv sein. Er setzt unter anderem auf Wind und Solar, auf Wärmepumpen und auf Abfallverwertung.

01.08.2023 UPDATE: 02.08.2023 06:00 Uhr 6 Minuten, 56 Sekunden
An der CO2- Abfüllanlage der MVV-Bioabfallvergärung in Dresden wird das flüssige Treibhausgas abgefüllt und anschließend abtransportiert. Foto: MVV

Von Barbara Klauß

Mannheim. Es sei wichtig zu wissen, woher man kommt, meint MVV-Chef Georg Müller. "Aber dabei darf man nicht stehen bleiben." Wo der Mannheimer Energieversorger hin will, ist eindeutig, wie Müller bei einem Treffen des "Club der kurpfälzischen Wirtschaftsjournalisten" erklärt: Klimapositiv soll die MVV werden, spätestens nach dem Jahr 2040 – also der Atmosphäre mehr klimaschädliche Emissionen entziehen als das Unternehmen verursacht.

MVV-Chef Georg Müller. Foto: MVV

Die MVV Energie AG ist mit mehr als 6100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie einem Jahresumsatz von rund 4,2 Milliarden Euro eines der führenden Energieunternehmen Deutschlands. Neben Strom versorgen die Mannheimer ihre Kundinnen und Kunden mit Wärme, Gas, Wasser sowie Dienstleistungen und Abfallverwertung – auch über die Grenzen der Stadt hinaus.

Die Geschichte der MVV begann vor genau 150 Jahren mit fossiler Energie: Als Startpunkt wird die Übernahme eines Leuchtgas-Werkes in den Quadraten und des zugehörigen Gasleitungsnetzes im Jahr 1873 durch die Stadt Mannheim genannt. Und fossile Energiequellen prägten das Unternehmen für eine sehr lange Zeit. Doch änderte sich die Energie im Laufe des Jahrhunderte immer wieder – ausgelöst durch Fragen des Preises oder der Verfügbarkeit, zudem durch neue Technologien. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts rückt außerdem zunehmend die Frage der Umweltverträglichkeit ins Bewusstsein. Auch bei der MVV.

"Wir können den Klimawandel nicht mehr ernsthaft bestreiten", sagt Müller im Gespräch mit den Journalistinnen und Journalisten. Ebenso wenig, dass er menschengemacht ist und sich beschleunigt. Und, fügt der MVV-Chef hinzu, "dass wir als MVV auch zu den Verursachern gehören." Müller leitet daraus einen Handlungsauftrag ab. Wo steht die MVV also heute? Wo möchte sie hin? Und wie kann ein Energieversorger klimaneutral oder sogar -positiv werden?

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Wie hoch sind die CO2-Emissionen der MVV derzeit? Dem Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens zufolge hat die MVV im Jahr 2022 knapp 8,7 Millionen Tonnen CO2 direkt und indirekt ausgestoßen.

Woher kommt derzeit die Energie der MVV? Der Anteil erneuerbarer Energien an der eigenen Stromerzeugung betrug laut Nachhaltigkeitsbericht im vergangenen Jahr 32 Prozent. Den Anteil von Grüner Wärme an eigener Wärmeerzeugung beziffern die Mannheimer für 2022 mit 39 Prozent. Rund 60 Prozent der Fernwärme kommen laut Müller derzeit aus dem Großkraftwerk Mannheim (GKM).

"In unseren konventionellen Kraftwerken setzen wir für die Erzeugung von Strom und Wärme fossile Brennstoffe, vor allem Erdgas und Steinkohle sowie regenerative Brennstoffe ein", schreibt die MVV. Dazu zählt der Energieversorger feste Biomasse, Restabfälle sowie sogenannte Ersatzbrennstoffe, die aus Abfällen gewonnen werden.

Es handele sich dabei nicht um Brennstoffe im engeren Sinne, heißt es im Bericht, da sie nicht vorrangig zur Energieerzeugung, sondern aufgrund des Entsorgungsauftrags verwertet würden. "Typischerweise besteht die Hälfte der Abfälle aus biogenen Quellen, dieser Anteil gilt daher als erneuerbar", so die MVV.

Im Jahr 2022 wurden laut Nachhaltigkeitsbericht 522.000 Tonnen Biomasse eingesetzt, 2.018.000 Tonnen Abfälle/EBS, 84.000 Tonnen Steinkohle, 2 393 Millionen Kilowattstunden Erdgas und 354 Millionen Kilowattstunden sonstige Fossile. Die fossile Erzeugung soll laut Nachhaltigkeitsbericht jedoch reduziert werden. Dazu gehöre auch, den politisch beschlossenen Kohleausstieg konsequent voranzutreiben.

2021 hatte sich die Bundesregierung darauf verständigt, "idealerweise" bis 2030 aus der Energiegewinnung aus Kohle auszusteigen. Allerdings werden seit 2022 – infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise in Deutschland wieder verstärkt Kohlekraftwerke eingesetzt.

Kohlekraftwerke

Derzeit ist Unternehmensangaben zufolge das Steinkohlekraftwerk in Offenbach das einzige Steinkohlekraftwerk im konventionellen Erzeugungsportfolio der MVV. "Aufgrund des mehrjährigen Vorlaufs für den Neubau CO2-armer Wärmeerzeugung rechnen wir mit einer Stilllegung in wenigen Jahren", heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Eine Tochtergesellschaft in der Tschechischen Republik, die mehrere kleine kohlebasierte Anlagen betreibt, hat die MVV Ende 2022 verkauft. "Wir werden spätestens Ende dieser Dekade die Kohlenutzung vollständig eingestellt haben.".

Am Großkraftwerk Mannheim (GKM) ist die MVV mit 28 Prozent beteiligt. Derzeit sind dort den Angaben zufolge noch drei steinkohlebasierte KWK-Kraftwerksblöcke in Betrieb.

Ende 2022 Entschied das GKM auf Initiative der Bundesregierung, Block 7, der sich bis zu diesem Zeitpunkt in der Netzreserve befand, ab dem 1. Januar 2023 "aus Gründen der Versorgungssicherheit wieder temporär am Strommarkt anzubieten", wie die MVV schreibt. "Generell richten wir unsere Planungen und Maßnahmen auf ein Ende der Kohleverstromung bis zum Ende der 2020er Jahre aus."

Die Festlegung konkreter Stilllegungszeitpunkte für die einzelnen Kraftwerksblöcke stehe jedoch unter dem Vorbehalt der Versorgungssicherheit sowie der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Vereinbarungen mit dem GKM und den GKM-Aktionären

Welches Ziel hat sich das Unternehmen gesetzt? "Mannheimer Modell" nennt die MVV den Weg, den sie eingeschlagen hat, "um sich der Herausforderung Klimaschutz" zu stellen. Die Rede ist von einem "Dreiklang aus Wärmewende, Stromwende und grünen Kundenlösungen". So soll bis zum Jahr 2030 die Fernwärme in Mannheim und der Region sowie in Offenbach vollständig "grün" sein.

Strom aus Sonne und Wind

Spätestens 2035 will die MVV zudem nur noch Energie aus erneuerbaren Quellen an ihre Kundinnen und Kunden liefern und auch kein konventionelles Gas mehr anbieten. "Wir investieren in unsere eigene Erzeugung aus erneuerbaren Energien und entwickeln Wind- und Solarprojekte für Dritte", erklären die Mannheimer dazu. Teil der MVV Gruppe ist der Projektentwickler Juwi. Zu dessen Geschäftsfeldern zählen vor allem Projekte mit Wind- und Solarenergie sowie Hybridsysteme mit Speichern für industrielle Anwendungen.

An welchen Stellen setzt der Energieversorger konkret an? Gerade erst haben die Fernwärme Rhein-Neckar GmbH (FRN), eine Tochter der MVV, und die Stadtwerke Heidelberg einen Vertrag unterschrieben, der die Partnerschaft zwischen Heidelberg und Mannheim für eine grüne Fernwärmeversorgung in der Region vertiefen soll. Gemeinsames Ziel sei es, die aktuell noch größtenteils fossile Fernwärme aus dem GKM Schritt für Schritt durch nachhaltige, klimaneutrale Grüne Wärme zu ersetzen, teilten die Energieversorger mit.

An die Stelle einer einzigen großen Erzeugungsanlage sollen nach und nach viele kleinere dezentrale Lösungen treten. In Heidelberg werden 50 Prozent aller Haushalte mit klimaneutraler Fernwärme versorgt. Seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bezieht Heidelberg dafür den Angaben der MVV zufolge auch Fernwärme aus Mannheim.

Als einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zur Grünen Wärme nennt Konzernchef Müller im Nachhaltigkeitsbericht der Bau einer Flusswärmepumpe am Rhein, die mit einer thermischen Leistung von 20 Megawatt und einer elektrischen Leistung von 7 Megawatt "zur Vergrünung der Fernwärme in Mannheim beitragen" wird. "Wir planen, sie noch in 2023 offiziell in Betrieb zu nehmen", so Müller. Zudem rüste das Unternehmen sein Biomassekraftwerk für die Nutzung von Abwärme um. Im Laufe des Jahres 2024 soll es ebenfalls an das Fernwärmenetz angeschlossenen werden.

Geothermie

Als weiteren Baustein zur Dekarbonisierung der Fernwärme bezeichnet der MVV-Chef Tiefengeothermie. "Der Oberrheingraben gilt europaweit als eine der ertrag- reichsten Regionen", erklärt er. Gemeinsam mit der EnBW wurde bereits das Gemeinschaftsunternehmen GeoHardt gegründet. "GeoHardt untersucht Vorzugsgebiete für Geothermie-Anlagen südlich von Mannheim und hat ein Potenzialgebiet mit einer Größe von 7000 Hektar identifiziert", heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Erste 3D-Seismik-Messungen seien bereits vorgenommen worden.

Das sei kein einfaches Thema, sagt MVV-Chef Müller – fügt aber hinzu: "Wir werden alle Wärmepotenziale prüfen müssen. Und dazu gehört am Oberrhein auch die Geothermie." Den Sorgen, die die Menschen bei diesem Thema hätten, müsse man sich stellen. "Aber, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, können wir nicht von vornerein sagen, wir gehen dem in einer der geothermisch interessantesten Regionen Europas nicht nach."

Reststoffe und Biomasse

Teil des "Mannheimer Modells" sind zudem die Anlagen der MVV "zur Verwertung von Reststoffen und Biomassen", wie es beim Energieversorger heißt. So wurde in Sachsen-Anhalt etwa im vergangenen Jahr die zweite Anlage zur Vergärung und energetischen Nutzung von Bioabfällen in Betrieb genommen. Sie speist das erzeugte Biomethan in das regionale Gasnetz ein.

CO2-Abscheidung in Dresden

Gerade hat die MVV zudem ihrer eigenen Einschätzung nach einen weiteren Meilenstein: Die Vergärungsanlage für Bioabfall in Dresden-Klotzsche sei die erste Anlage des Unternehmens, an der mehr klimaschädliches CO2 abgeschieden und gespeichert werde als in die Atmosphäre entlassen, teilten die Mannheimer kürzlich mit. Das abgeschiedene Kohlendioxid wird der MVV zufolge verflüssigt und anschließend im Betonrecycling eingesetzt – also durch Einspeicherung in Abbruchbeton dauerhaft der Atmosphäre entzogen.

"Mit unserem Projekt in Dresden zeigen wir das ganze Potenzial von Bioabfallvergärungsanlagen auf: Zusätzlich zu ihrem Beitrag für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und die energetische Nutzung von Bioabfällen sind sie jetzt echte CO2-Senken", erklärte MVV-Technikvorstand Hansjörg Roll laut Mitteilung.

Auch in Mannheim arbeitet das Unternehmen an einem Pilotprojekt, mit dem CO2 aus dem Rauchgas der Abfallverwertung und des Biomassekraftwerks auf der Friesenheimer Insel abgeschieden und genutzt werden soll.

Auch die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 ist nicht unumstritten. Auch hierzu erklärt Konzernchef Müller: "Wir müssen uns da auch ehrlich machen. Wir können nicht alles ausschießen – aber dieses und jenes erreichen wollen."

Wie viel investiert die MVV in Nachhaltigkeit? Um die Energiewende umzusetzen und zugleich die Versorgungssicherheit zu wahren, investieren die Mannheimer eigenen Angaben zufolge zwischen 2016 und 2026 insgesamt 3 Milliarden Euro. Im Geschäftsjahr 2022 waren es demnach 335 Millionen Euro.

Welche Kritik wird sonst an den Plänen der MVV geäußert? Immer wieder gibt es Proteste von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die der Ansicht sind, dass sich die MVV nur vordergründig umweltfreundlich verhält. So fordern sie etwa einen tatsächlichen und schnelleren Ausstieg aus fossilen Energien. Kritik gab es etwa am Neubau von zwei Gasheizkesseln auf der Friesenheimer Insel und in Neckarau. Kritisiert wird zudem, dass die MVV die Müllverbrennung in Biomasseheizkraftwerken als klimaneutral bezeichnet, ebenso wie die Verbrennung von Altholz.

Wie reagiert die MVV-Führung darauf? Wenn etwa das GKM morgen abgestellt würde, so eine der Forderungen, "dann ist es im nächsten Winter in Mannheim, in Teilen Heidelbergs, in Speyer und Ketsch kalt", so Müller. Weil es noch keine Alternative gibt. Damit, meint der MVV-Chef, würde man der Energiewende keinen Dienst erweisen. Mit Blick auf die "Abfallverwertung" erklärt er: "Wenn wir unseren Abfall nicht aufessen wollen, muss er irgendwo hin." Recycling sei wichtig, fügt er hinzu. Aber Reste werden immer bleiben. Sie zu deponieren, meint Müller, sei noch schlechter, weil alle Deponien CO2 und Methan ausstoßen. "Also ist Verwertung als Ressource sinnvoll."

Welche Forderungen stellt das Management selbst? "Natürlich geht es nicht ohne Rahmenbedingungen, die eine gewisse Verlässlichkeit bieten", sagt der Vorstandsvorsitzende. Zunächst sei eine höhere Geschwindigkeit nötig. "Wir können uns ein Genehmigungsverfahren für einen Windpark aus drei Windrädern, das sieben Jahre dauert, nicht leisten." Dass es schneller vorangehen müsse, wisse man seit zehn Jahren, fügt er hinzu.

"Das Schlimme ist, dass an der Stelle trotzdem bisher nichts passiert ist." Ausdrücklich lobt der MVV-Chef den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der als erster auf diesem Posten das Thema tatsächlich in Angriff nehme. Zudem fordert er Manager mehr Flächen für Wind und Solar.

Wie groß ist die Zuversicht? Letztendlich, meint der MVV-Chef, sei die Energie- und Wärmewende ein Gemeinschaftswerk. "Das Thema wird uns alle betreffen." Für diejenigen, die schlechtere Rahmenbedingungen – sozial, finanziell oder aus strukturellen Gründen – hätten, müsse es einen Ausgleich, eine Unterstützung geben, sagt er.

Bis die Wende geschafft ist, werden noch ein paar Jahre vergehen, so Müller. Es wird noch einiges zu klären zu klären sein, vieles zu diskutieren und auszuhandeln. "Aber wir sind besten Mutes."

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