Verliert der Mannheimer Jungbusch seine Seele?
Quartiermanager und Mieterverein schlagen Alarm: der Wandel vom einstigen Rotlichtviertel zum hippen Szenestadtteil für Künstler und Kreative ist in vollem Gange, die Preise steigen

In der Kauffmannmühle am Verbindungskanal entstehen derzeit luxuriöse Eigentumswohnungen. Mieten haben teilweise das Niveau der Oststadt erreicht, die als einer der teuersten Stadtteile Mannheims gilt. Foto: Gerold
Von Jan Millenet und Julie Dutkowski
"Die Jungbuschbewohner wollen keinen Schickimicki-Stadtteil", sagte Michael Scheuermann im Jahr 2013 in einem Gespräch mit der RNZ. Damals sprach er noch von einer "Gefahr der Gentrifizierung". Doch heute, fast vier Jahre später, schlägt der Quartiermanager schärfere Töne an. Er spricht von einer "zweiten Stufe der Gentrifizierung". Also einem Austausch der Bevölkerungsgruppen.
Der Wandel vom einstigen Rotlichtviertel zum hippen Szenestadtteil für Künstler und Kreative ist in vollem Gange. Nicht nur in der Kauffmannmühle an der Hafenstraße entstehen derzeit luxuriöse Eigentumswohnungen. Auch Immobilien im Herzen des Stadtteils werden immer mehr zur Luxusware.
"Alteingesessene haben Angst"
Der Jungbusch ist so attraktiv geworden, dass er die zahlungskräftige Bevölkerung anlockt. Mehr noch: Er zieht große Immobiliengesellschaften und Banken an, die Geld investieren, indem sie viele Gebäude aufkaufen, diese sanieren und zu Preisen wiedervermieten, die sich nur Menschen mit einem hohen Einkommen leisten können, sagt Scheuermann.
Auch interessant
So sollen in den vergangenen zwei Jahren etwa 20 Häuser in der Beil-, Böck- und Jungbuschstraße verkauft und teils über den Mannheimer Immobilienmakler Hildebrandt & Hees vom international agierenden Anlagefonds (PNB Paribas Reims) finanziert worden sein, weiß Alexander Sauer vom Mieterverein Mannheim. Mit seiner Marktmacht treibe der Anlagefonds die Preise hoch.
Viele Investoren, die mit spannenden Konzepten für eine gewisse Vielfalt sorgen, wie es etwa auf dem Turley-Areal der Fall ist, könnte der Quartiermanager begrüßen. Dass aber eine einzige Gruppe Dutzende Häuser im Jungbusch gekauft hat, sei besorgniserregend.
Die Folge: Einkommensschwächere Menschen werden mit Mieterhöhungen konfrontiert. Nach und nach verlassen sie den Jungbusch. Und nicht nur das. "Sie haben Angst", weiß Sauer, der auch Anwalt für Mietrecht in Mannheim ist. "Normale Arbeitnehmer oder Familien haben keine Chancen mehr." Die Kaltmieten liegen teilweise bei elf Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Der Mannheimer Mietspiegel lag im Dezember bei 7,05 Euro. "Elf Euro zahlt man für eine Luxuswohnung in der Oststadt, doch aber nicht für eine Wohnung in einem stinknormalen Mietshaus", ärgert sich Sauer.
Auch die Immobilienpreise sind enorm gestiegen. "Häuser, die vor ein paar Jahren noch für 300.000 Euro verkauft wurden, kosten heute 1,5 Millionen Euro", weiß Scheuermann. Leisten können sich die Wohnungen neben Besserverdienern vor allem Studenten, die Wohngemeinschaften gründen und sich somit die Miete teilen können oder Kreative, die von zu Hause aus arbeiten, sagt Sauer.

Immobilien im hippen Szeneviertel Jungbusch werden immer teurer. Die Bewohner befürchten, dass sie vertrieben werden. Foto: Gerold
Der Wandel zum Szeneviertel zieht auch entsprechende Kneipen und Gastronomie an. "Manchen ist der Stadtteil zu laut geworden, zu sehr vom Nachtleben geprägt, was nicht mehr deren Bedürfnissen des Wohnens entspricht", sagt Scheuermann. Ähnliches bestätigt auch Sauer. "Das haben Sie sonst nirgendwo, dass nachts so ein Lärm herrscht." Anwohner beschwerten sich schon.
Dabei ist ein Wandel des Jungbuschs von Scheuermann durchaus gewollt, auch Sauer spricht sich für eine Durchmischung aus. "Der Stadtteil soll sich positiv entwickeln", sagt der Quartiermanager und blickt zurück: "Seit Jahren beklagen wir, dass hier Häuser verwahrlosen, dass sich hier Konflikte aufbauen, die negativ auf den Stadtteil ausstrahlen und auch im Bereich des friedlichen Zusammenlebens belastend sind."
Jetzt sei der Jungbusch spannend, lebendig, szenisch geworden. Somit habe sich das Phänomen einer drohenden Spaltung des Stadtteils am Verbindungskanal um 180 Grad gewendet. Scheuermann: "Früher versuchte man, die Armutszunahme im Jungbusch zu verhindern. Heute ist es genau das Gegenteil."
Mit einem großen Aber blickt Scheuermann auf die Entwicklung der Immobilienpreise. Es stelle sich daher die Frage: "Sind diese Finanzkräfte, die für eine Aufwertung sorgen und in Richtung gehobenes Wohnen ziehen, so stark, dass sie die Lebendigkeit, das Szenische und die Vielseitigkeit überrollen, sodass am Schluss nicht nur eine Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen stattfindet, sondern auch eine Entwicklung des Jungbuschs hin zum Nobelstadtteil und zur Eintönigkeit?" Diese Frage stellten sich im Übrigen alle im Jungbusch, so der Quartiermanager.
"Es wäre schade, wenn der Stadtteil seine Seele verliert", sagt Sauer. Er wünscht sich, dass die Stadt regulierend eingreift. "Warum kauft sie hier nicht über ihre Tochtergesellschaft GBG Häuser?" Es könne nicht sein, dass hier auf einmal 20 Immobilien zum Verkauf stehen, und die Stadt schlage nicht zu. "Da hat wohl jemand verschlafen."
Auch Scheuermann bezweifelt, dass es in dieser Phase der Stadtteilentwicklung genügt, die "freien Kräfte des Markts allein wirken zu lassen". Jetzt müssten politische Diskussionen geführt werden, fordert der Quartiermanager.
Stadtverwaltung soll eingreifen
Auf Anfrage, wie das Thema "Gentrifizierung im Jungbusch" in der Stadt beachtet wird, verweist die Verwaltung auf eine Vorlage aus dem Jahr 2015. Darin steht, dass die Stadt Investitionen in den Gebäudestand mit Blick auf die Stadterneuerung grundsätzlich begrüße.
Mieterhöhungen beziehungsweise eine Anpassung der Mieten an ortsübliche Vergleichsmieten seien dabei nicht zu vermeiden. Gleichwohl habe die Stadt kein Interesse an einer Verdrängung eingesessener Bewohner durch sogenannte Luxussanierungen, heißt es darin. Und sie will genau beobachten, ob solche Luxussanierungen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bedrohen. Sollte dies der Fall sein, könnte der Erlass einer Satzung zur Erhaltung der Bevölkerungszusammensetzung geprüft werden.



