Mannheim

Nationaltheater auf dem Weg zur Nachhaltigkeit

Auch das Publikum soll mitgenommen werden.

23.05.2023 UPDATE: 28.05.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 2 Sekunden
Foto: Maximilian Borchardt

Von Jesper Klein

Mannheim. Zur verträumten Musik von Claude Debussys "Clair de lune" schweben Schwämme und Süßkartoffeln durch die Lüfte. In seinem Kunstatelier vollführt Tomas Kleiner artenübergreifende Flugübungen, wie er seine Kunstaktionen nennt, bei denen Pflanzen mit Hilfe von Heliumballons mobilisiert werden.

Der vom Mannheimer Nationaltheater in der Kunsthalle veranstaltete Musiksalon soll mithilfe der emotionalen Kraft der Musik, aber ohne erhobenen Zeigefinger, die Besucher dazu anregen, über die Klimakrise ins Gespräch zu kommen.

Das Wandelkonzert der Veranstaltungsreihe "greeNTO – Es ist Zeit" ist nur ein Beispiel, wie das Nationaltheater als Botschafter für Klima- und Umweltschutz Signale nach außen sendet. Zugleich nimmt der Kulturtanker das eigene Handeln in den Blick.

Mit dem auf zwei Spielzeiten angelegten, vom Bund mit 170.000 Euro geförderten Projekt will man eine C02-Bilanz des gesamten Hauses vorlegen, die momentan finalisiert wird. So soll auch eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie entstehen.

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Ansprechpartner für alles rund ums Klima ist am Nationaltheater Detlef Grooß, Bratschist im Orchester und zugleich Nachhaltigkeitsbeauftragter. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, schließlich ist das Thema für viele Kultureinrichtungen recht neu und zudem unübersichtlich. "Ich habe gelernt, dass so etwas Zeit braucht", erzählt Grooß. Und: "Es gibt niemanden am Theater, der zu wenig zu tun hat."

Doch die zusätzliche Arbeit nimmt man in Mannheim in Kauf. So weit wie das Nationaltheater ist bisher keiner der großen Kulturplayer in der Region. Das zeigt sich nicht nur darin, dass man mittlerweile eine Fotovoltaikanlage auf dem Werkhaus installiert hat – das neue Zentrallager soll folgen.

Klimaneutrales Theater also? Das ist Wunschdenken. "Emissionsfreie Kultur ist ebenso wenig möglich wie emissionsfreies Leben", sagt Grooß, der im Laufe der vergangenen Monate und Jahre das gesamte Haus in den Blick genommen hat, um Einsparpotenziale zu ermitteln. Allein diese Bestandsaufnahme braucht Zeit – und ist noch immer nicht abgeschlossen.

Doch jetzt werden konkrete Ergebnisse sichtbar. Etwa beim Transport, einem großen Faktor in der CO₂-Bilanz des Vierspartenhauses, der in Zeiten von Generalsanierung und Ersatzspielstätten aber unumgänglich ist. "Wir haben wesentlich mehr Diesel verbrannt als erwartet", hält Grooß fest. Darin könne man aber auch einen Impuls zur Elektrifizierung der Fahrzeugflotte sehen. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen – und kostet Geld.

Die Geschäftsführung hat Grooß hinter sich: "Das Thema Nachhaltigkeit rückt in den Kulturbetrieben mehr und mehr in den Fokus", sagt Tilmann Pröllochs, Geschäftsführender Intendant. "Natürlich ist es teilweise auch mit Mehrkosten verbunden, das bekommt man auf einer anderen Ebene aber wieder zurück." Eine Nullbilanz könne man als Theater allerdings nicht herstellen. Pröllochs findet es großartig, dass sich das Theater bereits auf den Weg gemacht hat, bevor er nach Mannheim kam. Er wirbt für mehr Zusammenarbeit, wie sie schon beim Buga-Stück "Pigs" gelang. "Wir könnten manchmal noch mehr senden", sagt er über die Rolle des Nationaltheaters als Klima-Botschafter.

Ein anderer Aspekt zeigt sich im Herzen des Theaters, in den Werkstätten, in die das Publikum normalerweise keine Einblicke erhält. Dort leitet Christian Thurm die Schreinerei. Seit 2021 achtet er verstärkt auf den nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen. Wo Holz früher auf dem Müll landete, werden jetzt alte Bühnenböden wiederverwendet. Bei den in Krisenzeiten gestiegenen Holzpreisen sparte das Theater so allein für die laufende Spielzeit mehrere 10.000 Euro.

Eine große Herausforderung sei das eigentlich nicht gewesen, sagt Thurm, es brauche nur ein wenig Überzeugungsarbeit, um es anzupacken. Mittlerweile achtet man auch beim Kulissenbau verstärkt darauf, Sperrholz nicht zu lackieren, um das Holz später wiederverwenden zu können.

Für die Bühnenbilder einer Reihe von Tanz- und Schauspiel-Produktionen liegt der Recycling-Anteil zwischen 25 und 95 Prozent. Für eine Produktion im Studio Werkhaus wurde das Bühnenbild sogar in Gänze recycelt. Auch der Berg aus der Inszenierung der Wagner-Oper "Tristan und Isolde" soll komplett recycelt werden, sobald die Produktion abgespielt ist. Lagern und wiederverwenden – das ist einer von vielen nachhaltigen Bausteinen am Nationaltheater, die sich auch finanziell lohnen.

Davon profitiert zum Beispiel Emily Keller, die Organisationsleiterin der Schauspiel-Sparte. "Wir im Schauspiel könnten uns viele Bühnenbilder nicht leisten, wenn die Oper nicht große Stücke abspielen würde, die wir weiterverwenden können", sagt sie. Trotzdem müsse es auch um umweltschonende Maßnahmen gehen, die über die finanziellen Notwendigkeiten hinausreichen.

Dass zwei Ausstatterinnen mit innovativen Materialien experimentieren, etwa mit aus Pilzen gezüchtetem Styropor, ist ein Impuls. Weniger bei Amazon bestellen ein anderer. Auch der städtischen Initiative "Plastikfreie Stadt" will man sich nun anschließen.

Für Detlef Grooß geht es bei solchen Maßnahmen immer um die Verhältnismäßigkeit. "Man könnte in einem solchen Haus problemlos 4000 Maßnahmen benennen – angefangen von den Pappbechern bis hin zum Transport", erzählt er.

Die CO₂-Bilanzierung soll nun auch bei der Einschätzung helfen, welche davon überhaupt relevant sind und welche nicht. Die Idee, das vorgehaltene warme Wasser im Haus zu reduzieren, stellte sich als viel zu kostspielig heraus. Der Umbau der Anlagen hätte 18.000 Euro gekostet. Es gebe wichtigere Dinge.

Einen wesentlichen Anteil der CO₂-Emissionen des Mannheimer Theaters machen die anreisenden Zuschauer aus. Bei einer Umfrage aus dem Jahr 2019 stellte sich heraus, dass 68 Prozent der Befragten mit dem Auto anreisten – und das, obwohl die Theaterkarten auch als Tickets für den ÖPNV gelten und sich die Haltestelle direkt vor der Tür befindet. Überschlagen mache das einen Anteil am gesamten CO₂-Output von 46 Prozent aus.

"Die Zuschauermobilität ist ein Thema, das man adressieren muss, zum Beispiel durch Kampagnen", sagt Grooß, weist aber auch auf die Vorbildwirkung des Theaters hin. "Wir können nicht Wasser predigen und Wein trinken."

Dass man mit dem Gastspiel von Richard Wagners "Ring" in Südkorea zuletzt die eigenen Bemühungen torpedierte, ist daher noch immer ein heikles Thema. Eine Kompensation in Form eines lokalen Projekts ist weiterhin in Planung. Beim Blick auf das große Ganze sind die Kulturinstitutionen für Grooß aber keinesfalls der entscheidende Faktor. "Der Gesamtoutput der Kultur geht im Grundrauschen einer Großstadt unter", sagt er. Der Jahresausstoß der elf großen Hamburger Museen entspreche etwa acht Flügen von Hamburg nach New York. "Unsere Kerntätigkeit, auf der Bühne stehen und singen, erzeugt keine Emissionen. Sie ist der Gegenentwurf zu Konsum. Was unsere Welt kaputtmacht, ist der Überkonsum."

Nach den Flugübungen von Tomas Kleiner in der Mannheimer Kunsthalle sind die nächsten Aktionen schon in Planung. Bei "Musik im Park" am 11. Juni im Schwetzinger Schlossgarten arbeitet man auch gegen das Klischee an, dass Künstler nicht selbst anpacken können – mit einem Workshop zur nachhaltigen Gartengestaltung.

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