Erinnerung an die letzte Party nach einem Jahr Dauerpause verblasst
Emotionale Tiefpunkte und kämpferischer Aktionismus: Clubbetreiberin Carolin Ott und Jazztrompeter Thomas Siffling erzählen. Sie sind gefangen in der zermürbenden Warteschleife.

Von Marco Partner
Mannheim. Die Kulturschaffenden waren vor einem Jahr die Ersten, die in den Lockdown gehen mussten. "Und wir werden die Letzten sein, die wieder öffnen", prophezeit Carolin Ott. Seit dem 13. März 2020 hat ihre "Disco Zwei" wie alle anderen Clubs und Diskotheken in der Republik geschlossen. Ans Aufgeben denkt die Clubbetreiberin nicht, doch wie fühlt man sich nach einem Jahr Dauerpause?
Die Erinnerung an den letzten vollen Laden, an eine Party bis zum Morgengrauen, an Schweiß, Lachen und Tanzen mit Laser-Blitzlicht, Kunstnebel und lauten, scheppernden Beats ist schon verblasst. "An so etwas zu denken und melancholisch zu werden, wäre nicht gut. Das lasse ich gar nicht erst zu", betont sie. Statt Trübsal zu blasen, schaut Ott in die Zukunft und auf die Situation der anderen Leidtragenden.
Carolin Otts Blick für die Club- und Kulturbranche hat sich seit der Pandemie geweitet: "Ich bin zur Aktivistin geworden. Kulturtreibende werden depressiv oder sie ergreifen die Flucht nach vorne", sagt Ott, die mit an der Spitze des Bündnisses für Kulturschaffende um Freiflächen für Konzerte und Co. im Sommer kämpft. Auch wenn sie diese selbst eigentlich gar nicht bespielen kann.
In ihren Club im Quadrat T6 gehe sie nur noch selten. Nur, um die Post abzuholen, nach dem Rechten zu sehen und die Wasserhähne aufzudrehen, sodass die Leitungen nicht ganz verkalken. "Es ist alles wie konserviert. Es gibt kein konkretes Ziel, worauf man hinarbeiten könnte", betont Ott. Das Jahr 2021 hat sie schon abgeschrieben, vor 2022 rechnet sie nicht mit dem Neustart.
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Zunächst sollten die Discos nur für ein paar Wochen schließen. Inzwischen ist über ein Jahr daraus geworden. Statt des Pausenknopfs wurde die Stopptaste gedrückt. Die "Disco Zwei" ist im Standby, doch der Stecker wurde nicht ganz gezogen. Soforthilfen, Überbrückungsgeld, Kultur- und Livemusik-Förderung: Dank verschiedener monetärer Unterstützungen aus Bund, Land und Stadt kommt Carolin Ott finanziell über die Runden und kann zumindest die Miete decken. Ihre Mitarbeiter musste sie jedoch allesamt entlassen. "Wir Soloselbstständigen haben etwas bekommen, aber die Mini-Jobber – ob Reinigungskraft, Barkeeper oder nebenberufliche DJs – werden gar nicht beachtet", betont Ott.
Um wenigstens wieder ein bisschen Leben in die "Disco Zwei" zu bringen und ihrem Team eine Gage zahlen zu können, hatte sie eine Ausstellung in Clubatmosphäre entworfen. Durch die zweite Welle im November jedoch wurde die kleine Wiedereröffnung ausgebremst und befindet sich seitdem in der Warteschleife. "Ich will meinen Leuten noch ins Gesicht schauen können und nicht sagen, in drei Jahren sehen wir uns wieder."

Gleich doppelt von der Pandemie betroffen ist Thomas Siffling. Der Berufstrompeter betreibt am Rosengarten den Jazzclub "Ella & Louis". Die mit Tischen und Stühlen ausgestattete Spielstätte konnte im Sommer und Herbst 2020 zumindest kurzfristig wieder öffnen. Mit Hygienekonzept und 50 statt 100 Besuchern. Seit dem zweiten Lockdown werden zweimal pro Woche kostenpflichtige Stream-Konzerte angeboten.
"Es ist eine gute Plattform für die Musiker, aber auch nicht mehr als ein Platzhalter", gibt Siffling zu bedenken. Bei einer Wiedereröffnung wolle man das im September eingeführte, amerikanische Show-System (eine Stunde Konzert, dann Publikumswechsel) beibehalten, um in etwa auf die benötigte Besucherzahl von 100 Abendgästen zu kommen. "Aber es ist natürlich auch ein höherer Aufwand, mit mehr Personal und Putzen zwischen den Shows."
Mit dem erneuten Wegbrechen aller geplanten Konzerte fiel der Jazztrompeter im Winter kurzzeitig in ein Loch: "Ich hatte fünf Wochen kein Instrument angefasst. Das gab es, seit ich 14 Jahre alt war, nicht mehr", schildert Thomas Siffling seine Gefühlslage. Was er vermisst? "Auf Tour sein, das aufgeregte Kribbeln vorm Konzert und in die Gesichter der Zuhörer zu blicken." Beim Trompetespielen halte er die Augen geschlossen. Wenn er sie bei einem Stream in seinem leeren Club wieder öffnet, in einen dunklen Raum schaut und der Applaus fehlt, fühle sich das schon seltsam an.
Für Carolin Ott und Thomas Siffling stellt sich daher die große Frage, wie es mit der Club- und Konzertkultur eigentlich weitergeht, wie stark sich das Ausgehverhalten durch Corona wandelt. Dass 300 Menschen bald wieder eng an eng in einem Club stehen und tanzen, ist derzeit für beide Betreiber weit weg und schwer vorstellbar. "Entweder die Leute sind heiß auf Kultur, oder sie sind zu bequem geworden und es genügt ihnen, sich ein Konzert zu Hause am Bildschirm anzusehen", glaubt der Jazztrompeter. "Es gibt drei Szenarien", sagt die Clubchefin: "A: Es bleibt ungefähr alles gleich. B: Die Menschen sind kulturentwöhnt. Oder C: Es hat sich viel angestaut, dass es wild wird und kracht."



