Das Fahrlachtunnel-Fiasko und das fehlende Fachwissen
Stadträte und Bürgermeister Dirk Grunert schauten in die Akten: Die Ämter arbeiten nebeneinander her, statt zusammen.

Von Alexander Albrecht
Mannheim. Und plötzlich war er dicht, zuerst teilweise und wenige Wochen später komplett: Am 3. August 2021 wurde der Fahrlachtunnel voll gesperrt, und es dauerte knapp zwei Jahre, ehe der Verkehr wieder durch die beiden Röhren rollen konnte. Bis dahin musste die Stadt gravierende Sicherheitsmängel beseitigen lassen, vor allem beim Brandschutz. Wenige Tage vor der Wiedereröffnung stellte der damalige Oberbürgermeister Peter Kurz einen 25-seitigen internen Untersuchungsbericht vor. Ergebnis: Zu viele Dezernate seien für den knapp 500 Meter langen Tunnel zuständig gewesen, das habe eine "Gesamtaufgabenwahrnehmung" behindert.
Das reichte den Stadträten nicht als Begründung, weshalb das Gremium auf Antrag der Mannheimer Liste (ML) einen Akteneinsichtsausschuss einberief, in dem unter dem Vorsitz von Bildungsbürgermeister Dirk Grunert (Grüne) Vertreter aller Fraktionen mitarbeiteten. Und der nun nach fünf Sitzungen seinen Abschlussbericht vorgelegt hat. Mit eher dürftigen Ergebnissen, denn den Ausschussmitgliedern fehlte die Kompetenz. Oder wie ML-Fraktionschef Holger Schmid im Gemeinderat vortrug: "Aufgrund der besonders hohen technischen Komplexität des Bauwerks war es für uns ohne Hinzuziehung fachlichen Rats nur bedingt möglich, einen wesentlichen Beitrag zur nötigen Aufklärung zu leisten."
Als besseres Instrument würde sich ein Untersuchungsausschuss eignen, den die Gemeindeordnung jedoch nicht vorsehe. In den Akten werde der sechsjährige Bau des 1994 eingeweihten Tunnels noch umfassend dokumentiert, die Vorgänge in den Folgejahren ließen sich dagegen nur schwer nachvollziehen. Was, so Schmid, daran gelegen habe, dass sich die beteiligten Dezernate, Abteilungen und Ämter offenbar nicht miteinander austauschten. So sei der baulich-technische vom kaufmännisch-wirtschaftlichen Bereich getrennt gewesen. "Es hat von Beginn an kein koordinierendes Projektsteuerungsmanagement bestanden", kritisierte der Ausschuss.
Erst Mitte Juni 2021 sei von der Stadtverwaltung für den Notbetrieb ein Organigramm mit sämtlichen beteiligten Behörden und Eigenbetrieben erstellt worden. Handlungsbedarf sah laut Schmid bereits 2017 das Rechtsamt, das die Kollegen vom Tiefbauamt dazu aufforderte, die Tunnelrichtlinie des Bundes aus dem Jahr 2006 (!) einzuhalten. Die Regelung beruhte auf EU-Recht und war als Folge von schweren Brandunfällen in Alpen-Tunneln entstanden. Sie empfahl eine Risikoanalyse der Bauwerke und ausdrücklich auch Brandversuche. Um den Sicherheitsstandard zu erhöhen, verlangte die Richtlinie gegebenenfalls Nachrüstungen.
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Zwar stellte ein Gutachten von 2020 Mängel beim Brandschutz fest, "aber nur zum Zeitpunkt seiner Erstellung", sagte Schmid. Wann zum ersten Mal Probleme auftraten und warum nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt eine ordnungsgemäße Wartung erfolgte, blieb und bleibt unklar. "Wir müssen vermuten, dass die Schwierigkeiten länger bekannt waren", so das Fazit des Ausschusses, bis 2020 habe sich jedenfalls ein erheblicher Instandhaltungsstau aufgebaut. Die Versäumnisse bestimmten Verantwortlichen von damals zuzuschreiben, das vermochten die Stadträte nicht. Auch dafür hätte es der externen Expertise bedurft. Diese Möglichkeit war allerdings von Anfang an ausgeschlossen. So durfte der Ausschuss lediglich in die Akten schauen, gab jedoch immerhin noch eine Empfehlung ab: "Bei komplexen Bauwerken wie dem Fahrlachtunnel sollten künftig verstärkt und über die gesetzlichen Vorgaben hinaus Brandschauen durchgeführt werden", betonte Schmid.
Das sagte Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) im Gemeinderat zwar nicht dezidiert zu. Immerhin habe man 2021 einen Tunnelmanager aus dem Umweltdezernat ernannt, der sämtliche technischen und baulichen Maßnahmen, aber auch deren Planung und Kontrolle im Auge hat. Eine Diskussion im Rat gab es nicht, kein Fraktionsvertreter meldete sich zu Wort. Spechts Vorgänger Peter Kurz hatte im Mai dieses Jahres erklärt, die Stadtverwaltung habe zwischen 2006 und 2020 möglicherweise einen "grundlegenden Veränderungsbedarf" im Tunnel erkannt. Die Information sei aber nicht an die Spitze des zuständigen Dezernats weitergegeben worden.
Die Stadt investierte in die Notertüchtigung knapp drei Millionen Euro, unter anderem in die Tunnellüftung und Fluchtwege. Repariert wurde allerdings nur das Nötigste, damit man die vor der Sperrung von täglich 60 000 Fahrzeugen genutzten Röhren wieder freigeben konnte. Ab 2026 ist eine Generalsanierung des Tunnels geplant. Sie soll vier Jahre dauern. Ziel ist es laut Stadt, während dieser Zeit eine erneute Vollsperrung zu vermeiden.




