Mannheim

Betriebe sagen Nein zum Verkehrsversuch

Umfrage von Handelsorganisationen: Mehr als 70 Prozent der teilnehmenden Betriebe sprechen sich gegen eine Fortsetzung aus.

05.05.2023 UPDATE: 05.05.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 36 Sekunden
Noch versperrt eine Schranke die Weiterfahrt in der Fressgasse. Sie soll sich nach Angaben der Stadt aber Mitte dieses Monats heben. Damit verschwindet auch die letzte größere „Versuchsanordnung“. Ob vorläufig oder für immer, wird sich zeigen. Foto: Alfred Gerold

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Die Stadt will voraussichtlich am 23. Mai im Ausschuss für Technik und Umwelt die Ergebnisse einer Evaluation des Verkehrsversuchs vorstellen – drei Handelsorganisationen sind bereits jetzt mit einer eigenen Umfrage und klaren Forderungen vorgeprescht. Die Kernbotschaften: Das auf ein Jahr angelegte und Anfang März beendete "Experiment" ist in dieser Form gescheitert und dürfe auf keinen Fall dauerhaft beibehalten werden. Die IHK Rhein-Neckar, der Handelsverband Nordbaden und die Werbegemeinschaft Mannheim City berufen sich dabei auf eine klare Mehrheit von 72 Prozent der 385 Innenstadtbetriebe, die sich an ihrer Umfrage beteiligt haben.

Lediglich 24 Prozent der Befragten sind dafür, den Versuch zu verstetigen. Insgesamt 58 Prozent der Unternehmen, vor allem Einzelhändler und Gastronomen, gaben an, ihre wirtschaftliche Situation habe sich durch den Langzeittest verschlechtert; bei 34 Prozent zeigte sich keine Auswirkung. Zur Überraschung der drei Organisationen ist selbst eine hauchdünne Mehrheit von 51 Prozent inzwischen gegen das eigentliche Ziel des Versuchs, den Durchgangsverkehr aus der City herauszuhalten.

IHK-Präsident Manfred Schnabel sagte, die Umfrageergebnisse sollten den Gemeinderatsfraktionen eine Mahnung sein. In der Innenstadtwirtschaft gebe es für die Beibehaltung des Versuchs keinen Rückhalt. Zugleich appellierte Schnabel, Entscheidungen dazu "in aller Ruhe" erst nach der Oberbürgermeisterwahl am 18. Juni und unter der neuen Stadtführung zu treffen – "ansonsten hätte das gravierende Folgen". Weniger Wirtschaft in der City bedeute auch weniger Menschen, weniger Austausch und weniger Attraktivität.

Als eine "Gruppe der Ewiggestrigen", so Schnabel, wollen sich die Organisationen nicht sehen. Um die Aufenthaltsqualität im Zentrum zu stärken, schweben dem Werbegemeinschaftsvorsitzenden Lutz Pauels zum Beispiel weitere Erlebniswochenenden wie zuletzt mit verkaufsoffenen Sonntagen vor, eine Verschönerung von Plätzen, mehr Grün und Brunnen. Als "Event" schlug er die Bepflanzung von Hausfassaden vor, "um mal zu zeigen, wie das geht". Pauels und Schnabel können sich auch irgendwann wieder Verkehrsberuhigungen vorstellen.

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Voraussetzungen dafür seien: der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Radwegenetzes. Hendrik Hoffmann, der Vizepräsident des Handelsverbands, erinnerte einmal mehr die Stadt an ihr Versprechen, ein intelligentes Parkleitsystem inklusive App einzuführen. Auch sollten die Baustellen besser aufeinander abgestimmt werden. Um das Verkehrsproblem langfristig zu lösen, brachte Schnabel mit der dritten Rheinquerung eine alte Forderung der regionalen Wirtschaft ins Spiel.

Die IHK engagiert sich innerhalb des Mobilitätspakts Rhein-Neckar in einem Arbeitskreis mit der Fragestellung, wie Pendler künftig öfter auf umweltschonende Alternativen zum Auto umsteigen. Der sogenannte motorisierte Individualverkehr – möglichst emissionsarm – werde aber noch lange Zeit eine große Rolle spielen, so Schnabel, was auch mit dem ländlich geprägten Mannheimer Umland zu tun hat.

Der IHK-Chef verteidigte die Entscheidung der Kammer vom März 2022, den Verkehrsversuch mitzutragen. "Wir sahen darin zwar keinen großen Lösungsansatz, aber wollten schauen, ob sich nicht die einen oder anderen positiven Effekt ergeben", sagte Schnabel.

Er geht davon aus, dass während des Versuchs wesentlich weniger Autos durch die Innenstadt rollten, was ja auch nicht sonderlich verwunderlich wäre. Die Frage sei, ob nicht nur der Durchgangsverkehr abgenommen habe, sondern auch der Zielverkehr. Darunter fallen Mitarbeiter und vor allem Kunden. Laut einer Untersuchung der IHK haben die Betriebe in der Innenstadt ein Drittel an Kaufkraftbindung verloren. Anders gesagt: So viel Kaufkraft ist statt in Mannheim in andere Regionen geflossen.

"Wir hatten, ausgehend von einem sehr hohen Niveau, große Einbußen", sagte Hoffmann für die Händler. Die Innenstadt sei immer noch attraktiv. Wenn sich unter den Unternehmen allerdings das Gefühl breitmache, dass man sie nicht mehr brauche, komme es zu sichtbaren Leerständen, zeichnete Hoffmann ein Horrorszenario. "Dann kommt etwas ins Rutschen, und ist die Position Mannheims als Oberzentrum in Gefahr." Die Nachbarstadt Ludwigshafen mit seiner öden City gilt als warnendes Beispiel. Schnabel zweifelte indes daran, ob die von der Stadt in Auftrag gegebenen Fahrzeugzählungen sowie Passanten- und Händlerbefragungen überhaupt aussagekräftig sind. Denn der Ein-Jahres-Test fiel in die Zeit vieler Baustellen und der Sperrung des Fahrlachtunnels.

Die Stadt hatte den Versuch vor zwei Monaten überraschend abrupt beendet. Eigentlich sollten die Sperrungen und Aufenthaltsbereiche nach dem Wunsch von Verkehrsbürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD) bis zur endgültigen Entscheidung des Gemeinderats aufrechterhalten werden. Hintergrund des Sinneswandels war die Klage einer Frau gegen ein ähnliches Projekt in Berlin, wie sich später herausstellte. Die Versuchsanordnung ist weitgehend abgebaut worden. Die Schranke in der Fressgasse soll sich Mitte des Monats heben.

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