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Anwohner der Erbprinzenstraße sind Verlierer des Verkehrsversuchs

Des einen Freud, des anderen Leid: Die positiven Stimmen überwogen, aber es gibt noch einige Fallstricke.

07.10.2022 UPDATE: 07.10.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 55 Sekunden
Chaos, Blechlawinen, Staus: So sieht es derzeit auf der Erbprinzenstraße aus. Für die Anwohner ist die Situation eine Zumutung. Foto: Alfred Gerold

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Jutta Schroth hat schon Recht: Es wird beim Verkehrsversuch viel übereinander und wenig miteinander gesprochen. Das wollen die Bürgervereine Innenstadt West, dem sie vorsteht, und Östliche Innenstadt am Mittwochabend ändern. Sie haben Verkehrsbürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD) und Vertreter der drei größten Gemeinderatsfraktionen zu einer Diskussion in die gut besuchte Aula der Eberhard-Gothein-Schule eingeladen. Der Zeitpunkt drängt sich auf, das Verkehrsexperiment läuft seit sechs Monaten. Es ist also Halbzeit. Schroth legt Wert darauf, dass sich die Veranstaltung vor allem an "Menschen, die hier leben" richtet, die Sicht des Handels sei schon oft genug thematisiert worden.

> Der Bürgermeister: Wenig überraschend verteidigt Eisenhauer das auf ein Jahr lang angelegte Experiment. Und zwei Ziele hat: Raus mit dem Durchgangsverkehr aus den Quadraten, mehr Aufenthaltsqualität für Bewohner und Passanten. Deshalb hat die Stadt den Verkehr an drei Stellen "unterbrochen": in der Kunststraße, der Fressgasse und der Marktstraße. Erste Zahlen sind aus Eisenhauers Sicht ermutigend. Auf der Fressgasse hat sich der Verkehr laut städtischer Erhebungen von 8500 auf 3900 Fahrzeuge mehr als halbiert, dafür sind viel mehr Radler unterwegs. Habe früher das Verhältnis zwischen Autos und Fahrrädern 10:1 betragen, liege es jetzt nur noch bei 2:1.

Verlierer des Versuchs sind die Anwohner der Erbprinzenstraße. Das ist die Straße direkt vor der Sperre in der Fressgasse, also der neuen "Fußgängerzone" Dort hatte die Stadt schon vor dem Start des Tests eine Zunahme des Verkehrs von 15 Prozent vorausgesagt. Dass es "nur" 13 Prozent sind, ist für die Betroffenen ein schwacher Trost.

> Die Stadträte: Gerhard Fontagnier von den Grünen ist selbst Innenstadt-Bewohner und kämpft seit 2009 gegen Blechlawinen in der City. Damals ohne Erfolg – doch inzwischen gibt es neue Mehrheiten. Und Fontagnier freut sich über positive Rückmeldungen von Anwohnern, die bei hochsommerlichen Temperaturen "endlich wieder die Fenster aufmachen konnten", weil es auf den Straßen weniger lärmt und stinkt. Claudius Kranz (CDU) setzt sich dafür ein, alle Verkehrsmittel gleichrangig zu behandeln. Und ärgert sich über Staus abends in der Breiten Straße. Die von Eisenhauer vorgelegten Zahlen imponieren ihm nicht: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast."

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SPD-Fraktionschef Thorsten Riehle fordert eine Lösung für die Erbprinzenstraße, kann selbst aber keine dafür nennen. Er lehnt aber kategorisch einen vorzeitigen Abbruch des Versuchs ab. Auch Riehle zweifelt an der Aussagekraft der städtischen Erhebungen. Baustellen führten dazu, dass sich Auswärtige sagten: "Da komme ich sowieso nicht mehr hin". Und das sei für die Einkaufsstadt fatal. Angesichts der Dichte von Facharztpraxen im Zentrum müssten für behinderte oder mobilitätseingeschränkte Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, Parkzonen ausgewiesen werden.

> Die Befürworter: "Vielen Dank, Herr Eisenhauer, für den Mut, den Sie bewiesen haben", lobt eine Bewohnerin den Bürgermeister und erhält einigen Applaus. Der Durchgangsverkehr müsse dringend raus aus der City, "ansonsten gehen wir hier ein". Ein Anrainer aus der Erbprinzenstraße ruft den Podiumsteilnehmern beinahe flehend zu: "Befreit uns bitte, Politiker!" Ein Student spricht für eine Gruppe, die sich schon rein finanziell oder altersbedingt kein Auto hätten: angehende Akademiker und Schüler. Er sieht in dem Verkehrsversuch einen vollen Erfolg, die Stadt sei für seine Generation lebenswerter geworden. Ein Mann, der seit drei Jahren in den Quadraten lebt, stört sich an den vermeintlich gegensätzlichen Interessen von Anwohnern und Geschäftsleuten. Sämtliche Studien bewiesen: Der Einzelhandel profitiert von der autofreien Innenstadt. Ein anderer Bewohner stimmt ihm zu und freut sich, dass seine Kinder in der neuen "Fußgängerzone" der Fressgasse spielen könnten.

> Die Kritiker: "Ich wohne seit 1981 in der Innenstadt, aber so viel Dummheit gab es noch nie", schimpft eine aufgebrachte Anwohnerin in Richtung Eisenhauers und behauptet, mit dem Auto von der City nach Friedrichsfeld zwei Stunden zu brauchen. "Und dabei sollen wir doch Abgase und CO2 reduzieren", schiebt die Frau mit zittriger Stimme nach. Weniger scharf, dafür mit ironischem Unterton "lobt" ein Anrainer den Bürgermeister. Eisenhauers Power-Point-Vortrag zu Beginn der Veranstaltung habe er als sehr erhellend empfunden. "Da war ausschließlich von neuer Verkehrsführung die Rede und nicht mehr von einem Versuch." Veränderung findet der junge Mann durchaus wichtig, aber – mit Blick auf die vielen Baustellen in der Stadt – "zu viel ist zu viel". Eine andere Frau aus der Nachbarschaft will beobachten haben, wie eine Bettlerbande durch die Erbprinzenstraße gelaufen sei, an Autofenster klopfte und um Geld bat.

> Der Stimmungstest: Vor Beginn der Veranstaltung sind Fragebögen an die Gäste verteilt worden. Die wichtigsten Ergebnisse: In Sachen Kommunikation und (weggefallener) Parkplätze schneidet die Stadt schlecht ab. Dennoch votiert die Hälfte der circa 80 Befragten dafür, die Maßnahmen über das Ende des Versuchs beizubehalten. 

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