Fressgassen-Sperrung

Frust auf Mannheims Staustrecke Nummer eins

Der Verkehrsversuch in der teilgesperrten Fressgasse führt zu Blechlawine in der Erbprinzenstraße. Dort gibt es kein Entrinnen.

27.09.2022 UPDATE: 27.09.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 17 Sekunden
Nervenzehrendes Stop-and-go auf der Erbprinzenstraße. Es stinkt in der Luft und den Pkw-Lenkern sowieso. Foto: Alfred Gerold

Von Wolf H. Goldschmitt

Mannheim. "Gute Laune im Quadrat" steht auf einem Poster an der Abendakademie. Die Autofahrer vor der Ampel des Kurpfalzkreisels können das Plakat nicht lesen. Das ist wohl besser so. Denn wer sich momentan durch die Quadrate von Q nach U durchquälen muss, verliert jeden Sinn für Aufmunterung.

Vor einem halben Jahr hat in der Innenstadt ein Verkehrsversuch begonnen. Ziel: "Mehr Lebensqualität und Entschleunigung". Letzteres ist dem verantwortlichen Bürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD) ohne Zweifel gelungen – in der Erbprinzenstraße liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit unterhalb eines möglichen Messwertes. Bei der besseren Lebensqualität gehen die Meinungen auseinander.

Die Schranke blockiert auf Höhe des Kaufhofs die Fressgasse und schiebt nun etwa 3500 Fahrzeuge täglich vorbei am Gesundheitsamt, Friseurläden, Kneipen und "Kellers Weinlokal" bis hinauf zum Friedrichsring. Wer einmal in die Einbahnstraße eingebogen ist, für den gibt es kein Entrinnen. 400 Meter harter Geduldsprobe liegen vor ihm. Zwei Fußgängerampeln und immer wieder Drängler aus Schleichwegen von rechts garantieren alsbald ein Stimmungstief.

Wer es endlich geschafft hat, den erwarten zwei weitere Überraschungen. Die überlastete Straße wird sogar noch enger. Sie ist noch Wochen für Linksabbieger gesperrt. Auf der Kurpfalzbrücke verlegt die RNV gerade Gleise. Und: Die Grünphase an der alles entscheidenden Ampel dauert gerade einmal zehn Sekunden. Allerhöchstens fünf Autos rauschen durch – aber nur dann, wenn alle Verkehrsteilnehmer rasch schalten.

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Es ist gegen 12 Uhr an diesem Samstagvormittag. Die Schlange von mindestens 200 Fahrzeugen kriecht im Stop-and-go durch jene Quadrate, die gewiss nicht zu Mannheims Attraktionen zählen. Ein Blick in die Autofenster genügt: Hier brodelt es. Zu Fuß schafft man die Strecke in fünf Minuten, mit dem Fahrrad in zwei. Nur Zweiräder sind nicht zu sehen. Wohl zu eng und zu gefährlich zwischen den breiten Benzinkutschen.

Nicht alle hinter dem Lenkrad wollen sich klaglos in ihr unverschuldetes Schicksal fügen. Wilde, sinnlose Hupkonzerte, unwirsches Aufheulenlassen der Motoren und laut aufgedrehte Autoradios bilden eine nervtötende Klangkulisse für Anwohner und Gewerbetreibende. Klaus Zeller von der Firma Orthopädie Schuhtechnik blickt täglich auf die Verkehrslawine. "Wir haben viel Laufkundschaft verloren, die kurz angehalten und einen Auftrag vorbei gebracht haben. Aber wer will sich schon in so ein Chaos begeben", ärgert sich der Inhaber des Traditionshauses. Die "Fehlentwicklung" der Verkehrssituation sei ein weiterer Schlag für die finanziell schon länger gebeutelten Geschäftsinhaber der City.

Die wenigen Stellplätze an den Parkuhren vor seinem Haus sind fast immer belegt. Das Wiedereinfädeln in den vorbeischleichenden Verkehr dauert länger als sonst. Eine "Kavalier-der-Straße-Mentalität" hat wenig Chancen, wenn man selbst kaum merklich vorwärtskommt. Serkan Yildirim, ein Fahrer eines Lieferdienstes, reagiert sichtlich nervös. "Seit Minuten versuche ich auszuparken, aber niemand lässt mich rein. Das heißt für mich wieder unbezahlte Wartezeit", bedauert der junge Mann, dessen Kofferraum mit Paketen vollgestapelt ist. Während er keine Wahl hat, wird eine Autofahrerin aus Worms ihre Konsequenzen ziehen. "Wenn das hier noch lange so bleibt, ist die Innenstadt Mannheims für mich künftig tabu", sagt sie mit hochrotem Kopf, hält sich die Nase zu und lässt ihr Fenster hochrollen.

Rainer Sahm wohnt nur ein paar Häuser weiter. Auch ihm stinkt’s im wahrsten Sinne des Wortes. "Was hier an Schadstoffen in die Luft geblasen wird, nur weil linke Ideologie ein Experiment mit der Stadt und ihrer Bevölkerung macht, geht auf keine Kuhhaut", macht er seinem Herzen Luft. Dass im Rathaus nun von einem Erfolg des Verkehrsversuchs und verbesserter Lebensqualität gesprochen wird, darüber schüttelt er nur den Kopf. "Das wird nur schön geredet, die Realität sieht anders aus", sagt er achselzuckend und zeigt auf die weiterhin entschleunigt dahinschleichende Blechkarawane.

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