Als Teenagerin zur Prostitution gezwungen
Gewalt, Manipulation und Ausbeutung: Im Buch "Schneewittchen und der böse König" erzählt Katharina ihre tragische Geschichte.

Von Heike Warlich
Mannheim. Zum Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen und Mädchen haben Neuntklässler des Lessing-Gymnasiums mit ihrem Kunstlehrer Mathes Jodat großformatige Plakate im Pop-Art-Stil gestaltet, die sowohl Frauen als Opfer zeigen als auch solche, die sich wehren. Eine Frau, die sich gewehrt hat, ist Katharina M., die als Jugendlichen in Mannheim zur Prostitution gezwungen wurde. Ihr Geschichte hat sie der Journalistin Barbara Schmid anvertraut und mit ihr das Buch "Schneewittchen und der böse König" veröffentlicht.
Amalie, die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution, und die Abteilung Gleichstellung der Stadt Mannheim haben die Autorin eingeladen, an Mannheimer Schulen über die Methoden der "Loverboys" zu berichten, die sehr junge Mädchen gezielt in Zwangsprostitution bringen. Im Rahmen des Schulprojekts las Schmid den Neuntklässlern aus dem Buch vor. "Prävention ist ein wichtiger Aspekt der Gesamtkonzeption von Amalie", so Astrid Fehrenbach, die Leiterin der Beratungsstelle. Umso wichtiger sei es, bereits im jungen Alter, gerade bei Mädchen, für das Thema zu sensibilisieren. "Die psychischen und physischen Schäden sind dramatisch und können Spuren für ein ganzes Leben hinterlassen", sagte Fehrenbach.
Katharina M. hat dieses Martyrium elf Jahre lang erlebt. Sie war gefangen in einem perfiden Netz aus Verführung, Hörigkeit, Gewalt, Macht, Manipulation, Missbrauch und Ausbeutung. Das Buch schrieb sie, um mit einem grausamen Kapitel in ihrem Leben abzuschließen, aber auch, "damit alle wissen, dass ich das nicht freiwillig gemacht habe". Bereits nach den ersten Sätzen wird es im Klassenzimmer ganz still. Das Buch ist in Ich-Form geschrieben, und Katharina erzählt in ihren eigenen Worten vom 8. September 2000, dem ersten Arbeitstag als Prostituierte in der Lupinenstraße. 17 Jahre und acht Monate ist die Gymnasiastin da alt. Seit November 1997 hat sie ein heimliches Verhältnis mit Heinz. Sie ist verliebt in den deutlich älteren Reitlehrer, der im Gegensatz zu ihren Eltern so viel Verständnis zeigt.
Bald wird sie glauben, dass Heinz überhaupt der einzige Mensch ist, der sie versteht. Er wird sie von ihrer Familie isolieren und ihr eine wunderschöne gemeinsame Zukunft vorgaukeln. Einen eigenen Reiterhof wollen sie sich aufbauen, auf Kreuzfahrt gehen und ein Haus am Tegernsee haben. Dafür brauchen sie Geld. Deshalb sitzt Katharina kurz vor ihrem 18. Geburtstag nun in einem Laufhaus in der Neckarstadt-West. Am Ende dieser Nacht wird sie mit 21 Männern Sex gehabt haben zum Preis von je 50 Mark. Sie hat Schmerzen, fühlt sich schmutzig und weint. Heinz ist zufrieden. Sie hat ihre Sache gutgemacht.
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Katharina ekelt sich vor den Freiern. Doch sie erträgt es. Schließlich weiß sie ja, dass sie es für das Leben mit Heinz tut. Obwohl dieser sie mittlerweile schlägt, liebt sie ihn. Sein Wort ist ihr Gesetz. Dass er der Einzige ist, ist mittlerweile Realität geworden. Denn Katharina verlässt das Haus nur, wenn sie in ein anderes Bordell, zum Arzt oder ins Krankenhaus gebracht wird. Ansonsten traut sie sich nicht vor die Tür. Heinz hat ihr glaubhaft versichert, dass ihre Mutter sie sonst sofort in die Finger kriegen und ihn die Psychiatrie stecken würde. Längst betäubt Katharina sich mit Alkohol. Vier bis fünf Flaschen Prosecco plus ein bis zwei Flaschen Wodka am Tag sind es. Im Krankenhaus messen die Ärzte einmal 3,7 Promille. Weil sie nach wie vor privat versichert ist, gehen die Rechnungen an ihre Eltern, sodass diese wissen, was Heinz ihrer Tochter antut. Doch alle Versuche der Familie, an sie heranzukommen, scheitern.
Als Heinz wieder einmal wie von Sinnen auf sie einschlägt, fürchtet Katharina so sehr um ihr Leben, dass sie die 110 wählt. "In diesem Moment weiß ich noch nicht, welchen Stein ich damit lostreten werde. Nichts wird so sein, wie es vorher war. Heinz wird mich nicht heiraten. Wir werden nie Kinder haben", sagt Katharina im Buch.
Geschätzt 25.000 Freier hat sie über sich ergehen lassen müssen. Ihr Zuhälter hat ihr psychisch und physisch Gewalt angetan. Dennoch hat sie das Gefühl, dass alles umsonst war. Sie beschreibt sich als den einsamsten Menschen der Welt, trauert um Heinz und wird erst viel später begreifen, dass am 9. April 2011 ihr Martyrium ein Ende hatte. Der Zuhälter wird zu neun Jahren Haft verurteilt. Seit zwei Jahren ist er wieder auf freiem Fuß – mit einer Fußfessel, denn der 72-Jährige gilt nach wie vor als gefährlich.
Die Schüler fragen Schmid, wie es Katharina heute geht. Mittels einer Therapie sei ihr der Weg zurück ins Leben gelungen. "Sie bereitet sich gerade auf die Steuerberaterprüfung vor", berichtet die Autorin. Von dem Geld, das sie verdiente, habe sie nichts gesehen. Denn entgegen seiner Versprechungen habe Heinz nie etwas gespart, weder ein Bankkonto gehabt noch Steuern bezahlt und sein ganzes Leben nur von Frauen gelebt. Katharina selbst habe seit diesem traumatischen Erlebnissen keine Beziehung mehr gehabt.