Wenn sich Gewalt als Liebe tarnt
Meistens sind die Opfer weiblich. Die Frauenfachberatungsstelle Lida und Verein Aufbruch kümmern sich um sie.

Von Christiane Barth
Sinsheim. Ob körperliche, sexuelle, psychische Gewalt oder finanzielle Erpressung: Oftmals würden die Warnzeichen durch den Partner als eine Art "Liebe" verklärt, schildert Christine Straßer, Fachkraft der Frauenberatungsstelle Lida im Diakonischen Werk Kraichgau. In einer gewalttätigen Beziehung werden Grenzen ignoriert oder überschritten. "Viele Betroffene sind sich der Anzeichen nicht bewusst oder wollen diese nicht wahrhaben", sagt Straßer. Sie verdeutlicht: Gewalt passiere unabhängig von Alter, Geschlecht oder Wohnort des Partners. Gewalttätige Verhaltensweisen seien gezielt darauf ausgerichtet, Angst zu schüren und den Partner zu kontrollieren.
"Fast alle zwei Minuten" werde in Deutschland ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt, glaubt man Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Laut ihr würden jede Stunde "mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt", beschrieb die Grünen-Politikerin die Lage zum Thema häusliche Gewalt. Die Auswertung zeige außerdem, dass die Opferzahlen in Deutschland gestiegen sind, sagt Straßer von der Lida-Beratungsstelle.
Hintergrund
> Zwei Organisationensind in Sinsheim mit dem Themenkomplex häusliche Gewalt betraut: Zuletzt war das Diakonische Werk am vergangenen Mittwoch beim Wochenmarkt mit einem Stand vertreten, um über sein Lida-Angebot zu informieren. Der Verein Aufbruch ist regelmäßig mit einem
> Zwei Organisationensind in Sinsheim mit dem Themenkomplex häusliche Gewalt betraut: Zuletzt war das Diakonische Werk am vergangenen Mittwoch beim Wochenmarkt mit einem Stand vertreten, um über sein Lida-Angebot zu informieren. Der Verein Aufbruch ist regelmäßig mit einem Stand am Sinsheimer Weihnachtsmarkt vertreten.
Kontakt zu Lida via E-Mail an interventionsstelle@lida-rn.de, per Telefon unter 07261/97-580-297 oder über die Website www.lida-rn.de.
Die Frauenfachberatungsstelle ist per E-Mail an frauenfachberatungsstelle@lida-rn.de sowie telefonisch unter 07261/97-580-299 erreichbar.
Der Verein Aufbruch hat die Nummer 07261/61532.
Sie zeichnet auch ein drastisches Bild, in dem der Eindruck entsteht, dass Gewalt in der Partnerschaft deutlich zunimmt: Bundesweit stieg die Zahl allein der Gewalt in Partnerschaften um 9,1 Prozent auf 157.550 Opfer im Jahr 2022; beim Gesamtkomplex der häuslichen Gewalt ist von 240.547 Opfern und einem Anstieg von 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr die Rede. Laut den Lagebildern des Bundeskriminalamts lag die Zahl solcher Fälle vor zehn Jahren – also im Jahr 2013 – noch bei 121.778.
Knapp die Hälfte der Opfer lebe mit der tatverdächtigen Person zusammen, weiß Straßer. Außerdem: Die Opfer seien zu rund 71 Prozent weiblich. Die Tatbestände zum Thema häuslicher Gewalt umfassen gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nachstellen – das sogenannte Stalking –, Bedrohung und Nötigung sowie Tötungsdelikte. Im vergangenen Jahr wurden durch häusliche Gewalt 702 Menschen getötet: 454 Frauen, 248 Männer.
Ob sich die Fälle aber tatsächlich häufen, lasse sich nicht wirklich sagen, schildert ein Mitglied des Vereins Aufbruch, der sich in Sinsheim seit Jahrzehnten um die Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch kümmert, öffentlich jedoch zum Schutz der zumeist Frauen kaum in Erscheinung tritt. "Man weiß nicht, was zuerst da war: das Huhn oder das Ei", heißt es dort: "Nimmt das Problem wirklich zu, oder kommt es nur inzwischen mehr und mehr an die Oberfläche?"
Bei der Arbeit des Vereins zeige sich: Häusliche Gewalt ist nicht davon abhängig, ob die Menschen auf dem Land oder in der Stadt leben, ob sie wohlhabend sind oder nicht: "Es ist überall." Dringend werde wieder eine Selbsthilfegruppe benötigt, heißt es bei Aufbruch: "Aber wir haben keine Räumlichkeiten." Zudem sei es "unheimlich schwierig", Fälle häuslicher Gewalt juristisch aufzuarbeiten, da Opfer nicht selten aus Scham oder auch Angst einen Rückzieher machten.
Das Beratungsangebot des Diakonischen Werks ist vielschichtig. Die Frauenberatung Lida bedient drei unterschiedliche Arbeitsbereiche. Die Interventionsstelle mit Hauptsitz in Heidelberg berät etwa nach einem Polizeieinsatz bei häuslicher Gewalt. Dies bedeutet, dass die Beraterinnen – nachdem der Kontakt zu den Betroffenen durch die Polizei hergestellt wurde oder diese selbst den Kontakt zu Lida suchten – "sehr kurzfristig" ein freiwilliges Hilfsangebot machen. Die Frauenfachberatung bei häuslicher Gewalt und die Frauenberatung bei sexualisierter Gewalt haben ihr Hauptbüro in Sinsheim. Die Beraterinnen unterstützen Frauen und Mädchen ab 14 Jahren, wenn sie von Gewalt betroffen sind.
Mehr als 110 Interventionsfälle wurden im Jahr 2022 in der Beratungsstelle behandelt. "Es zeichnet sich bereits eine höhere Fallzahl für 2023 ab", erkennt Straßer. In der Frauenfachberatungsstelle war die bisher jüngste Klientin 17, die älteste 86 Jahre alt. Der größte Anteil der Frauen, die in der Frauenfachberatungsstelle wie auch in der Interventionsstelle Hilfe gesucht haben, war in der Altersklasse zwischen 30 und 50 Jahren.
Lida kooperiert mit Juristen und Juristinnen, Behörden, anderen Fachstellen, dem Landkreis, dem Bildungswesen sowie ehrenamtlichen Helfern. "Wir können sehr niederschwellig Angebote machen", fasst Straßer zusammen.
"Uns ist es wichtig, möglichst wenig stellvertretend für die Frauen und Mädchen zu tun", sagt sie; vielmehr gelte es, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Betroffenen "selbstwirksam ein gewaltfreies Leben führen können". Gewalt gegen Frauen und Mädchen sei kein individuelles Problem, "es geht uns als Gesellschaft an." Diese Erkenntnis sei Voraussetzung, um häusliche Gewalt zu beenden."