"In Zukunft wird es nicht weniger Verkehr geben, sondern er wird anders sein"
Der Präsident der IHK Rhein-Neckar, Manfred Schnabel, fordert zukunftsorientierte Lösungen für die Überlastung der Verkehrswege

Für ihre Studie befragte die IHK unter anderem 1600 Unternehmen. Über ein Drittel von diesen gab den Innenstädten von Heidelberg, Mannheim und Mosbach schlechte Noten, was die Erreichbarkeit für den Lieferverkehr angeht. Foto: Gerold
Von Carsten Blaue
Rhein-Neckar. Im RNZ-Gespräch äußert sich der Präsident der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar, Manfred Schnabel, über die IHK-Studie zur besseren Erreichbarkeit der Innenstädte.
Herr Schnabel, Sie fordern, dass die Innenstädte für Kunden und Lieferanten erreichbar bleiben müssen. Warum sollte diese Erreichbarkeit in Gefahr sein?
Die aktuelle Verkehrssituation im Kerngebiet der Metropolregion Rhein-Neckar zeigt, dass die bestehenden Verkehrswege den Belastungen nicht mehr gewachsen sind. Eine termingerechte Erreichbarkeit von Unternehmen und anderen Zielen, vor allem in Mannheim und Ludwigshafen, ist häufig nicht gewährleistet. Der Straßenverkehr nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Hinzu kommen derzeit vermehrte Baumaßnahmen, um den Modernisierungsstau der vergangenen Jahre aufzuarbeiten. Diese Baumaßnahmen sind wichtig, um die Verkehrsinfrastruktur zu erhalten, führen aber leider derzeit zu Beeinträchtigungen. Als besondere Engpässe stellen sich die Rheinquerungen beziehungsweise die Zufahrten zu diesen heraus.

Manfred Schnabel. Foto: zg
Warum haben Sie sich für konkrete Handlungsempfehlungen neben Heidelberg und Mannheim gerade Mosbach ausgesucht?
Auch interessant
Uns war es wichtig, neben den beiden Oberzentren auch noch ein Mittelzentrum aus dem eher ländlich geprägten Teil des IHK-Bezirks einzubeziehen, um so die unterschiedlichen Anforderungen an Erreichbarkeit untersuchen zu können. Dadurch haben wir unsere drei IHK-Standorte in die Studie aufgenommen.
Die IHK wünscht sich für die Städte mehr von allem: Mehr ÖPNV, mehr Radwege, mehr Straßen, mehr Parkplätze. Wie realistisch ist das?
Aus unserer Sicht müssen die Potenziale innovativer Konzepte ausgeschöpft werden, insbesondere weil der Verkehrsraum begrenzt ist. Wir brauchen eine gut vernetzte Innenstadt. Hier helfen beispielsweise Car-Sharing und Bike-Sharing, die mit anderen Verkehrsträgern wie dem ÖPNV vernetzt und bequem über ein Smartphone bestellt und bezahlt werden können. Die kundenorientierte Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger, insbesondere an multimodale Umstiegsknoten wie Bahnhöfe, wird zu einer besseren Verteilung des Verkehrs in den Innenstädten beitragen.
Den Durchgangsverkehr würden Sie gerne aus den Städten verbannen. Dafür bräuchten Sie aber noch mehr Umgehungsstraßen oder Tunnel. Eine Utopie?
Wir brauchen keinen Durchgangsverkehr in den Zentren. Zunächst müssen wir vorhandene und zukünftige technologische Entwicklungen nutzen, um die bestehenden Verkehrswege besser auszulasten und den Verkehrsfluss zu optimieren. Verbesserte Ampelschaltungen, digitale Echtzeitinformationen und auch Verkehrslenkungssysteme können hier sehr unterstützen. Denkbar sind je nach Situation auch Umgehungsstraßen oder Tunnel.
Muss es nicht eher das Ziel sein, dass die Menschen öfter mal das Auto stehen lassen?
Bei der Erreichbarkeit macht es Sinn, zwischen der äußeren und der inneren Erreichbarkeit von Städten zu unterscheiden. Wenn die Ziele in den Innenstädten durch eine sinnvolle Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger schnell und bequem erreichbar sind, wird für die Kurzstrecke auf das Auto zukünftig häufiger verzichtet. Anderes gilt für die äußere Erreichbarkeit. Denn hier zeigt auch unsere Studie, dass der Pkw nicht nur heute, sondern auch in Zukunft das Verkehrsmittel sein wird, welches die Besucher der Städte am häufigsten nutzen.
Für Lieferverkehre schlagen Sie sozusagen Umschlagplätze für die Waren vor den Toren der Städte vor. Von hier aus soll es dann mit Lastenrädern oder E-Mobilen weitergehen. Das verlängert aber Anlieferzeiten. Außerdem entstehen für die Logistik zusätzliche Kosten. Wer soll das bezahlen? Die Lieferanten oder die belieferten Unternehmen? Woher sollen die Städte zudem den Platz nehmen?
Für die Lieferverkehre schlagen wir innenstadtnahe Umschlagplätze vor, von denen aus die Feinverteilung in die Innenstädte erfolgen kann. Diese kleineren Umschlagstationen bezeichnet man auch als Mikro-Hubs. Solche Konzepte gilt es gemeinsam mit den Lieferanten im Dialog auszuarbeiten. Andere Städte zeigen, dass dies erfolgreich sein kann. Das größte Problem in diesem Kontext ist es, dass in den Städten geeignete Flächen gefunden und bereitgestellt werden müssen, die auch von den Spediteuren akzeptiert werden können.
Eine Ihrer Anregungen ist die Flexibilisierung der Anlieferzeiten. Wenn Lastwagen nachts die Innenstädte beliefern, könnte das Ärger geben.
Dieses Thema kann nur im Dialog vor Ort in der einzelnen Kommune diskutiert und gelöst werden. Bereits die Verlängerung von Anlieferzeiten am Vormittag kann zu einer Entzerrung der Verkehre führen.
In der Studie entsteht der Eindruck, Städte und Gemeinden sowie die Metropolregion würden zu wenig für den "Verkehr von morgen" tun. Wie begründen Sie diese Kritik?
Wir als IHK ermutigen die Städte unserer Region zu einem umfassenden Dialog, um die Zukunft des innerstädtischen Verkehrs gemeinsam und lösungsorientiert zu diskutieren. Mit unserem Drei-Stufen-Plan wollen wir die verkehrliche Erreichbarkeit der Innenstädte sichern. Im ersten Schritt müssen rasch Maßnahmen ergriffen werden, um akute Verkehrsprobleme zu entschärfen. Im zweiten Schritt müssen die Potenziale innovativer Konzepte ausgeschöpft werden. Und im dritten Schritt gilt es, sich für die Verkehrsbedarfe der Zukunft zu wappnen. Insbesondere hier ist es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in Zukunft nicht weniger Verkehr geben wird, sondern dass der Verkehr anders sein wird. Autonomes Fahren wird beispielsweise zu weniger Fahrzeugen, aber zu deutlich mehr Fahrten in den Innenstädten führen. Dies ist bei den städtischen Planungen dringend zu berücksichtigen.
Aber viele Ihrer Forderungen werden doch schon umgesetzt und sind nicht neu.
Aktuell stellen wir fest, dass einzelne Maßnahmen bereits angegangen werden. Entscheidend für den Erfolg wird sein, dass die Maßnahmen intelligent verknüpft werden. Dazu bedarf es eines umfassenden Dialogs in den Kommunen, um die Zukunft des innerstädtischen Verkehrs gemeinsam und lösungsorientiert zu diskutieren.
Stichwort Diesel-Fahrverbote: Sie sprechen sich für emissionsfreie Fahrzeuge auch im Warenverkehr aus. Welchen Einfluss nehmen Sie auf Ihre Mitgliedsbetriebe, damit diese ihre Flotten anpassen? Und in welchen Zeiträumen denken Sie hier konkret?
Die Wirtschaft unterstützt alle Ansätze, um Emissionen zu reduzieren und die Luft- und Aufenthaltsqualität in den Städten zu verbessern, wie beispielsweise die Elektrifizierung von Busflotten. Auch bei der Belieferung von innerstädtischen Zielen können umweltfreundliche Fahrzeuge, wie E-Scooter, eingesetzt werden, wenn diese technisch und wirtschaftlich sinnvoll sind. Die konkreten Umsetzungen sind jeweils regional abzustimmen.
Einige Ihrer Forderungen sind auch richtig teuer. Etwa eine zusätzliche Rheinquerung. Wo sollte diese entstehen und wer sollte sie bezahlen?
Wir müssen die Kapazitäten bei den Rheinquerungen ausbauen, wenn wir in zehn, 20, 30 Jahren keine gespaltene Metropolregion sein wollen. Uns kommt es auf eine ergebnisoffene Diskussion an, in der jede gute Lösung willkommen ist. Eine Rheinquerung südlich von Ludwigshafen ist dabei nur ein Vorschlag.
Die Baustelle der Ludwigshafener "Hochstraße Nord" wird für den Wirtschaftsverkehr ein Problem. Was schlagen Sie konkret vor?
Um Verkehrsflüsse über kommunale Grenzen hinweg abbilden zu können, ist ein regionales Verkehrsmodell zur Simulation und Prognose – zumindest für den Kernbereich der Metropolregion – unabdingbar. Aus diesem Modell müssen alle Akteure gemeinsam die für die Metropolregion prioritären Baumaßnahmen ableiten. Konsequent sollte die Simulation für ein koordiniertes Baumanagement genutzt werden, das zur Verkürzung der Baustellenzeiten führt.
Sie regen auch an, einen "Wirtschaftsverkehrsbeauftragten" zu installieren. Wer sollte diesen einstellen und welche Aufgaben hätte er oder sie?
Wirtschaftsverkehrsbeauftragte sind aus IHK-Sicht wichtig, um Wirtschaftsverkehre und städtische Planungen stärker als bisher aufeinander abzustimmen bzw. enger zu verzahnen. Dies wären Ansprechpartner in den Stadtverwaltungen, die sich speziell mit dem Thema Wirtschaftsverkehr beschäftigen. Die positiven Erfahrungen mit den beiden Radverkehrsbeauftragten in Mannheim und Heidelberg können als gutes Beispiel dienen.
Wie viele Unternehmen und Haushalte wurden für die Studie befragt?
Es wurden insgesamt 1000 Haushalte in der Metropolregion Rhein-Neckar, also in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz, telefonisch befragt. Zudem fand eine schriftliche Unternehmensbefragung in den Innenstädten Mannheim, Heidelberg und Mosbach statt. Es wurden circa 1600 Unternehmen befragt.