Als ein Flüsschen die Produktion lahm legte
Das Werk des Reifenherstellers Pirelli im Odenwald erlebte 1995 ein verheerendes Hochwasser. Danach wurde der Schutz verbessert.

Von Carsten Blaue
Mannheim/Breuberg. Die Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1995 werden sie bei Pirelli in Breuberg im Odenwald nicht vergessen. Die Schneeschmelze und heftige Regenfälle ließen das sonst so zahme Flüsschen Mümling zur Naturgewalt werden. Von allen Seiten drang das Wasser in das Autoreifenwerk ein. Am letzten Tag der Hochwasserschutzwoche der Metropolregion erinnerte sich der Leiter der Werksfeuerwehr, Edwin Wießmann, an die dramatischen Stunden, bilanzierte die Schäden und erläuterte, wie sich das Unternehmen seitdem besser gegen Überschwemmungen schützt.
Es dauerte damals keine sechs Stunden von der ersten Alarmierung bis zum Abbruch der Produktion. Die knapp 50 Feuerwehrleute hatten zwar noch Sandsäcke aufgeschichtet und mit Baggern Erdwälle erhöht. Doch um 2 Uhr am 26. Januar stand der Pegel der Mümling zweieinhalb Meter über Normal und weit über dem "Jahrhundertpegel" von 1993.
Das Werk liegt direkt am Fluss. Auf dieser Seite hatten die Einsatzkräfte alles gesichert. Doch eine Stunde später kam das Wasser quasi von hinten. "Das hat uns überrascht. Wir hatten keine Chance mehr." Die Rückhalteräume flussauf- und -abwärts waren einfach übergelaufen. Das Wasser überflutete Keller, Produktionsstätten und Trafostationen. Auf einer Werksstraße stand es bis zu einem Meter hoch. Zwar fiel der Pegel schon morgens um 7.30 Uhr wieder. Doch das machte die Schäden nicht besser. "Das war eine teure Sache", sagte Wießmann. Rund zehn Millionen Mark schlugen zu Buche. Der Produktionsausfall umfasste 80.000 Reifen.
Schäden in Höhe von zehn Millionen Mark
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Schon vier Tage nach dem Unglück ließ Pirelli die Maschinen wieder anlaufen. Am 1. Februar fuhr das Werk wieder mit voller Auslastung, und die Verantwortlichen begannen, sich Gedanken darüber zu machen, wie eine solche Katastrophe künftig verhindert werden könnte. Am Ende standen fünf Millionen Euro als Investition in neue Schutzmaßnahmen. An der Mümling wurde eine 300 Meter lange und bis zu 120 Zentimeter hohe Spundwand gebaut, das Werk zusätzlich mit einem Damm abgesichert. Erdwälle bekamen eine Erhöhung, und eine Brücke über den Fluss, an der Schwemmgut das Wasser zusätzlich gestaut hatte, kam ganz weg. Die Türen der Gebäude erhielten mobile Wasserbarrieren und die Werksfeuerwehr weitere 4000 Sandsäcke. Im Jahr 2013 bewährten sich die Maßnahmen, als der Pegel wieder so heftig anstieg wie 18 Jahre zuvor.
Wießmann ließ nicht unerwähnt, dass auch der Odenwaldkreis auf die Hochwasserereignisse reagierte. 2010 wurde das Rückhaltebecken in Zell gebaut, vergangenes Jahr wurde eines in Schönnen fertig. Die Stauung in Marbach ist wohl die Bekannteste im südhessischen Odenwald. Überdies sei ein viertes Hochwasserrückhaltebecken in Planung, so der Leiter der Werksfeuerwehr, die seither auch mit einem speziellen Alarmplan gerüstet ist. Doch alles habe Grenzen, so Wießmann. Der Wasserdruck in der Kanalisation bleibe ein Problem.
Auf die drei Kanalsysteme des Industrieparks Höchst (IPH) in Frankfurt muss Cornelia Buchheit besonders aufpassen, wenn es um Schutz vor Hochwasser und Starkregen geht. Sie leitet bei der Betreibergesellschaft Infraserv den Gewässerschutz und erläuterte am Freitag, wie der IPH vor solchen Ereignissen gesichert wird. Der Main teilt den 460 Hektar großen Chemie- und Pharmastandort mit 980 Gebäuden und 90 Unternehmen, und der Fluss dürfe im Ernstfall nicht verunreinigt werden. Dafür sollen die getrennten Kanalsysteme für Sanitär- und Prozessabwasser sowie Kühl- und Regenwasser ebenso sorgen wie Speicherbehälter, die eine Überlastung der Kläranlagen verhindern. Bisher hat man im IPH mit Dämmen, Pumpen und Geländeaufschüttungen gearbeitet. Im schlimmsten Fall könnte man die Prozessabwassermengen drosseln, sprich: die Produktionen zurückfahren – was aber nicht im Sinne der Betriebe ist. Infraserv verzichtet zudem darauf, die einzelnen Unternehmen zu eigenen Schutzmaßnahmen zu verpflichten. Auch hochwasserresistentes Bauen oder Sickerflächen auf dem Werksgelände sind noch keine Themen. Es sei auch zu aufwändig, einzelne Gebäude zu schützen oder sensible Produktionen in höhere Stockwerke zu verlagern. Man habe aber vor, die mobilen Schutzelemente zu "perfektionieren", so Buchheit.
Anregungen dafür konnte sie sich im Vortrag von Joachim Bobel holen. Dessen Firma baut in Gersthofen bei Augsburg mobile und fest installierte Hochwassersperren, und zwar für ziemlich alles, was man sichern kann – vom Fenster über Parkhaus- und Werkseinfahrten bis hin zu Wehren und kompletten Unterführungen.