"Ich habe ihn auf dem Präsentierteller serviert"
Flüchtlingshelferin nahm Mostafa N. mit zur Ausländerbehörde, um dort seine Duldung zu verlängern. Doch der Afghane wurde festgenommen und später abgeschoben.

Das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises in Heidelberg. Foto: Reinhard Lask
Von Carsten Blaue
Ladenburg/Heidelberg. Mostafa N. ist am Mittwochmorgen in der afghanischen Hauptstadt Kabul angekommen. Der 26-Jährige, der seit 2016 in Ladenburg gelebt hatte, saß gemeinsam mit 36 anderen Männern aus acht Bundesländern an Bord eines Abschiebeflugs, der in München gestartet war. Für die Ehrenamtlichen des Ladenburger "Arbeitskreises für Flüchtlinge und Hilfsbedürftige" (AK) ist N.s Schicksal schwer zu verkraften. Vor allem für AK-Mitglied Petra Fuhry, die Betreuerin von Mostafa N. Sie war dabei, als er am vergangenen Freitag gegen Mittag in den Räumen der Ausländerbehörde des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises in Heidelberg festgenommen wurde. Die Eindrücke lassen sie nicht los. Vor allem nicht die Vorgeschichte. Sie fühlt sich von der Ausländerbehörde instrumentalisiert.
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"Ich bin wie traumatisiert", sagt die 63-Jährige am Telefon im Gespräch mit der RNZ: "Dabei habe ich schon viel erlebt." Fuhry sagt, seit etwa dreieinhalb Jahren gehe sie im Landratsamt quasi ein und aus. Etwa alle zwei Wochen sei sie in der Ausländerbehörde: "Ich betreue ja viele." Und sie betont, dass sie immer sehr gut mit den Mitarbeitern der Behörde ausgekommen sei. Eine (wie immer dreimonatige) Duldungsverlängerung für einen ihrer Schützlinge ist für sie Routine. Und so sollte es auch dieses Mal bei Mostafa N. sein. Da der gelernte und für seine Leistungen ausgezeichnete Straßenbauer zuletzt eine Aufbaulehre als Rohrleitungsbauer bei Diringer & Scheidel absolvierte und zu normalen Bürozeiten auf Baustellen war, hatte Fuhry eine Vollmacht für ihn, um seine Papiere abholen zu können.
So sollte es auch dieses Mal sein: "Ich bekam eine Mail, dass ich am Freitag um 11 Uhr kommen kann. Donnerstags kam aber eine zweite Mail der Mitarbeiterin mit der Frage, ob ich Mostafa mitbringen könnte. Ohne Begründung", sagt Fuhry. "Im Nachhinein frage ich mich schon, wie blöd und naiv ich eigentlich war. Ich wunderte mich zwar darüber, dass er dieses Mal mitkommen soll. Aber ich wollte niemanden verärgern. Nachher wäre seine Duldung vielleicht nicht verlängert worden." Also nahm sie ihn mit, nachdem ihm sein Polier freigegeben hatte. N. musste nur von der Baustelle am Hauptbahnhof rüberlaufen zum Landratsamt.
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Mostafa N.s Asylantrag war nach Angaben aus dem Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) bereits im Mai 2017 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt worden. Seit April 2019 sei er demnach "vollziehbar ausreisepflichtig" gewesen, habe also – wenn er nicht freiwillig ausreist – jederzeit damit rechnen müssen, abgeschoben zu werden, heißt es auf RNZ-Anfrage aus Karlsruhe.
Fuhry hat am Freitag mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Nach längerer Wartezeit durfte sie mit N. hereinkommen: "Ich wunderte mich noch, warum eine Mitarbeiterin, die sonst im Büro nebenan ihren Platz hat, plötzlich hier neben ihrer Kollegin saß. Da kamen plötzlich von links und rechts aus den Büros bewaffnete Polizisten." Nach Angaben des Landratsamts waren es insgesamt vier.
Sie nahmen N. fest: "Und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Mostafa hatte mir immer vertraut und ich habe ihn hier auf dem Präsentierteller serviert", sagt Fuhry. Nichts ahnend: "Ich hatte diesen Termin doch nicht gemacht, damit sie ihn verhaften können." Dafür habe es im Vorfeld auch keinerlei Anzeichen gegeben. "Ich war so perplex", sagt Fuhry: "Ich konnte nur fragen: ’Und das tun Sie mir hier so an?’". Sie treibt um, dass die Ausländerbehörde genau gewusst hat, was sie da tut, vorher aber nichts gesagt hat. N. habe jedenfalls noch einmal telefonieren dürfen. Er meldete sich bei seinem Polier ab, der daraufhin ins Landratsamt eilte. N. sei dann auf das Polizeirevier Mitte gebracht worden, so Fuhry: "Die Polizisten waren wirklich alle sehr nett." Besonders eine Polizistin habe viel Verständnis für Fuhry und die für sie schockierende Situation in der Ausländerbehörde gezeigt.
Landratsamt kündigt Überprüfung an
Mit Fuhrys Darstellungen hat die RNZ auch das RP und das Landratsamt konfrontiert. In der Antwort aus Karlsruhe wird daran erinnert, dass N. im Juni 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit zweijähriger Bewährung verurteilt wurde. Zu N.s Verhaftung im Büro der Ausländerbehörde erklärt das RP nur allgemein: "Deutlich mehr als ein Drittel der geplanten Abschiebungen in Baden-Württemberg scheitert daran, dass die Betreffenden nicht angetroffen werden. Deswegen werden gelegentlich auch Termine bei Ausländerbehörden genutzt, um ausreisepflichtige Ausländer, insbesondere Straftäter, in Gewahrsam zu nehmen und die Abschiebung somit sicherzustellen." Einfühlsamer für Fuhrys Lage gibt sich das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises. In der Stellungnahme heißt es: "Wir können die persönliche Betroffenheit und Enttäuschung des AK ’Flüchtlinge und Hilfsbedürftige’ in Ladenburg nachvollziehen. Wir werden daher das gesamte Vorgehen in einem strukturierten Verfahren überprüfen." Ein erster Schritt solle diesbezüglich ein persönliches Gespräch zwischen der Ehrenamtsbeauftragten des Rhein-Neckar-Kreises und dem Arbeitskreis sein. Fuhry bestätigt das. Sie sagt, das Treffen finde am Freitag statt.
Die Ladenburgerin hofft, dass sie und ihre Schützlinge jetzt seitens der Ausländerbehörde keine Nachteile zu spüren bekommen, weil sie N.s Fall öffentlich gemacht hat: "Ich habe Angst vor Willkür." Auch dazu klingen die Töne aus dem Landratsamt aber moderat: "Einer weiterhin vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit steht nach unserem Dafürhalten nichts entgegen", so Kreissprecherin Silke Hartmann. Petra Fuhry scheint sich also keine Sorgen machen zu müssen.
Für Mostafa N., der nach Angaben des AK dem in Afghanistan verfolgten Volk der Hazara angehört, will sie unvermindert weiterkämpfen: "Jetzt hole ich ihn eben wieder zurück. Die Energie werde ich auch noch aufbringen."