Heidelberg

Queerfeindliche Vorfälle häufen sich in der Stadt

Auch Stadt, Kirche, Universität und Kultur sind betroffen. Stecken fundamentalistische Christen hinter den Angriffen?

23.06.2022 UPDATE: 24.06.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 28 Sekunden
Unbekannte rissen kürzlich die Regenbogenflagge an der Jesuitenkirche ab. Sie ist ein Symbol für die Akzeptanz und Gleichberechtigung von Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild oder anderen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren. Foto: Christian Ende

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Fundamentalistische Flyer, Schmierereien, Hetze: In Heidelberg häufen sich Anfeindungen gegen die queere Community. Zuletzt rissen Unbekannte nachts eine Regenbogenflagge an der Jesuitenkirche in der Altstadt ab. Schon im Frühjahr waren mehrere queere Veranstaltungen das Ziel von Attacken.

> Zerstörte Plakate und mit Hassparolen beschmierte Wände: Bereits beim Bürgerfest der Stadt im März wurden Vertreter des Heidelberger Queer Festivals von einem Unbekannten mit nationalsozialistischer Rhetorik angegangen. Im Mai, rund um das Festival, tauchten dann an mehreren zentralen Orten der Stadt queer- und frauenfeindliche Graffiti, Schriften und Aufkleber auf. Der Karlstorbahnhof, Universitätsgebäude und auch das Rathaus wurden mit diffamierenden Aussagen beschmiert und beklebt. Am S-Bahnhof Südstadt/Weststadt wurden Poster des Queer Festivals zerstört und mit Parolen wie "Volkstod stoppen" verunstaltet. Zwar habe es auch in den letzten Jahren Einzelfälle dieser Art gegeben – "aber in diesem Jahr war es sehr aggressiv, sehr organisiert und sichtbar", sagt Martin Müller, künstlerischer Leiter und Gründer des Festivals.

> Junge Männer störten Rad-Demo: Bei der Fahrrad-Kundgebung "Dykes on Bikes" am 14. Mai mischten sich drei junge Männer unter die Demonstrierenden und verteilten ein queerfeindliches "Thesenpapier". Dieses wurde am gleichen Tag auch auf einem Twitter-Account mit dem Namen "Christliche Aktion HD" veröffentlicht. Darin argumentieren die Urheber etwa, dass es der Bibel zufolge keine Grundlage für die Trennung von biologischem Geschlecht und Gender gebe, dass homosexuelle Handlungen "eine schwere Sünde und Abirrung" seien. Zugleich prangern sie das Konzept der Queer-Gottesdienste an, die ihrer Meinung nach "eine neomarxistische und zutiefst antichristliche Agenda" in die Kirche holten. Die Polizei griff ein, kontrollierte die Männer und identifizierte sie. Die Ermittlungen laufen.

> Aktionen gegen die Kirche: Auch die Kirche und die Initiative Queergottesdienst Heidelberg wurden zum Ziel queerfeindlicher Vorfälle. Die Organisatoren des evangelischen Queergottesdienstes in der Peterskirche wurden ebenfalls mit dem "Thesenpapier" konfrontiert – mittels privater Kontaktaufnahmen durch die Gruppe "Christliche Aktion HD". Eine Vertreterin der studentischen Initiative berichtete davon, dass ihr Botschaften mit Drohcharakter wie "Wir werden handeln" oder "Wir sehen uns beim nächsten Queer-Gottesdienst" zugeschickt worden seien. Die Polizei ermittelt auch hier.

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Beim queeren Segnungsgottesdienst der katholischen Kirche am 17. Mai tauchte das queerfeindliche "Thesenpapier" der "Christlichen Aktion HD" ebenfalls auf. Laut Johannes Brandt, Leiter der katholischen Stadtkirche, fanden die Gottesdienstbesucher etwa 50 Stück davon in den ausliegenden Gesangsbüchern. Zudem habe man rund um die Altstadt-Kirche immer wieder Aufkleber entdeckt, die auf eine fundamental-religiöse Ecke hindeuteten.

In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni rissen dann Unbekannte vor der Jesuitenkirche eine Regenbogenflagge ab und beschädigten diese. Auch hier ermittelt die Polizei. Stadtkirchen-Leiter Brandt hatte in selbiger Nacht eine merkwürdig erscheinende Begegnung. Als er gegen 1 Uhr zum Pfarrhaus gegenüber der Jesuitenkirche zurückkehrte – die Regenbogenflagge hing zu diesem Zeitpunkt noch – saßen vier Männer um die 20 Jahre auf der Treppe und fragten, wer er sei und ob er hier wohne. Daraus entwickelte sich ein 45-minütiges Gespräch über die Frage, wieso vor der Kirche eine Regenbogenflagge hänge – und ob dies der Bibel nach haltbar sei. Die jungen Männer seien der Meinung gewesen, dass Kirche und queere Themen nicht zusammenpassen, sagt Brandt. Er betont jedoch: "Das Gespräch war zu jeder Zeit friedlich und sachorientiert." Von seinen Gesprächspartnern erfuhr er, dass sie evangelischen Glaubens sind. Sie machten auf ihn allerdings nicht den Eindruck, einer christlich-fundamentalistischen Denkrichtung anzugehören.

Hintergrund

> "Queer" umfasst als Sammelbegriff viele Arten von Geschlecht, Sexualität und/oder Identität. Das englische Wort für "eigenartig, merkwürdig, seltsam", das ursprünglich oft im negativen Sinn verwendet wurde, hat sich zu einer positiven Selbstbezeichnung entwickelt.

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> "Queer" umfasst als Sammelbegriff viele Arten von Geschlecht, Sexualität und/oder Identität. Das englische Wort für "eigenartig, merkwürdig, seltsam", das ursprünglich oft im negativen Sinn verwendet wurde, hat sich zu einer positiven Selbstbezeichnung entwickelt. "Queer" kann demnach alles beschreiben, was nicht der allgemeinen Norm entspricht – in unserer Gesellschaft also der Zweigeschlechtlichkeit und der "traditionellen" heteronormativen Beziehungsform zwischen Mann und Frau.

> "LGBTIQ+" steht als aus dem Englischen übernommene Abkürzung für lesbian (lesbisch), gay (schwul), bisexual (bisexuell), trans, inter und queer. Das "+" stellt dar, dass der Sammelbegriff weitere sexuelle und geschlechtliche Identitäten einschließt, die sich nicht in einem der Anfangsbuchstaben beziehungsweise der Bezeichnung dahinter wiederfinden. Es gibt mehrere andere Varianten dieses Akronyms – im englischsprachigen Raum wird für gewöhnlich LGBT für lesbian, gay, bisexual and transgender verwendet. pne

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> Die Rolle der "Christlichen Aktion HD": Der Twitter-Account "Christliche Aktion HD" gründete sich im Mai. Dort stößt man neben dem erwähnten queerfeindlichen "Thesenpapier" unter anderem auf ein Foto eines Laternenmastes vor der Jesuitenkirche, der mit Sticker-Parolen wie "Gender-Ideologie ist tödlich" beklebt ist. Kommentiert wird das Ganze so: "Immerhin sind wir nicht die Einzigen, die Widerstand zeigen. (...) Wir können uns den Inhalten nur anschließen."

Wer hinter der Gruppierung steckt, und inwieweit sie an den queerfeindlichen Vorfällen beteiligt war, ist unklar. Die Polizei konnte auf RNZ-Anfrage keine Angaben dazu machen. Aus der queeren Community ist zu hören: Man wisse, dass die drei jungen Männer, die das queerfeindliche "Thesenpapier" bei der Fahrrad-Demonstration verteilt hatten, der Gruppierung "Christliche Aktion HD" angehörten. Mindestens zwei von ihnen würden an der Universität Heidelberg Theologie studieren. Die Gleichstellungsbeauftragte der Uni, Christiane Schwieren, erklärt auf Anfrage, es gebe aktuell "keine hinreichenden Hinweise", ob die queerfeindlichen Vorfälle auf Studierende der Theologischen Fakultät zurückzuführen seien.

> Was aus den Vorfällen folgt: Die genauen Hintergründe der Taten sind noch immer nicht bekannt. Tatverdächtige habe man bislang nicht ermitteln können, erklärte ein Polizeisprecher gegenüber der RNZ. Auf die Frage, ob die Polizei zuletzt vermehrt queerfeindliche Vorfälle in Heidelberg registriert habe, konnte der Sprecher keine abschließende Antwort geben. Der Begriff "queerfeindlich" sei nicht hinreichend bestimmt und sehr weit gefasst. Er könne in den polizeilichen Systemen nicht recherchiert werden.

Der Stadt zufolge kam es im Mai jedenfalls zu einem "deutlich erhöhten Beschwerdeaufkommen" in der Koordinationsstelle LSBTIQ+ des Amts für Chancengleichheit. Innerhalb von 14 Tagen seien 47 Beschwerden von Individuen, Initiativen und Gruppen registriert worden. Die Stadt erklärt: "Die Inhalte der Meldungen heben die Verunsicherung, Sicherheitsbedenken und Ängste der Betroffenen und die Unklarheit, wie man mit den Geschehnissen umgehen kann, hervor." Besonders internationale Mitarbeitende der Universität, von Kliniken und Forschungseinrichtungen sowie internationale Studierende hätten beunruhigt reagiert.

Stadt, Kirche, Universität und die queere Community selbst betonen allesamt, sich nicht einschüchtern lassen zu wollen, sich weiter für Vielfalt einsetzen und dafür sensibilisieren zu wollen. Erste Konsequenzen aus den Vorfällen zieht die Initiative Queergottesdienst: Der nächste Queer-Gottesdienst in der Peterskirche am 6. Juli soll unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden.

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