Vor 50 Jahren

Als Anschläge der RAF Heidelberg erschütterten

Am 24. Mai 1972 um kurz nach 18 Uhr erschütterten zwei Explosionen die Südstadt. Ein ehemaliger Polizist erinnert sich.

23.05.2022 UPDATE: 24.05.2022 06:00 Uhr 4 Minuten, 8 Sekunden
Trümmerteile und Splitter wurden bis in die Straßen rund um die Campbell Barracks geschleudert. Die Bombe im VW Käfer, der vor dem Offizierscasino geparkt war, verursachte glücklicherweise nur Sachschäden an anderen Fahrzeugen. Fotos: Eller/Welker

Von Steffen Blatt

Heidelberg. Es ist der 24. Mai 1972 – heute vor genau 50 Jahren – als um kurz nach 18 Uhr zwei Explosionen die Südstadt erschüttern. In den Campbell Barracks in der Römerstraße, damals Sitz des Hauptquartiers der US-Streitkräfte in Europa, detonieren kurz hintereinander zwei Autobomben, ein Anschlag der RAF, die in diesem Monat in Deutschland sechs Sprengstoffattentate verübt. Drei Soldaten sterben, fünf Menschen werden verletzt. Die RNZ erinnert an den blutigen Anschlag – und hat mit dem Polizisten gesprochen, der damals als erster am Tatort war.

Jakob Schollmeier heißt eigentlich anders, doch er möchte nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung erscheinen. Er ist 1972 seit zwei Jahren Kriminaloberkommissar und leitet bei der Polizeidirektion Heidelberg die Fahndungsabteilung. Am 24. Mai ist der 32-Jährige als "Kommissar vom Dienst" im Einsatz, das heißt, er koordiniert alle Meldungen, die bei der Polizeidirektion eingehen. Um 18 Uhr hat er gerade seinen Nachtdienst begonnen. Geplant sind eigentlich Kontrollen in der Unteren Straße, um Ausreißer zu finden.

Die Überreste des Ford 17 M vor dem Gebäude 28. Die Explosion kostete drei Menschen das Leben. Fotos: Eller/Welker

Gegen 18.10 Uhr kommt ein Anruf: Durch unsachgemäßen Umgang mit Benzin ist im US-Hauptquartier ein Auto in die Luft geflogen. Nichts wahnsinnig Außergewöhnliches. Zwei Minuten später die Korrektur: Es war eine Bombe. "Dann war sofort klar, das war die RAF", erinnert sich Schollmeier. Er steigt in seinen Dienstwagen und fährt zu den Campbell Barracks.

Am Ort des Geschehens hinter dem markanten Torhaus bietet sich dem Polizisten ein Bild des Schreckens: Die erste Autobombe, die auf einem Parkplatz vor dem Gebäude 28 explodierte, hat Gebäude und Fahrzeuge zerstört – und Menschen getötet: Captain Clyde Bonner, der gerade auf dem Weg zu seinem Wagen war, wurde in Stücke gerissen. Specialist Charles L. Peck wurde von einer herumfliegenden Eisentür erschlagen, Specialist Ronald A. Woodward wird durch die Luft geschleudert und stirbt später im Krankenwagen.

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Die zweite Autobombe geht auf dem Parkplatz vor dem Offizierscasino in die Luft und verursacht vor allem Sachschäden.

Schollmeier sieht die Toten und die Zerstörung. Trotzdem reagiert er professionell, macht seine Arbeit: Er weist die Militärpolizei an, alles abzusperren. Er findet ein US-amerikanisches Autokennzeichen, das er per Funk von der Zentrale überprüfen lässt: Es ist gestohlen.

Der Oberkommissar gibt die Anweisung, das Stadtgebiet nach weiteren Fahrzeugen mit US-Kennzeichen abzusuchen. "Ich ging davon aus, dass sie in einem solchen Auto die Kaserne wieder verlassen hatten. Außerdem wusste man, dass die RAF-Terroristen häufig die Fahrzeuge wechseln." Gefunden wird aber nichts.

Als Schollmeiers Kollegen von der Kriminalpolizei am Tatort eintreffen, ist seine Arbeit erledigt. Er fährt zurück in die Polizeidirektion. In der Folge übernehmen Landes- und Bundeskriminalamt die Ermittlungen. Am 25. Mai bekennt sich die RAF zu dem Anschlag und macht damit offiziell, was ohnehin schon alle wussten.

Die Stadt indes befindet sich im Ausnahmezustand: Fieberhaft wird nach den Tätern gefahndet, vor allem nach einer Frau mit grünem Rock, die aber nie gefunden wird. Gleichzeitig sorgen Trittbrettfahrer durch 13 anonyme Telefonanrufe für Chaos. Unter anderem wird der Hauptbahnhof wegen einer Bombendrohung geräumt, auch in einem Seniorenheim auf dem Boxberg wird eine Explosion angekündigt. Der RAF-Terror ist nun auch in Heidelberg angekommen.

Vor dem Anschlag sei das anders gewesen, berichtet Schollmeier. "Man dachte, die RAF, die gibt’s nur in Berlin oder Hamburg." Nun hatte sich in Heidelberg der blutigste Anschlag der RAF-Geschichte ereignet. Und der Ermittler von damals ist überzeugt, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können. "Wenn die Bombe vor dem Offizierscasino später am Abend explodiert wäre, hätte es mehr Tote gegeben. Denn dann war dort immer viel los."

Nach dem Anschlag am 24. Mai 1972 sammelten sich Schaulustige vor dem Hauptquartier der US-Armee. Foto: Welker

Erst im Prozess gegen die erste Generation der RAF wird durch die Aussagen von Kronzeugen bekannt, wie die Terroristen den Anschlag in Heidelberg ausgeführt haben, eine Verdächtige bleibt bis heute verschwunden (siehe unten).

Jakob Schollmeier macht weiter Dienst bei der Heidelberger Polizei – und wird neun Jahre später erneut direkt mit dem RAF-Terror konfrontiert. Am 15. September 1981 schießt Christian Klar vom Schlossberg aus mit einer Panzerfaust auf den Dienstwagen des US-Generals Frederick J. Kroesen, der gerade am Karlstorbahnhof an einer Ampel hält.

Wieder ist Schollmeier der erste Polizist am Tatort, erzählt er: "Ich war mit dem Dienstwagen auf dem Weg zur Arbeit. Als ich gerade in der Brückenstraße war, kam über Funk die Meldung über das Attentat. Ich bin hinter der Theodor-Heuss-Brücke links abgebogen und war drei Minuten später vor Ort."

Der Mercedes des Generals ist da schon abtransportiert – dank der Panzerung sind Kroesen, seine Frau, der Fahrer und die weiteren Begleiter unverletzt geblieben. Schollmeier fährt zum Schlossberg, in der Hoffnung, dort noch etwaige Täter anzutreffen. Nach 20 Minuten wird er wieder ins Tal beordert. Später findet man Schlafsäcke am Hang – offenbar hat Klar dort mehrere Tage zugebracht, um auf einen günstigen Moment zu waren.

Am 20. April 1998 gibt die RAF ihre Auflösung bekannt. 1999 geht Jakob Schollmeier in den Ruhestand.


So lief der RAF-Anschlag ab

Der Anschlag auf das US-Hauptquartier kann vor allem durch die Aussagen des RAF-Mitglieds Gerhard Müller im Stammheim-Prozess rekonstruiert werden. Demnach fuhren die Terroristen am 24. Mai 1972 mit fünf Autos von Frankfurt nach Heidelberg, angeführt von Andreas Baader. Ein weißer Ford 17 M aus der Kolonne ist mit einer 33,5 Kilogramm-Butangasflasche ausgestattet, die mit einem roten Sprengstoffgemisch gefüllt ist. In einem metallic-grünen VW Käfer 1320 S befindet sich eine elf Kilogramm schwere Butangasflasche.

Auf einem Waldweg kurz vor Heidelberg halten die Frauen und Männer an, um die Zeitzünder der Bomben einzustellen. Dafür verwenden sie Tischwecker der Firma Jerger aus dem Schwarzwald. Da sie gestohlene US-Kennzeichen an den beiden Fahrzeugen angebracht haben, werden sie am Eingang der Campbell Barracks durchgewunken, das passiert zwischen 17 und 17.50 Uhr. Die 25-jährige Irmgard Möller parkt den Ford vor dem Gebäude 28, Angela Luther (32) stellt den Käfer vor dem Offizierscasino ab. Um kurz nach 18 Uhr detonieren die Bomben.

Der Anschlag ist Teil der "Mai-Offensive" der RAF. Innerhalb von 13 Tagen werden bei sechs Sprengstoff-Anschlägen in ganz Deutschland vier Menschen getötet – drei davon in Heidelberg. Die Antwort der staatlichen Behörden folgt schnell. Noch im Juni 1972 wird die Führungsriege der RAF verhaftet und damit die Planer und teilweise Täter der Mai-Anschläge – unter anderem Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. Fünf Jahre später werden drei von ihnen – Meins ist in Folge seines Hungerstreiks verstorben, Meinhof hat Suizid begangen – wegen Mordes in vier Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Noch bevor das Urteil rechtskräftig wird, bringen sich Baader, Ensslin und Raspe in der Nacht auf den 18. Oktober in ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim um, nachdem die Geiseln der entführten Lufthansa-Maschine in Mogadischu befreit worden waren. Angela Luther ist seit 1972 spurlos verschwunden, gegen sie wurde nie Anklage erhoben.

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