Wie Unirektor Eitel die Folgen des Bluttest-Skandals beurteilt
Unirektor Bernhard Eitel kann dem Bluttest-Skandal sogar etwas Positives abgewinnen - Missbrauch wissenschaftlicher Ergebnisse bereitet ihm Kopfzerbrechen

Von Holger Buchwald und Denis Schnur
Erfolgreiche Exzellenz-Strategie, die Wiederwahl des Rektors und das Fiasko rund um den Bluttest für Brustkrebs. Die Universität Heidelberg hat ein bewegtes Jahr hinter sich. Im RNZ-Interview zieht Rektor Bernhard Eitel Bilanz und blickt optimistisch auf das Jahr 2020. Zur aktuellen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, dass der Abschlussbericht zur Aufarbeitung des Bluttest-Skandals nicht veröffentlicht werden kann, will er sich als Uni-Rektor nicht äußern. Diese Entscheidung betreffe ausschließlich das Universitätsklinikum.
Herr Eitel, in 2019 gab es viele Aufs und Abs: Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Für die Universität war die Entscheidung im Wettbewerb Exzellenzstrategie das wichtigste Ereignis. Da sie für uns sehr positiv ausfiel, war es ein gutes Jahr. Was hingegen den Bluttest angeht, hätte ich darauf gerne verzichtet. Leider muss ich aber sagen: Solche Dinge passieren. Mit ihnen muss man dann entsprechend distanziert und möglichst emotionslos umgehen. Ich sehe meine Aufgabe darin, möglichen Schaden von der Universität abzuwenden.
Einige warten nun darauf, dass es auch für den vermeintlichen Erfinder des Bluttests, Frauenklinik-Chef Christof Sohn, Konsequenzen gibt.
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Zu personenbezogenen und beamtenrechtlichen Angelegenheiten darf ich nichts sagen. Wir arbeiten daran, dass der Sachverhalt ergebnisoffen und gründlich aufgeklärt wird.
Wird es noch Konsequenzen geben?
Diejenigen, die die Vorfälle untersuchen, sind unabhängig. Das Ergebnis lässt sich noch nicht absehen.
Hat der Bluttest-Skandal der Reputation der Universität geschadet?
Das hat er sicherlich. Er hat vor allem der Reputation des Universitätsklinikums und der Medizinischen Fakultät geschadet. Wie groß der Schaden ist und wie dauerhaft, wird sich noch zeigen. Ich denke aber, dass andere Disziplinen wie die Geistes- oder Naturwissenschaften davon kaum betroffen sind. Im Übrigen kenne ich keine Universität, die nicht mit ähnlichen Fällen zu kämpfen hätte.
Warum sorgen diese dann nicht für solche Schlagzeilen wie in Heidelberg?
Dass der Fall hier so hohe Wellen schlug, hatte zwei Gründe: Die Veröffentlichung über die Bild-Zeitung und die Gleichzeitigkeit mit der noch ausstehenden Entscheidung zur Exzellenzstrategie. Wobei ich es als ungerechtfertigt ansehe und es auch schlichtweg falsch finde, den Bluttest-Fall inhaltlich mit der Qualität der gesamten Universität zu verknüpfen. Das haben zum Glück die Entscheidungsgremien in Bund und Ländern auch so gesehen.
Können Sie den ganzen Vorkommnissen auch etwas Positives abgewinnen?
Wenn es etwas Positives dazu zu sagen gibt, ist es, dass in der Universität das Bewusstsein für gute wissenschaftliche Praxis noch weiter geschärft wurde. Alle Gremien achten nun noch stärker darauf. Trotzdem, auch das muss ich ganz klar sagen: Niemand kann für die Zukunft Fehler ausschließen. Wir können dagegen nur Vorsorge treffen und entsprechende Mechanismen etablieren.
Andere Unis standen noch mehr im Fokus der Politik. In Hamburg gab es Ärger um Auftritte der Politiker Lindner und Lucke. Können Sie die Absage für den FDP-Chef nachvollziehen?
Was da gelaufen ist, ist hochkomplex. Aber wenn dann von Politikern die Forderung kommt, die Unis sollten sich der politischen Diskussion öffnen, sage ich: Nein! Die politische Auseinandersetzung in einer Demokratie erfolgt im Parlament. Wenn Politiker sagen, sie müsse in der Universität laufen, ist das eine Armutserklärung der Demokratie und der Politik. Unser Auftrag ist es, Politik zu sezieren, zu beraten und zu schauen: Was macht Politik? Welche Konsequenzen hat Politik?
Gab es hier in Heidelberg schon ähnliche Anfragen, die abgelehnt wurden?
Wir bekommen immer wieder Anfragen von Parteien, Räume für Veranstaltungen zu nutzen. Die lehnen wir grundsätzlich ab.
Eine vermeintlich gute Nachricht kam am Ende des Jahres: Die Hochschulen bekommen mehr Geld vom Land. Wie zufrieden sind Sie mit dem neuen Finanzierungsvertrag?
Wenn das Land 1,8 Milliarden Euro zusätzlich in das Hochschulsystem steckt, ist das nach vielen Jahren der Stagnation erst einmal positiv. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Das Land beginnt, die Verluste seit 1998 zu kompensieren, aber wir erreichen bei weitem nicht den Finanzierungsstand von damals. Insgesamt bekommen wir durch den Vertrag nach ersten Schätzungen rund fünf bis sechs Millionen Euro mehr pro Jahr, sodass wir in fünf Jahren bei etwa 25 Millionen Euro mehr sind – das sind etwa zehn Prozent unserer derzeitigen Landesmittel. Das klingt zunächst gut. Aber aktuell treiben wir ein Defizit von fünf bis sieben Millionen Euro im Jahr vor uns her. Außerdem rechnen wir mit zusätzlichen Ausgaben – für Klimaschutz und Digitalisierung etwa. Insofern sind wir dankbar, dass wir zusätzliche Mittel erhalten, sonst müssten wir kürzen. Aber es ist nicht so viel mehr, dass wir jetzt große Sprünge machen könnten.
Zum Schluss ein Blick auf das noch junge neue Jahr: Womit werden Sie 2020 zu kämpfen haben?
Es gibt eine Herausforderung, die mir unter den Nägeln brennt: die offene Wissenschaft. Es herrscht derzeit ein Paradigma vor, dass wir über Open Access, Open Science und Citizen Science alle Ergebnisse für die Gesellschaft verfügbar machen. Das ist per se gut, hat aber eine Kehrseite: Jeder in der Gesellschaft pickt sich nun aus der Vielzahl wissenschaftlicher Ergebnisse die heraus, die das jeweilige partikulare oder politische Interesse unterstützen. Und dann heißt es: Die Wissenschaft hat festgestellt, dass... Ein derartig willkürlicher Umgang mit wissenschaftlichen Arbeiten wird häufiger, je einfacher man auf Ergebnisse zugreifen kann.
Und wie sollte die Gesellschaft darauf reagieren?
Wir müssen zunächst gesellschaftlich eine Diskussion darüber führen, wie wir mit Wissen umgehen. Ich möchte da den Begriff "Dual Use" von Wissen einführen. Den Begriff kennen wir bisher vor allem im Zusammenhang mit Technologien. Mit einem Hammer kann man Nägel in die Wand, aber auch Köpfe einschlagen. So ist es auch mit Wissen: Ein Wissenschaftler nutzt wissenschaftliche Daten anhand methodologischer Kompetenzen, kennt die Grenzen seiner Resultate, weiß sie fachgerecht zu interpretieren und stellt sie zur Diskussion. Unredlicher Gebrauch von wissenschaftlichen Ergebnissen ist, wenn man sich aus dem frei zugänglichen Wissen einzelne Punkte herauspickt, sie pseudowissenschaftlich zusammenbastelt und so Wissenschaft zur Legitimation einer "eingefärbten" Position heranzieht. Daraus entsteht ein fundamentales Problem für Wissenschaft – und für die Gesellschaft. Die weiß dann nämlich nicht mehr, welcher Wissenschaft nun zu vertrauen ist.
Was würden Sie sich für 2020 wünschen – für die Uni und für sich selbst?
Für mich selbst, dass ich etwas mehr Herr über meine Lebenszeit werde als in den vergangenen Jahren. Für die Uni, dass es uns gelingt, die Exzellenzprojekte gut umzusetzen, weiterhin erfolgreich zu arbeiten und die alten Baustellen abzuarbeiten. Ich wünsche mir, dass wir für die Uni gute Zukunftsperspektiven entwickeln. Dazu gehört auch der Masterplan für das Neuenheimer Feld.
Info: Was Rektor Bernhard Eitel zu Masterplan und Klimaschutz zu sagen hat, lesen Sie nächste Woche in der RNZ.



