Letzte Chance für den Brustkrebs-Bluttest
Unabhängige Experten sollen klären, ob er doch etwas taugt. Die Bilanz der Uniklinik weist 2020 trotz Corona nur ein leichtes Minus auf.

Von Klaus Welzel und Sebastian Riemer
Heidelberg. Der Heidelberger Brustkrebs-Bluttest bekommt eine letzte Chance: Das Universitätsklinikum und der Investor Jürgen Harder einigten sich darauf, dass unabhängige Experten in einer Pilotstudie den Test evaluieren. Die Studie, die bereits begonnen hat, läuft bis zum Jahr 2023. Dabei sind die Ziele allerdings deutlich tiefer gesteckt: Es geht nicht mehr um die Früherkennung von Brustkrebs, sondern lediglich darum, ob der Bluttest helfen kann, bei Brustkrebs-Patientinnen das Ansprechen auf die Therapie zu kontrollieren.
Stellt sich heraus, dass der Bluttest nichts taugt, verzichten beide Seiten auf weitere Ansprüche. Entpuppt er sich im Nachhinein doch noch als nützlich, würde das neuen Schwung für die Firma Heiscreen bedeuten, die den Test im Jahr 2019 im Rahmen einer groß angelegten Medienkampagne anpries. (siehe unten)
Vorgehen mit der Landespolitik abgestimmt: Die Pilotstudie erhielt auch den Segen des Klinik-Aufsichtsrates, dem die Ministerialdirektorin Simone Schwanitz aus dem Wissenschaftsministerium vorsteht. Allen Seiten, so der Leitende Ärztliche Direktor des Uniklinikums, Prof. Ingo Autenrieth, sei an einer einvernehmlichen Lösung gelegen.
Vier Millionen Euro zurückgestellt: Der Jahresabschluss des Uniklinikums weist für 2020 eine besondere Rückstellung in Höhe von vier Millionen Euro aus. Das Geld ist für Kosten gedacht, die durch die Aufarbeitung des Bluttestskandals entstehen können. Schadenersatzforderungen seitens des Investors Harder bestünden nicht.
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Bluttestskandal immer noch ein belastendes Thema: Der Heidelberger Bluttestskandal wurde 2019 durch die RNZ aufgedeckt. In der Folge mussten drei Mitglieder des Klinikumsvorstandes ihre Posten räumen, darunter die Vorstandsvorsitzende Annette Grüters-Kieslich. Im Kern ging es darum, dass ein Bluttest zur Brustkrebserkennung beworben worden war, der zwar in einer frühen Phase hervorragende Ergebnisse aufgewiesen hatte. Doch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, insbesondere einer offiziellen Presseerklärung des Klinikums, bestanden längst Zweifel, ob der Test so, wie beworben ("Weltsensation", "Meilenstein in der Krebsforschung") funktionierte. Entsprechende Warnungen wurden ignoriert. Das Thema gilt immer noch als belastend.
Leichtes Minus im Geschäftsjahr 2020: Trotz der Belastungen durch die Corona-Pandemie konnte das Uniklinikum seine Bilanz im Jahr 2020 etwas verbessern. Der Gesamtkonzern samt aller Tochtergesellschaften musste "nur" einen Fehlbetrag von 8,8 Millionen Euro verbuchen – halb so viel wie 2019. "Unser Ziel für die kommenden Jahre ist ganz klar erneut eine schwarze Null", sagt die Kaufmännische Direktorin Katrin Erk. Hier kommen Sie zu dem Artikel.
Wünsche an die Bundesregierung: Der Klinikumsvorstand fordert von der neuen Regierung eine bessere Finanzierung. Es brauche eine neue Säule der Vergütungen für Uniklinika, die schließlich besondere Lotsen- und Zukunftsaufgaben erbrächten, sagte Vorstandschef Autenrieth der RNZ. Zudem müsse der Bund bei Investitionen stärker unterstützen und auch die Vergütung für Notfälle sowie für besonders schwere Fälle erhöhen.
Besonders Intensivpflegekräfte fehlen: Das Uniklinikum stellt kontinuierlich Pflegekräfte ein. Viele kommen von der eigenen Ausbildungsakademie, aber auch das Programm "Triple Win" läuft gut: Damit werden Pflegekräfte aus dem Ausland angeworben, meist aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Tunesien. Schwierig ist die Lage aber in der Intensivpflege: "Da bräuchten wir noch viel mehr", sagt Pflegedirektor Edgar Reisch.
Besorgt wegen Corona-Lage: Man sehe den Anstieg der Neuinfektionen "bundesweit aber auch in der Region mit Sorge", erklärt der Klinikumsvorstand. Steigende Zahlen würden mittelfristig zu einer Zunahme schwer Erkrankter auf den Intensivstationen führen. Das Klinikum rät deshalb zur Impfung, um sich und andere vor einer schweren Erkrankung zu schützen.
Doch eine "Weltsensation"?
Nein, Begeisterung sieht anders aus. Im ansonsten von einer harmonischen Stimmung geprägten Jahresgespräch hakt die RNZ erneut beim Thema Bluttestskandal nach: Wie geht es weiter? Stehen Schadenersatzforderungen des Investors Jürgen Harder im Raum? Wurden Rücklagen gebildet?
Fragen, die sich nicht mit Ja und Nein beantworten lassen. Fragen, die an ein für das Klinikum sehr unangenehmes Thema erinnern. Wobei man das, was aufgrund von Recherchen der RNZ bundesweit als "Heidelberger Bluttestskandal" für Furore sorgte, klinikumsintern lieber "Heiscreen" nennt.
Heiscreen, so heißt die Ausgründungsfirma des Klinikums, die 2019 groß über die "Bild"-Zeitung an die Öffentlichkeit ging: Man habe einen Bluttest entwickelt, der Krebs zuverlässig erkenne – noch bevor dieser durch ein Bildgebungsverfahren (etwa eine Computertomografie) zu sehen sei. Die Boulevard-Spezialisten titelten damals schrill "Weltsensation aus Heidelberg".
Sensation? Es wurde ein Flop. Ein Skandal. Vor allem, als die RNZ herausfand, dass der damalige Klinikumsvorstand die Schummel-PR duldete, teilweise sogar mit vorantrieb. Und das, obwohl er um die enttäuschenden Ergebnisse einer internen "Studie" wusste. Jetzt sitzen da also die Kaufmännische Direktorin Katrin Erk und der Leitende Ärztliche Direktor Prof. Ingo Autenrieth, und müssen sich mit den Altlasten ihrer Vorgängerinnen herumschlagen. Wer hat schon Lust darauf?
Doch ob nun Thema im RNZ-Gespräch oder nicht: Der Bluttestskandal – pardon: "Heiscreen" – ist immer noch nicht in Gänze aufgearbeitet. Es gibt noch viel zu klären. Zum Beispiel, ob der Test etwas taugt. Schließlich hat der Unternehmer Jürgen Harder Millionen Euro in ein Projekt investiert, von dem er sich auch Gewinne versprochen hat. Kenner der Wissenschaftsszene sprachen gegenüber der RNZ von einem Milliardenpotenzial an Einnahmen, sollte es eines Tages wirklich möglich sein, einen Bluttest zu entwickeln und patentieren zu lassen, der zuverlässig und mit hoher Wahrscheinlichkeit sich entwickelnde Tumore erkennt. Ja, das wäre dann wirklich eine "Weltsensation".
Ob die Forschungen an der Heidelberger Frauenklinik wenigstens das Zeug dazu haben, bei Brustkrebspatientinnen das Ansprechen auf die Therapie zu kontrollieren, das soll jetzt im Rahmen einer Pilotstudie geklärt werden. Mitarbeiter des Heidelberger NCT (Nationales Centrum für Tumorerkrankungen), aber auch externe Fachleute, nehmen die Sache in die Hand.
Unter der Leitung von Prof. Andreas Schneeweiss lief die Studie bereits an. Sie trägt den etwas komplizierten Namen "Validierung eines potenziell prädiktiven Markerpanels in der first-line Therapie des metastasierten Mammakarzinoms". Die Studie soll bis Ende 2022, spätestens aber 2023 abgeschlossen sein. "Dann haben wir Klarheit", sagt Klinikchef Autenrieth. Die Pilotstudie, an der 40 Frauen teilnehmen, erfolge nach höchsten wissenschaftlichen Standards, wobei die Heidelberger die Evaluierung den Externen überlassen. Von den Studienteilnehmerinnen konnte ein Teil bereits dieses Jahr gewonnen werden.
Der Leitende Ärztliche Direktor lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Suche nach Biomarkern zur Krebserkennung um "eine der großen Fragen in der Onkologie" handelt. Die Methode, zu der vor allem in den USA viel geforscht werde, sei "state of the art"; also Spitzentechnologie. Gefragt, mit welchen Erwartungen der Klinikumsvorstand an die Studie herangehe, antwortet Autenrieth: "Es handelt sich um eine plausible Hypothese", weshalb die Erwartungen auch "grundsätzlich positiv" seien.
Heißt das, dass der Heidelberger Bluttest am Ende doch noch zur "Weltsensation" geadelt werden könnte? Das dürfte auch das Interesse des Investors sein, der sich mit dem Vorgehen einverstanden erklärt habe. Wobei es ja gar nicht mehr um den ganz großen Coup geht – also Krebs in einem sehr frühen Stadium zu entdecken, sondern um den Einsatz des Bluttestes bei bereits erkrankten Frauen zur Verlaufskontrolle. Entsprechend zögerlich die Antwort nach den Erwartungen.
Vielleicht hilft ein Blick in den Jahresabschluss 2020: Vier Millionen Euro sind als Rückstellungen in Sachen "Heiscreen" vorgesehen. Kaufmännin Erk betont zwar, dass vier Millionen bei einem Gesamtvolumen von 150 Millionen Euro an Rückstellungen nur "gut zwei Prozent" ausmachten. Aber alleine die Existenz dieser Zahl deutet daraufhin, dass man trotz "bestem Einvernehmens mit den Vertretern des Investors" doch mit Nachforderungen rechnet. Das wäre übrigens auch ein Grund für betretene Gesichter.