"Ich werde von allen Kollegen um dieses Publikum beneidet"
Intendant Holger Schultze im Gespräch über Heidelberg, Produktionen mit gefährdeten Künstlern und "Adelante II"

Holger Schultze. Foto: Rothe
Von Birgit Sommer
Heidelberg. "Viel erfolgreicher kann man Theater nicht machen", sagt Heidelbergs Intendant Holger Schultze. Verständlich, dass er stolz ist auf besucherstarke Festivals und überregionale künstlerische Anerkennung. Die Kritiker des renommierten Theatermagazins "Deutsche Bühne" setzten sein Haus dieses Mal auf den zweiten Platz nach der Oper Halle in der Kategorie "Überzeugendste Theaterarbeit abseits der großen Zentren".
Herr Schultze, Ihre achte Spielzeit beginnt. Hat sich Heidelberg in den letzten Jahren verändert?
Für mich ist es mehr ein Zuhause geworden. Ich bin glücklich hier in der Stadt. Heidelberg hat eine Verwaltung, einen Gemeinderat und ein Bürgertum, die hinter dem Theater stehen. Und die Heidelberger Mentalität ist eine, mit der ich gut klar komme. Von allen anderen Kollegen werde ich um dieses Publikum beneidet; ich führe sehr konstruktive Gespräche, auch mit Kritikern einzelner Vorstellungen. Nein, Heidelberg hat sich nicht verändert. Was sich verändert hat, ist das Klima in unserem Land. Wir haben als Theater die große Aufgabe, die Mitte zu stärken, diskursfähig zu sein und für die Demokratie einzutreten.

Im Haus der Johannesgemeinde läuft ab Samstag "Justizmord des Jakob Mohr". Foto: Bühler
Theaterarbeit ist immer Veränderung. Was gibt es Neues?
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Wir haben ein ganz neues Tanztheater und eine neue Operndirektion. Das macht mit dem Haus etwas; die Arbeitsbereiche und die künstlerische Akzentsetzung verändern sich. Wir werden auch endlich mal wieder eine Operette haben, "Die lustige Witwe", die ich inszeniere.
Was bedeutet es, wenn das Theater mit Inszenierungen über seine Spielstätte hinausgeht?
Das ist bei uns so extrem wie noch nie, hängt aber auch damit zusammen, dass der Zwinger wegen Bauarbeiten derzeit nicht bespielbar ist. Andere Räume geben die Möglichkeit, zusätzlich in den Dialog mit Bewohnern zu treten. Dass wir mit dem Jugendtheaterstück über Frau-Mann-Bilder auf den Emmertsgrund gehen, ist auch eine politische Aussage. Tanzchef Iván Pérez wird auch künftig Outdoorprojekte kreieren wie mit "The Inhabitants". Und dann unser tschechisches Projekt im Haus der Johannesgemeinde: Die Regisseurin hat bereits in Prag über Prinzhorn gearbeitet und setzt das hier mit "Justizmord des Jakob Mohr" fort. Es ist uns wichtig, mit anderen Kultureinrichtungen, wie hier der Prinzhorn-Sammlung, zusammenzuarbeiten.
Wie entwickelt sich Ihr Projekt "Artists in Risk", die Zusammenarbeit mit Theatermachern aus Ländern wie der Türkei?
Das ist tatsächlich ein Thema für uns, diesen Künstlern Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Es betrifft auch beispielsweise den Regisseur Victor Bodó in Ungarn oder Künstler in Venezuela. Derzeit verhandeln wir mit der Martin-Roth-Initiative "Schutzräume für gefährdete Kunst- und Kulturschaffende und Akteure der Zivilgesellschaft" über die Finanzierung eines Projektes mit der Türkei.
Hintergrund
Das Heidelberger Theater erlebte in der Spielzeit 2017/18 einen beeindruckenden Andrang, eine Auslastung von über 90 Prozent. Es kamen mehr als 198.000 zahlende Besucher, darunter die 35.000 zu den Schlossfestspielen. Tanzbiennale und Stückemarkt waren mit mehr als 98
Das Heidelberger Theater erlebte in der Spielzeit 2017/18 einen beeindruckenden Andrang, eine Auslastung von über 90 Prozent. Es kamen mehr als 198.000 zahlende Besucher, darunter die 35.000 zu den Schlossfestspielen. Tanzbiennale und Stückemarkt waren mit mehr als 98 Prozent Auslastung praktisch ausverkauft, ebenso die Schlossfestspiele mit 96,67 Prozent.
Die besten Produktionen: "Anatevka" (elf Termine, 99,82 % Auslastung), das Tanzstück "Dusk" (22, 99,12 %), "Shakespeare in Music" (24, 98,9 %), "Steppenwolf" (8, 98,73 %), "Diener zweier Herren" (10, 98,42 %), "Die Physiker" (6, 97,63 %), "Zauberflöte" (9, 96,51 %). bik
Das Heidelberger Theater pflegt seine internationalen Kontakte besonders mit Gastspielen in Südamerika. Wann kommt "Adelante II" nach dem erfolgreichen Festivalauftakt im Jahr 2017?
Derzeit gastieren wir mit "Nimby" in Brasilien und sind noch mit "Beben" in Kuba und Mexiko eingeladen. Es gibt in Südamerika ein großes Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten. Es ist aber auch ungewöhnlich, dass es ein Stadttheater schafft, Kontakte mit Künstlern, Goetheinstituten und Ministerien zu halten.
Wie schaffen Sie das?
Wir reisen immer wieder hin. Im Juli waren wir in mehreren Ländern in Südamerika unterwegs, weil wir tatsächlich Überlegungen in Richtung Festival anstellen. Da sieht man jeden Tag drei bis vier Stücke in Sprachen, die man nicht versteht, und spricht mit Künstlern über Themen, die dort wichtig sind, den Einfluss der Kirche, die Gender-Problematik. Es geht um den Austausch von Themen, Inhalten und Künstlern und darum, neue ästhetische Formen zu finden.
Lernen Sie schon Spanisch?
Ich überlege, einen Kurs zu machen, das würde mir sicher helfen. Es geht in den Gesprächen auch darum, Gelder zu bekommen, um die Produktionen zu finanzieren. Und die Länder dort haben großes Interesse daran, ihre Künstler nach Europa zu bringen. Sie sollen andere Kulturen und unser Know-how kennenlernen. Dort leben die Künstler von einzelnen Projekten und einer hochproblematischen Projektförderung. Hier haben wir die bestfunktionierenden Theater, haben Orchester und Werkstätten zur Verfügung. Wir haben bereits Anfragen aus Uruguay und Brasilien nach Praktikumsplätzen am Theater. Das sind auch Dinge, die der Internationalität Heidelbergs helfen und der Stadt sehr zugutekommen.
Also heißt es im Jahr 2020 wieder "Adelante"?
Das weiß ich noch nicht. Der Plan ist da.



