"Über 2 und 3 Uhr müssen wir nicht mehr reden"
Verhandlung am Verwaltungsgericht - 27 Kläger-Verfahren ruhen - Am heutigen Donnerstag geht das Urteil raus

Heidelberger Partymeile "Untere Straße" bei Nacht. Foto: Philipp Rothe
Von Anica Edinger
Heidelberg. 31 Altstädter hatten geklagt - nach der Verhandlung am gestrigen Mittwoch am Verwaltungsgericht Karlsruhe sind noch vier von ihnen übrig. Denn wie die Vorsitzende Richterin Christine Warnemünde erklärte, kann laut Auffassung der siebten Kammer des Verwaltungsgerichts nur bei ihnen bewiesen werden, dass der nächtliche Lärm in der Kernaltstadt ihre Gesundheit gefährdet.
>>>Lesen Sie hier, wie das Urteil ausgefallen ist<<<
Die Verfahren der restlichen 27 Kläger ruhen nun - wenigstens so lange, bis auch für sie der Beweis erbracht wurde, dass der Lärm in der Altstadt ihre Gesundheit maßgeblich beeinträchtigt. Für die übrigen vier Kläger - wohnhaft in der Kettengasse sowie an der Ecke Untere Straße/Dreikönigsstraße - will die Kammer schon heute ein Urteil versenden - mit konkreten Schließzeiten für die Kneipen.
Diese werden aber auch nur eine "Maßgabe" sein, wie Richterin Warnemünde erklärte. Denn: "Welche Uhrzeit es wird, wird im Ermessen des Gemeinderats bleiben müssen." Das heißt: Es wird letztlich wieder das Stadtparlament über eine Veränderung der Sperrzeitverordnung entscheiden. Allerdings will das Gericht jetzt selbst konkrete Uhrzeiten nennen, an die sich auch die Stadträte halten sollten.
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Das stand am gestrigen Mittwoch nach einer langen und emotionalen Verhandlung zum Thema Kneipenöffnungszeiten in der Altstadt, die im Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim stattfand, fest. Wie die Richterin zu dieser Einschätzung kam und was am Mittwoch sonst noch passierte: Ein Überblick.
> Die Geschichte: 31 Altstädter hatten eine sogenannte Normerlassklage gegen die Stadt erwirkt - soll heißen: Sie wollten, dass das Gericht Sperrzeiten für die Kernaltstadt festlegt. Dieser Schritt war die letzte Eskalation eines jahrzehntelangen Streits, der im Sommer vergangenen Jahres seinen Höhepunkt fand. Obwohl damals der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim die Heidelberger Sperrzeitverordnung für rechtswidrig, weil zu liberal und demnach gesundheitsgefährdend für die lärmgeplagten Altstädter, erklärt hatte, hatte der Gemeinderat im Juli letzten Jahres erneut recht lasche Sperrzeiten beschlossen. Demnach schließen die Kneipen aktuell in den Nächten auf Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag um 1 Uhr, in der Nacht auf Freitag um 3 Uhr und am Wochenende um 4 Uhr. Deshalb hatten letztlich die 31 Altstädter die Normerlassklage beim Verwaltungsgericht erhoben. Konkret schwebt der Klägergemeinschaft vor, dass die Lokale werktags bereits um Mitternacht und am Wochenende um 1 Uhr schließen müssen.
> Die Normerlassklage: Weshalb die Altstädter die Normerlassklage für unbedingt nötig hielten, erklärte ihr Rechtsanwalt Werner Finger von der Karlsruher Kanzlei Deubner & Kirchberg so: "Der Gemeinderat hat in der Vergangenheit überhaupt keine Einsicht gezeigt." Das sah offenbar auch das Gericht so - weshalb es nach einer ersten Einschätzung auch den Antrag der Stadt, vertreten durch den Rechtsanwalt Jürgen Behrendt von der Kanzlei Schlatter, auf Klageabweisung ablehnte.
Hintergrund
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Das Lärmgutachten des Büros Genest und Partner hat im Auftrag der Stadtverwaltung den Schallpegel von Mai bis Juli 2016 an fünf zentralen Punkten in der Altstadt gemessen: in der Unteren Straße auf Höhe des Fischmarkts, an der Ecke
Hintergrund
Das Lärmgutachten des Büros Genest und Partner hat im Auftrag der Stadtverwaltung den Schallpegel von Mai bis Juli 2016 an fünf zentralen Punkten in der Altstadt gemessen: in der Unteren Straße auf Höhe des Fischmarkts, an der Ecke Haupt-straße / Floringasse, in der Kettengasse (wo etwa die "Tangente" liegt), in der Dreikönigstraße und in der Hauptstraße auf Höhe des Kurpfälzischen Museums. Höchstwerte wurden vor allem in der Unteren Straße und im zentralen Teil der Hauptstraße festgestellt - vergleichbar sind diese mit vorbeifahrenden Lkw oder Motorsägen. Die Vorsitzende Richterin Christine Warnemünde meinte bei der Verhandlung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am gestrigen Mittwoch, die Werte entsprächen der Lärmkulisse eines Gewerbe- und Industriegebiets - und nicht denen eines Wohn- und Mischgebiets, wie es in der Kernaltstadt vorzufinden sei. (ani)
> Die Krux: Es besteht nur dann Anspruch auf einen gerichtlichen Normenerlass, wenn "alle denkbaren Alternativen", so die Richterin, zur Problemlösung ausgeschöpft worden seien. "Ermessensreduktion auf Null" heißt das im Fachjargon. Diese Ermessensreduktion sei für das Gericht im Fall der Heidelberger Sperrzeitverordnung dann gegeben, wenn eine Gesundheitsgefahr für die Kläger bestehe. Gesundheitsgefahr bestehe dann, wenn die Richtwerte der Technischen Anleitung Lärm (TA Lärm) um 20 Dezibel überschritten würden. Laut der Auffassung des Gerichts ist das bei den vier Klägern, die nun noch übrig sind, der Fall. Bei ihnen lag der Wert unter der Woche wie auch am Wochenende stets deutlich über 65 Dezibel - laut TA Lärm sollte die nächtliche Geräuschkulisse nach 22 Uhr 45 Dezibel nicht überschreiten. Als Grundlage für die Argumentation des Gerichts galt das Lärmgutachten des Büros Genest und Partner (s. Hintergrund).
In Hinblick auf ihr bevorstehendes Urteil heute meinte Richterin Warnemünde: "Wo wir uns in der Lage sehen, eine Ermessensreduktion auf Null festzustellen, werden wir auch Zeiten nennen." Dass das nötig ist, hatte Rechtsanwalt Finger noch einmal deutlich gemacht: "Der Gemeinderat ist nicht steuerbar. Es bedarf eines Urteils." Selbst der Anwalt der Stadt, Behrendt, sah das so: "Wie brauchen klare Hinweise, welche Zeiten angemessen wären." Nur dann bestehe die Hoffnung, dass der Gemeinderat eine entsprechende Entscheidung treffe. Richterin Warnemünde sagte gestern dazu nur so viel: "Über 2 und 3 Uhr müssen wir nicht mehr reden."
> Die Stimmung: Über zehn der Kläger aus der Altstadt waren gestern beim Gerichtstermin nicht dabei - doch die restlichen Parteien reichten aus, um ordentlich Stimmung zu machen. Höhnisches Gelächter etwa, als Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson Rechtsanwalt Finger widersprach, der behauptete, seine Kläger hätten "jeden einzelnen Tag" mit Lärm zu kämpfen. Im Winter sei es etwa durchaus leiser als im Sommer, meinte Erichson. Beifall dagegen für Rechtsanwalt Finger, als dieser erklärte, weshalb die Kläger ausgerechnet 0 und 1 Uhr als Schließzeiten vorschlagen: Dann könne man schließlich immerhin sechs Stunden Schlaf bekommen - was laut Studien eine gesunde Zahl und außerdem realistisch sei, wenn man annehme, dass Arbeitende und Familien mit Kindern um 6 Uhr aufstehen müssten. Streng genommen hätte man aber auf 22 Uhr klagen müssen.



