Verwaltungsgericht Karlsruhe regt "Einigung auf zumutbare Sperrzeiten" an
Gericht hatte Klage der Bürger als zulässig anerkannt – Stadtverwaltung und Klägervertreter skeptisch, ob einvernehmliche Lösung zustande kommt

Partyvolk in der Altstadt: Was am frühen Abend noch kein Problem ist, stört nachts einige Anwohner. Foto: Rothe
Heidelberg. (dpa) Im Rechtsstreit zwischen lärmgeplagten Heidelbergern und der Stadtverwaltung hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe eine Einigung auf zumutbare Sperrzeiten angeregt. Damit stieß die Vorsitzende Richterin Christine Warnemünde bei der Verhandlung am Mittwoch in Mannheim jedoch bei Klägern und Beklagten auf Skepsis. Grund ist, dass der Heidelberger Gemeinderat das letzte Wort beim Erlass von Sperrzeiten-Regelungen hat. Er ist in das Verfahren jedoch nicht einbezogen. Das Gremium beschloss in der Vergangenheit Sperrzeiten, die weder den Auflagen von Richtern noch den Vorstellungen der Stadtverwaltung entsprachen. Seit den Kommunalwahlen im Mai gibt es im Rat jedoch andere Mehrheiten.
Der Vertreter der Heidelberger Bürger, Werner Finger, sagte: "Der Gemeinderat ist nicht steuerbar." Er könne sich nicht vorstellen, dass auf diese Weise der Konflikt entschärft werden könne. "Ich sehe nur die Möglichkeit eines rechtskräftigen Urteils." Der Heidelberger Ordnungsbürgermeister, Wolfgang Erichson, betonte, auch wenn die Stadtverwaltung sich bemühe, den Gemeinderat für eine einvernehmliche Lösung zu gewinnen, könne er für dessen Mitwirkung nicht die Hand ins Feuer legen.
Das Gericht hatte zuvor die Klage der Bürger als zulässig anerkannt. Die Stadt hatte deren Abweisung verlangt. Eine Bürgerinitiative will die Sperrzeiten im Ausgehviertel in der historischen Altstadt kippen. Derzeit müssen die Gastwirte von sonntags bis donnerstags um 1 Uhr schließen, von Donnerstag auf Freitag um 3 Uhr. In den Nächten zum Samstag und Sonntag beginnt die Sperrzeit um 4 Uhr.
Update: 31. Juli 2019, 16 Uhr
Heidelberg. (dpa-lsw) Die Heidelberger Altstadt ist ein Magnet für feierlustige Menschen. Kneipen, Bars und Gaststätten drängen sich auf engem Raum, der Lärmpegel ist hoch. Zu hoch, wie einige Bewohner der Universitätsstadt finden. Sie fordern mit ihrer Normenerlassklage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe von der Stadt Heidelberg striktere Regelungen für die Öffnung von Bars und Gaststätten. Nach Angaben der Stadt sind rund 1100 Menschen von unzumutbarem Lärm betroffen. Mit der Verhandlung an diesem Mittwoch geht ein jahrelanger Streit in eine neue Runde.
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In anderen Städten Baden-Württembergs steht die Lärmproblematik derzeit nicht auf der Agenda - trotz zunehmender Mediterranisierung. So nennen Fachleute den Trend, das Leben in den öffentlichen Raum zu verlagern. Ein Beispiel gibt die Sprecherin der Stadt Tübingen Sabine Schmincke: Vor 30 Jahren seien Straßencafés eine Ausnahme gewesen, jetzt finde man sie an jeder Ecke.
Mit einer Schilderaktion macht die Stadt neuerdings auf die Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr und das Bußgeld von 60 Euro bei Verstößen aufmerksam. Überdies sei die Zahl der Nachtstreifen des Ordnungsdienstes von vier auf acht erhöht worden. Auch in Ulm hat die Lärmdebatte sich beruhigt. "Es gab mal vor drei Jahren eine Aufwallung, als am Schwörmontag 60.000 bis 70.000 Leute in der Stadt unterwegs waren und Party machten", sagt Frank Raddatz von der Öffentlichkeitsarbeit. Die damalige Diskussion sei wichtig gewesen und habe zu mehr Rücksicht aufeinander geführt.
Auch in Freiburg hat sich die Situation entschärft, seit die Partyszene sich vom Augustinerplatz zu einem Platz mit weniger Wohnungen drum herum verlagert hat. In Mannheim ist das Thema beim Nachtbürgermeister Hendrik Meier aufgehoben. Er versucht als Ansprechpartner für beide Seiten den Ausgleich zwischen Barbetreibern und Anwohnern herzustellen.
Für solche Lösungen spricht sich der Städte- und Gemeindebund aus, den das Thema immer mal wieder beschäftigt. Sprecher Alexander Handschuh: "Wir appellieren an Verständnis und Toleranz auf beiden Seiten und werben für einvernehmliche Regelungen - in den meisten Fällen klappt das."
Nur nicht in Heidelberg. Auch in der Stadt am Neckar war ein Lärmschutzbeauftragter im Gespräch. Doch die Arbeitsgruppe, die dessen Aufgaben definieren sollte, kam nicht zustande. Denn die Bürgerinitiative habe während des laufenden Gerichtsverfahrens nicht teilnehmen wollen, wie Stadtsprecher Timm Herre erläutert. "Wir wollten aber eine kooperative Lösung."
Die 31 Kläger vor dem Verwaltungsgericht meinen, dass die derzeitige Sperrzeitverordnung ihre Interessen nicht hinreichend berücksichtigt. Für ausreichende Nachtruhe seien längere Sperrzeiten nötig. Das Verwaltungsgericht tagt aus Platzgründen im Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim, der selbst schon einmal mit dem Fall betraut war. Er hatte im März 2018 eine Regelung gekippt, die eine Öffnung der Gaststätten bis 2 Uhr und von Donnerstag bis Sonntag bis 4 Uhr festlegte.
Wenige Monate später verabschiedete der Gemeinderat Sperrzeiten sonntags bis donnerstags ab 1 Uhr, donnerstags auf freitags ab 3 Uhr und Samstag auf Sonntag ab 4 Uhr - und stellte sich damit auch gegen die Stadtverwaltung, die einen strikteren Kurs verfolgte. Die Altstadtbewohner wollen diesen Beschluss kippen und fordern, dass Kneipen und Clubs unter der Woche um Mitternacht und am Wochenende um 1 Uhr schließen.
Unklar ist, wie der neue Gemeinderat sich zu dem Dauerbrenner äußert. Die Stadt hat an anderer Stelle versucht, für Entlastung zu sorgen: Es gibt einen Mitarbeiter mehr für nächtliche Streifen des Ordnungsdienstes. Die Präsenz der Polizei habe sich erhöht.



