Kollektiv-Strafe und "Feindbild der Auswärtigen" sorgt für Widerspruch
Die Heidelberger "Zero-Covid-Initiative" ruft am Samstag zum Protest gegen das Aufenthaltsverbot auf und fordert "echte Lösungen" im Dialog.

Von Anica Edinger
Heidelberg. Um 21 Uhr ist am Wochenende auf der Neckarwiese Schluss. Die Stadt verschärft das Aufenthaltsverbot drastisch, um "Krawalltouristen" fernzuhalten, die an den Wochenenden regelmäßig für Ärger am Neuenheimer Ufer sorgen. Nun regt sich dagegen Widerstand. Junge Leute aus der Heidelberger Zero-Covid-Initiative rufen am Samstag, 10. Juli, 17 Uhr, zum Protest gegen das Aufenthalts- und das Alkoholverbot auf der Neckarwiese auf. Juristisch wolle man die neue Allgemeinverfügung in jedem Fall prüfen lassen, sagt Dejan Trandafirovic, einer der Aktivisten. Im RNZ-Interview erklärt der 23-Jährige aus dem Landkreis Karlsruhe, was die Jugendlichen dazu bewegt, ihre Stimme zu erheben.
Am Samstag wollten Sie ursprünglich gegen das Alkoholkonsum- und das Aufenthaltsverbot ab Mitternacht auf der Neckarwiese demonstrieren. Nun steht fest: Die Wiese wird schon ab 21 Uhr komplett dicht gemacht. Was halten Sie davon, Herr Trandafirovic?
Gar nichts. Wir haben verstanden, dass die Stadt nach den Ausschreitungen vom Pfingstwochenende mit den Aufenthaltsverboten erst einmal ein Signal senden wollte. Das war sicher nötig. Aber das nun weiter durchzuziehen, das geht gar nicht. Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle Jugendlichen und jungen Menschen, die nach acht Monaten im Lockdown einfach wieder mit ihren Freunden zusammen sein wollen und sich die Getränkepreise der Heidelberger Bars und Kneipen schlicht nicht leisten können. Und die Stadt sollte sich mal überlegen, ob man mit der sogenannten "Harten Hand" die Leute nicht eher aufstachelt.
Empfinden das die jungen Menschen in ihrem Bekanntenkreis so: Dass sie durch die Verbote der Stadt vom nicht-kommerziellen in den kommerziellen Raum gedrängt werden?
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Ja – und so ist es ja auch. Mit dem Alkoholkonsumverbot wird der Alkoholausschank auf die Kneipen beschränkt. Und das ist keine Lösung. Vor allem nicht für die, die nicht das große Geld haben. Und das sind eben Jugendliche und junge Menschen.
Was wäre denn Ihrer Ansicht nach die Lösung für die Probleme auf der Neckarwiese der vergangenen Wochen?
Durch die Verbote bekämpft die Stadt ausschließlich die Symptome, nicht aber die Ursachen für die Unzufriedenheit vieler junger Menschen nach der Corona-Krise und dem monatelangen Lockdown. Es hat sich viel Frust angestaut. Unter anderem auch, weil Jugendliche einfach keine Lobby haben, niemand tritt für ihre Interessen ein – bis jetzt. Das hat die Corona-Krise abermals gezeigt. Dafür brauchen wir echte Lösungen, die im Dialog und auf Augenhöhe entstehen, etwa durch das Einsetzen eines Bürgerrates zu dem Thema.
In Heidelberg gibt es ja einen Jugendgemeinderat, der die Lobby der Jugendlichen sein soll.
Dann sollte er sich unbedingt jetzt in die Diskussion um die Neckarwiese einschalten! Ich habe den Eindruck, der Jugendgemeinderat ist ein Gremium ohne Zähne, das alibimäßig zwar mit einbezogen wird, deren Meinung am Ende aber keinen Wert hat.
Was genau fordern Sie denn von der Stadt beim Protest am Samstag?
Wir fordern ein sofortiges Ende des Aufenthalts- und des Alkoholkonsumverbots. Wir fordern, dass der Stadtrat sich selbst ein Bild von der Situation macht und am Wochenende die Situation auf der Neckarwiese und etwaige Polizeieinsätze beobachtet. Wir fordern, dass nicht Symptome, sondern Ursachen bekämpft werden, dass friedlich Feiernde nicht mit Kollektivstrafen belegt werden und dass die Interessen von Jugendlichen und jungen Menschen endlich ernst genommen werden.
Wenn wir von Ursachen sprechen: Wieso sind Jugendliche zunehmend aggressiv und machen Krawall auf der Neckarwiese?
Es sind nicht "die" Jugendlichen, die als aggressiv gebrandmarkt werden können. Das ist eine Gruppe von gut 100 Leuten, die immer wieder für Ärger sorgen. Die große Mehrheit der Besucher auf der Wiese verhält sich friedlich. Weshalb diese eine Gruppe sich so aggressiv verhält, das kann ich auch nicht sagen. Ich weiß aber, dass viele junge Menschen von dem langen Lockdown und den Einschränkungen sehr mitgenommen sind, und dass auch die Polizeipräsenz und das harte Durchgreifen dazu führen, dass sich die Jugendlichen untereinander gegen die Polizei solidarisieren, wie auch der Kriminologe Christian Laue im RNZ-Interview erwähnte.
Und das wissen Sie, weil Sie selbst häufiger vor Ort sind?
Ich bin mit meinen Freunden fast jedes Wochenende auf der Neckarwiese. Ich habe auch die Räumung am letzten Wochenende mitbekommen und konnte das harte Durchgreifen nicht ganz nachvollziehen. Meiner Meinung nach muss die Polizei es abkönnen, wenn Sprechgesänge gegen sie gerichtet werden und im Notfall gezielt gegen Einzelne vorgehen. Polizisten sind erwachsene Menschen, blöde Sprüche gehören in jedem Beruf mit viel Menschenkontakt dazu, da muss man eben auch mal die Contenance wahren.
Die Schuld für den aktuellen Konflikt wird häufig den "Auswärtigen", die von weiter her auf die Neckarwiese kommen, in die Schuhe geschoben – Menschen wie Ihnen. Ärgert Sie das?
Ja, denn das ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Zum einen wird so ein Feindbild aufgebaut, das Nicht-Heidelberger als "die Bösen" stigmatisiert und Hass schürt. Zum anderen verstehe ich nicht, wieso ich weniger Heidelberger sein sollte als andere, nur weil es für mich nicht so einfach ist, hier eine Wohnung zu finden. Ich habe alle meine Freunde in Heidelberg. Ich war schon als Kind mit meinen Eltern fast jedes Wochenende in Heidelberg. Ich bin nicht der Feind.
Wieso haben denn die jungen Menschen nicht schon viel früher ihre Stimme zum aktuellen Konflikt erhoben?
Vielleicht Lethargie, ich weiß es nicht. Aber unser Protest am Samstag ist nur der Auftakt. Er ist eine politische Kampfansage an die Stadt. Wir werden das Verbot nicht hinnehmen und es im Fall der Fälle juristisch prüfen lassen. Jemand muss den ersten Schritt machen – und das machen wir damit.
Und wie passt das alles eigentlich zur Zero-Covid-Initiative?
Das passt sehr gut dazu. Denn letztlich sollen die jungen Leute ja rausgehen, weil dort die Ansteckungsgefahr viel geringer ist als im Inneren. Wenn man sich mal die Kneipen in der Altstadt am Wochenende anschaut, wo an Abstandhalten nicht mehr zu denken ist, da kann man sich errechnen, wann die nächste Infektionswelle kommt. Und je mehr man die jungen Menschen von den Freiflächen verdrängt, umso schneller wird das gehen.