Ist der Heidelberger Stadtwald noch zu retten?
Alle drei Dinge zusammen machen den etablierten Bäumen den Garaus. Förster Wolfgang Ernst setzt jetzt auf Eichen.

Von Hans Böhringer
Heidelberg. Knirschend rutscht der Fichtenstamm den Hang hinauf. Oben löst ein Waldarbeiter das motorbetriebene Drahtseil vom Stamm und steigt damit hinab, dem nächsten gefällten Baum zu. In der Mitte der kahl geschlagenen Fläche steht Förster Wolfgang Ernst und beugt sich über einen Baumstumpf. Die letzten Jahre musste er in seinem Revier, dem Königstuhl, viele Fichten vorzeitig fällen lassen. Fichten, die noch nicht "hiebsreif" waren, wie er sagt. Lange, trockene Hitzesommer haben die Bäume geschwächt – ein gefundenes Fressen für den Borkenkäfer. Normalerweise versucht Ernst zu retten, was zu retten ist: "In dubio pro reo" ist seine Devise. Doch die Fichten, die hier den Borkenkäfer überlebten, standen ungeschützt, einige fällte der Sturm. Was tun? Im Zweifel für die Säge.
Ein paar hundert Meter weiter steht ein Fichtenhain, im genormten Abstand reihen sich die Stämme dort fast militärisch aneinander. Den letzten Sommer haben sie überstanden, doch Räumungen wie die an dem Hang sind im letzten Winter an der Tagesordnung gewesen. Nun meldet der Deutsche Wetterdienst, der April sei wieder ungewöhnlich trocken. Die Waldleute bangen. "Bleibt die Witterung in den nächsten Wochen weiterhin trocken-warm, wird 2020 das dritte Krisenjahr in Folge", sagt Peter Hauk, Forstminister des Landes Baden-Württemberg. Besonders bedroht sei die Fichte, denn ihr Schädling, der Borkenkäfer, profitiert vom bisherigen Frühlingswetter. Hauk weist Waldbesitzer deshalb an, bis zum Herbst alle zwei Wochen ihre Bestände auf Befall zu kontrollieren.
Hintergrund
> Der Heidelberger Stadtwald ist 3331 Hektar groß und nimmt rund vierzig Prozent des städtischen Gebiets ein. Er liegt 100 bis 568 Meter über dem Meeresspiegel, am Südwestrand des Odenwaldes, überwiegend an den Hängen zum Neckar und in Richtung Oberrheinebene. Drei Viertel
> Der Heidelberger Stadtwald ist 3331 Hektar groß und nimmt rund vierzig Prozent des städtischen Gebiets ein. Er liegt 100 bis 568 Meter über dem Meeresspiegel, am Südwestrand des Odenwaldes, überwiegend an den Hängen zum Neckar und in Richtung Oberrheinebene. Drei Viertel der Waldfläche sind Eigentum der Stadt, ein Viertel Staatswald. Der Anteil privater Flächen ist gering. Heidelberg hat als erste Stadt in Deutschland das Zertifikat "Erholungswald" für dessen hohe Naherholungs-Qualität erhalten. Schon 2001 gab es das weltweit anerkannte Gütesiegel PEFC für eine besonders nachhaltige Forstwirtschaft.
> Im Stadtwald dominiert das Laubholz mit 67 Prozent Anteil am Gesamtbestand. Ein Drittel des Waldes besteht aus Nadelhölzern. Fast 40 Prozent des Waldes macht die Laubbaumart Buche aus. Die Fichte kommt auf 14 Prozent, die Douglasie auf elf Prozent, rund jeder zehnte Baum im Stadtwald ist bisher eine Eiche. Die Standortverhältnisse werden durch den Mittleren Buntsandstein bestimmt, es dominieren Sandböden und Sandlehm-Böden. pne
Schnell und gerade wächst die Fichte, darum ist sie in der Holzwirtschaft beliebt. Doch die Monokulturen im durchgeplanten Wald, ausgerichtet auf Holzertrag, stehen heute in der Kritik. Eine der prominentesten Stimmen ist Bestsellerautor Peter Wohlleben. Als "Deutschlands bekanntester Förster" ist er oft zu Gast in Talkshows zu Klimathemen. Dort fordert er eine Abkehr von "Plantagen" im Wald und eine Rückkehr des Urwalds in Deutschland: Die Natur auf sich gestellt werde am besten mit dem Klimawandel fertig.
Tillmann Friederich sitzt nicht in Talkshows, sondern in einem Verwaltungsgebäude der Stadt Heidelberg, er leitet die Forstabteilung. Auch Friederich beschäftigt sich mit dem Wald im Klimawandel – und antwortet auf den Vorstoß Wohllebens so: "Die Natur weiß gar nichts. Sie findet einfach statt, angepasst an ein Klima, das es bald nicht mehr gibt." Dass die natürliche Entwicklung vielerorts zum reinen Buchenwald geht, findet der Waldexperte problematisch. Denn im letzten Waldzustandsbericht Baden-Württembergs stuften Forscher sowohl Fichte als auch Buche als vom Klimawandel bedroht ein – auch in Heidelberg und Umgebung.
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Friederich will "das Heft in der Hand behalten". Gezielte Eingriffe seien notwendig, um konkurrenzschwachen Arten gegen die Dominanz der Buche zu helfen – ein Mischwald sei eine gute Vorsorge im Klimawandel. Bei den Eingriffen sind die Heidelberger Förster laut Friederich zurückhaltend: Naturnaher Waldumbau, so wie es die Umweltverbände fordern, sei hier sowieso Standard. Nur wenn flächig etwas schiefgehe, wie beim Borkenkäfer, greife man zu umfassenderen Maßnahmen.
In seinem Wald zeigt Förster Ernst, was das heißt: Auf einem umzäunten Quadrat hat er nach dem Entfernen von käferbefallenen Fichten Eichen gepflanzt. Der Zaun, über den er klettert, soll die jungen Bäume vor Wild schützen. Zwischen Gräsern und Brombeeren greift Ernst nach einem Stängel: eine Eiche. Die Reihenpflanzung sei praktikabel, erklärt er. Wie sonst fände man beim Mähen die Bäume im Gestrüpp?
Die Eichen, so hofft Ernst, werden mit den trockenen, heißen Sommern besser klarkommen. Welche Baumart wo in Zukunft überleben wird, das ist die große Frage der Forstforschung. Der Blick hiesiger Förster geht in den Mittelmeerraum. Es gibt Vorbehalte: Der Forest Stewardship Council (FSC), eine Non-Profit-Organisation für nachhaltige Forstwirtschaft, zertifiziert den Heidelberger Wald, dafür muss unter anderem der Anteil nicht-heimischer Arten beschränkt werden. Überrascht war Ernst daher, als der FSC dem Forstamt kürzlich ein Sponsorenangebot für Pflanzungen nordafrikanischer Atlaszedern vermittelte. Ernst schmunzelt: "Deren Ideologie hat sich auch gewandelt."
Auf die Frage, ob es in Zukunft noch Wald geben wird, wenn der Mensch nicht mehr eingreift, zitiert Ernst ironisch einen alten Spruch: "Am schönsten hat’s die Waldpartie, der Wald, der wächst auch ohne sie." Anders als bei Wohlleben gehört für den Heidelberger Förster der Holzertrag dazu: Die Eichen habe er zwar gewählt, weil sie heimisch sind und ökologisch wertvoll – aber er legt auch Wert auf das, was am Ende rauskommt. "Für mich ist das ein Antrieb", sagt Ernst. Welche Bäume, die er heute pflanzt, den Klimawandel überstehen, weiß er nicht. Und trotzdem hofft Ernst, dass sein Wald eine Wertanlage ist – für die Generationen der Forstleute nach ihm.