Heidelbergs Oberbürgermeister

Wie sich aus Protest gegen OB Zundel die "Bürger für Heidelberg" gründeten

Vor 50 Jahren ging es um die Zukunft der Stadt. Auch heute wollen sie mitreden, wenn es darum geht.

08.10.2022 UPDATE: 08.10.2022 06:00 Uhr 4 Minuten, 28 Sekunden
Beim Heidelberger Herbst des Jahres 1977 erhielten die Bürger für Heidelberg wegen ihrer politischer Aktivitäten keine Standgenehmigung. Doch die Heiliggeistgemeinde gewährte ihnen „Asyl“ auf dem „exterritorialen“ Gebiet der Kirchstufen. Foto: I.L.Klinger
Interview
Interview
Philine Bujard und Albertus Bujard
Mitbegründer des Vereins "Bürger für Heidelberg"

Von Manfred Bechtel

Heidelberg. Vor 50 Jahren entwickelte Oberbürgermeister Rheinhold Zundel seine Pläne für Heidelbergs Zukunft: Ausbau zur "autogerechten" Stadt und "Flächensanierung". Für die Altstadt war geplant, ganze Quartiere platt zu machen. Dagegen formierte sich Widerstand. Zu diesem Zweck wurde auch der gemeinnützige Verein "Bürger für Heidelberg" gegründet: Einmischen in die Kommunalpolitik, sich Gehör verschaffen, mitarbeiten – das waren seine Anliegen. Aus Anlass ihres 50-jährigen Bestehens hat die RNZ mit zwei Initiatoren der ersten Stunde, Philine Bujard und Albertus Bujard, sowie Jessica Rink und Ulrich Winter als Vertreter des vierköpfigen aktuellen Vorstands gesprochen. Neben einem Rückblick auf Erfolge und Misserfolge ging es um das zukünftige Engagement.

Wie kam es vor 50 Jahren zur Gründung der Bürger für Heidelberg?

A. Bujard: Es gab damals eine große Bewegung "Bürger für Brandt". Wir wollten Willy Brandt als Kanzler haben. Als der Wahlkampf gewonnen war, sagte das Ehepaar Hans und Herta Plieninger: "Unser Oberbürgermeister Zundel hat Dinge vor, die können uns nicht gefallen. Wir sollten uns jetzt der Stadtpolitik und der Rettung der Altstadt widmen." Aus "Bürger für Brandt" wurde "Bürger für Heidelberg". Dann ging es los.

Ihr erster großer Kampf war gegen den Abriss ganzer Altstadtquartiere.

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P. Bujard: Oberbürgermeister Reinhold Zundel, muss man leider sagen, hatte Flächenabriss geplant. Die Altstadt war düster, ein bisschen verkommen und feucht. Nach dem Städtebauförderungsgesetz sollte sie familienfreundlicher werden. Zundel wollte sozusagen die Altstadt neu bauen. Wir waren dafür, das Bestehende zu bewahren, also hausweise zu sanieren.

Große Zustimmung in der Bevölkerung fand Ihr Kampf für das Alte Hallenbad.

A. Bujard: Zundel wollte es abreißen; die Bürger für Heidelberg haben es heimlich unter Denkmalschutz stellen lassen, was Zundel uns total übel genommen hat. Unter OB Beate Weber wurde beschlossen, es als Bad zu sanieren. Dann hat der Gemeinderat aus Sparsamkeit gesagt, es kostet ja eine Million Mark im Jahr Zuschuss, und dazu war er nicht bereit. Daran ist es gescheitert.

Winter: Aber es wurde auch nicht abgerissen. Ohne die Bürger würde dort jetzt eine Kiste stehen wie nebendran das Capitol.

Der Kampf um das Hallenbad wurde auch mit einer Ehrung belohnt.

A. Bujard: Als ein kleines Highlight dürfte man auch bezeichnen, dass wir 1992 die höchste Auszeichnung, den "Deutschen Preis für Denkmalschutz", erhalten haben.

P. Bujard: Einen weiteren Teilerfolg hatten wir beim Abriss des Prinz Carl am Kornmarkt. Der Spiegelsaal wurde gerettet.

Eine Niederlage steckten Sie in den vergangenen Jahren beim Kampf um den großen Saal der Stadthalle ein.

A. Bujard: Den Kampf um den großen Saal in der Stadthalle haben wir verloren, ganz klar. Wir traten dafür ein, die Halle aus historischen Gründen so zu belassen, wie sie ist. Das ist wirklich das Wohnzimmer der Heidelberger gewesen. Jetzt entsteht durch Spendengelder diese sogenannte Weinberg-Konstruktion, indem das Parkett mit Hubpodien abgesenkt wird, an der Seite lässt man die Sitze ansteigen und behauptet, man würde dadurch eine bessere Akustik erzielen. Dies ist aber nicht der Fall. Die Gruppe, die da gekämpft hat, nannte sich "Konzertfreunde der Stadthalle" und bestand aus Bürgern für Heidelberg.

Geht es den "Bürgern" nur um Objektschutz?

Winter: Es geht auch darum, ein gewisses Sozialgefüge zu erhalten. Wenn das in der Altstadt so weitergeht, haben wir irgendwann nicht mehr die Bevölkerungsstruktur, dass ganz normale Bewohner in der Altstadt wohnen. Das gilt auch für den Emmertsgrund, auch da gilt es, die Sozialstruktur weiterzuentwickeln.

In seinem Wahlkampf hat OB Würzner den Neckarufer-Tunnel wieder ins Gespräch gebracht.

P. Bujard: Erstmal ist es eine reine Wahlkampfidee, um den Leuten nach dem Mund zu reden. Aber die technischen Schwierigkeiten sind unglaublich. Wir haben damals mit Planern gesprochen, die hatten Bilder, wo es uns grauste.

A. Bujard: Die Stadt Heidelberg lobt sich immer, dass sie umweltbewusst handelt. Wie kann man heute umweltbewusst handeln, indem man eine Straße baut, einen Stock tiefer, hochwassergefährdet. Wir müssen Verkehr mindern, begrenzen und andererseits die Umwelt verbessern. Das kann man tun, ohne dass man Millionen ausgibt für einen Tunnel.

Die "Bürger" haben seinerzeit ein ganz anderes Konzept vertreten, die sogenannte Magistrale. Was ist darunter zu verstehen?

A. Bujard: Die Magistrale ist eine ganzheitliche Betrachtung vom Karlstor bis zur Autobahn hin. Im Grunde auch im Zuge der Verhinderung eines Neckarufer-Tunnels. Einfach um zu zeigen, man braucht so etwas nicht, um mit dem Verkehr fertig zu werden. "Die Mitte stärken, den Fluss gewinnen", das war der Ansatz.

Winter: Alle Lösungen sollten in die Richtung gehen, dass man versucht, mit dem Vorhandenen sinnvoll umzugehen, es weiterzuentwickeln, ohne neu zu bauen.

Bedeutet das, man kommt mit den beiden bestehenden Tunneln aus?

A. Bujard: Der Schlossbergtunnel wird heute schon problemlos in beide Richtungen befahren. Warum wird das nicht weitergeführt, der Gaisbergtunnel auch doppelläufig genutzt? Das ist die Grundlage für die Magistrale. Am Adenauerplatz läuft der Verkehr durch die Kurfürsten-Anlage raus bis zum Bahnhof und dann weg zur Autobahn. Ich darf nicht alles nur am flüssigen Autoverkehr messen.

Einmischen in die Kommunalpolitik ist so etwas wie Ihr Markenzeichen?

A. Bujard: Alles, was die Bürger für Heidelberg gemacht haben, war eigentlich Einmischen in die Kommunalpolitik. Gehört werden, mitarbeiten. Ein wesentliches Merkmal war: Wir haben nicht nur kritisiert, sondern immer auch Alternativen entwickelt. Wir hatten auch entscheidenden Anteil daran, dass wir heute die "Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg" haben.

P. Bujard: Eigentlich kann jeder bei städtischen Vorhaben Bürgerbeteiligung beantragen. Das wissen nur viel zu wenige.

Jetzt hat ein neuer Vorstand übernommen. Wofür tritt er an?

Rink: Für die Wiederbelebung des offenen, geraden Dialogs zwischen Bürgern, Bürgerinnen und Stadt und weiteren Parteien, die sich einbringen, Investoren beispielsweise. Auch die Fortschreibung des Tourismus-Leidbildes wird ein wichtiges Thema sein. Dass nicht Dinge unter dem Radar durchgeschoben werden und dass man einfach nicht darüber redet.

Winter: Bevor es die Mehrheit der Mitmenschen erfährt, ist oft der Zug abgefahren. Das merken wir etwa in der Altstadt, wo die Schutzsatzung je nach Bauherrn und je nach Planer ganz verschieden ausgelegt wird. Und das geht gar nicht. Wir wollen alle Akteure gleichbehandelt wissen. Dass die Satzungen, die geltendes Recht darstellen, auch eingehalten werden, und zwar von allen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Winter: Beim Wettbewerbsentwurf für das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma haben wir ein riesengroßes Flachdach, das vom Stückgarten des Schlosses aus voll in der Optik liegt. Für jeden anderen Bauherrn absolut unvorstellbar. Aber die Gremien drücken sich im Moment um eine Entscheidung. Der neue Vorstand der Bürger für Heidelberg tritt für eine deutliche Volumenreduktion ein, aber – dass das ja nicht falsch ankommt – nicht gegen das Dokumentationszentrum.

Rink: Man muss auch sehr genau hinschauen, was das mit dem Kleinklima macht. Eine 17 Meter hohe Sandsteinfassade, die Hitze abstrahlt wie verrückt in einer Zeit, wo wir in den kommenden Sommern vierzig Grad zu erwarten haben, muss infrage gestellt werden.

Die Reihe umstrittener Bauvorhaben lässt sich fortsetzen…

Rink: Dass die Bebauung Schlosswolfsbrunnenweg erfolgt und wie sie erfolgt, das ist eine ökologische Katastrophe. Die Wasserqualität im Schlossgarten wurde so stark verschlechtert, dass die Amphibien dort nicht überlebt haben.

Philine Bujard und Albertus L. Bujard (v.l.) haben die „Bürger für Heidelberg“ ab 1972 mit aufgebaut. Jessica Rink und Ulrich Winter sind Mitglieder im aktuellen Vorstand. Foto: Bechtel
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