Heidelbergs Oberbürgermeister

Beate Weber war der Gegenentwurf zu Reinhold Zundel

1990 wird Weber Oberbürgermeisterin von Heidelberg. Sie verspricht einen neuen Politikstil und "mehr Demokratie". Ein Kuss sorgt für ein politisches Nachspiel.

11.10.2022 UPDATE: 11.10.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden
Der Weber-Kuss bringt dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Raban von der Malsburg einen Misstrauensantrag ein. Foto: Dagmar Welker

Von Steffen Blatt

Heidelberg. Die Liste reicht zurück bis ins Jahr 1805, zu Georg Daniel Mays, der Heidelberg von da an 14 Jahre lang als Stadtoberhaupt regierte. 20 Männer und eine Frau sind ihm seitdem im Amt des Oberbürgermeisters gefolgt – acht von ihnen nach Ende des Zweiten Weltkrieges. In der Serie "Heidelbergs Oberbürgermeister" wirft die RNZ vor der OB-Wahl am 6. November in mehreren Teilen einen Blick zurück auf die Amtsinhaber und Wahlen seit 1945. Heute: 1990.

Am Abend des 21. Oktober 1990 hat Heidelberg ein neues Stadtoberhaupt: Es ist die 46 Jahre alte Beate Weber, die von der SPD aufgestellt worden war. Sie holt 55,5 Prozent der Stimmen und setzt sich so gegen Wolfgang Wagner durch, der 43,3 Prozent erhält. Der ebenfalls 46-jährige Heidelberger Stadtkämmerer ist als unabhängiger Kandidat angetreten, obwohl er Mitglied der SPD ist. Sechs weitere Kandidaten kommen auf Werte von 0,46 bis unter 0,1 Prozent.

Damit ist Heidelberg die erste Großstadt in Baden-Württemberg mit einer Oberbürgermeisterin – und nicht nur in dieser Tatsache manifestiert sich der Bruch mit der Ära Reinhold Zundel, die 24 Jahre angedauert hatte. Webers Vorgänger hatte zum 30. Juni 1990 sein Amt niedergelegt, zwei Jahre vor dem nächsten regulären Wahltermin – offiziell aus gesundheitlichen Gründen, jedoch hatten ihm seit 1984 neue linksliberale Kräfte im Gemeinderat das Leben zunehmend schwer gemacht, politisch und persönlich.

Zundel war während seiner langen Zeit an der Stadtspitze zu einer Art Alleinherrscher geworden und hatte es verstanden, seine Politik mit einem Netz aus Beziehungen und Abhängigkeiten durchzusetzen. Weber positioniert sich deswegen im Wahlkampf bewusst als Gegenentwurf. "Mehr Demokratie" will sie in die Stadt bringen, es soll "keine Maulkörbe" mehr in der Stadtverwaltung geben, die Bezirksbeiräte sollen mehr Rechte bekommen. Sie setzt auf einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Wohnungsneubau. Dass sie neue Perspektiven einbringt, zeigen ihre Forderung nach mehr Kompetenzen für die Frauenbeauftragte und ihr Versprechen, bei der Stadtgestaltung die Interessen von Kindern besser zu berücksichtigen.

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Rein inhaltlich ist sie gar nicht so weit entfernt von ihrem Kontrahenten Wagner, aber Weber setzt konsequent auf einen neuen Politikstil, der sich deutlich von dem der Zundel-Jahre absetzt. Damit schafft sie schon im ersten Wahlgang am 24. September eine "Sensation", wie die RNZ schreibt, als sie 42 Prozent holt und Wagner (33,6) deutlich distanziert. Überraschend landet der CDU-Fraktionsvorsitzende Raban von der Malsburg mit 20,2 Prozent nur auf Platz drei – er tritt bei der zweiten Wahlrunde vier Wochen später nicht mehr an.

Der Wahlkampf verläuft ruhiger als derjenige 1984, der emotional aufgeladen war. Die RNZ lobt, dass es keine "Plakateschlacht bis an die Pforten der Wahllokale" gegeben habe – doch sind die Seiten der Zeitung in den Tagen vor dem entscheidenden Wahlgang voll von großen Anzeigen der beiden Kontrahenten.

Chaotisch wird es bei der Kandidatenvorstellung am 14. September in der Stadthalle. Es kommt zu heftigen Wortgefechten zwischen dem Ersten Bürgermeister Karl Korz, der die Versammlung leitet, und Helmut Palmer, der als unabhängiger Kandidat bei zahlreichen OB-Wahlen in Baden-Württemberg antritt. Als Palmer – der Vater des heutigen Tübinger OBs Boris Palmer – Korz gegenüber beleidigend wird, bricht der die Veranstaltung nach der Vorstellung der Kandidaten und vor der geplanten Diskussion ab. Über 1000 Besucher gehen konsterniert nach Hause.

Legendär wird der Kuss, den von der Malsburg der Siegerin Weber nach dem zweiten Wahlgang bei ihrer Feier im "Zieglerbräu" auf die Wange drückt, als er zu ihrem Erfolg gratuliert. Das Foto wird am 23. Oktober in der RNZ veröffentlicht. Daraufhin fordert Günther Gehring, der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende, von der Malsburgs Rücktritt. In den Tagen danach berichten Fernsehen, Radio, Presseagenturen und Boulevardzeitungen über die Heidelberger Lokalposse. Schließlich nimmt Gehring erst nach einer mehrstündigen Sitzung der Fraktion Abstand von dem Misstrauensantrag – und die CDU spricht ihrem Fraktionschef einstimmig das Vertrauen aus.

Mit Beate Weber ist ab 1990 eine Frau Oberbürgermeisterin, die über große politische Erfahrung verfügt. Sie ist seit 1970 SPD-Mitglied, von 1975 bis 1985 sitzt sie im Heidelberger Gemeinderat. Sie hat unter anderem an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg studiert und in der Stadt bis 1979 als Lehrerin gearbeitet, auch an der Internationalen Gesamtschule (IGH). Dann zieht sie als Abgeordnete ins Europaparlament ein, außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende des SPD-Parteirats.

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