Heidelberg in Corona-Zeiten

Isolation führt zu mehr häuslicher Gewalt

Prof. Kathrin Yen in der Gewaltambulanz registriert höhere Zahlen - Zeitraum zu kurz für genaue Angaben - Schnelle Dokumentation ist wichtig

17.04.2020 UPDATE: 18.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 6 Sekunden
Die Heidelberger Rechtsmedizinerin Prof. Kathrin Yen registriert alljährlich 500 Fälle, die in der von ihr gegründeten Gewaltambulanz untersucht werden. Foto: Rothe

Von Birgit Sommer

Heidelberg. Familien sitzen derzeit auf engstem Raum zusammen, Schulen, Vereine und Grünanlagen sind geschlossen, das soziale Umfeld hat kein wachsames Auge mehr auf den Einzelnen. Experten in Jugendämtern oder bei Frauennotrufen fürchten deshalb eine Zunahme häuslicher Gewalt.

In der Gewaltambulanz des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin am Heidelberger Universitätsklinikum hat deren Leiterin, Prof. Kathrin Yen, tatsächlich in den letzten Wochen einen Anstieg bei der Zahl der Untersuchungen festgestellt. Von "Körperverletzungen und Kindesmisshandlung" berichtet sie auf RNZ-Anfrage.

Eine Interpretation der Daten will sie aber noch nicht vornehmen, der Zeitraum sei zu kurz: "Wir wissen nicht, ob sich tatsächlich mehr Vorfälle ereignen oder ob diese beispielsweise derzeit nur häufiger gemeldet werden." Genaues werde erst die jährliche Kriminalstatistik zeigen.

Die meisten Opfer, die ihr Team seit Beginn der Corona-Krise sah, waren Kinder, oft in jüngerem Alter, sowie Frauen – aber auch Männer berichteten von häuslicher Gewalt. Das Spektrum der körperlichen Verletzungen ist dasselbe wie bei den alljährlich 500 Untersuchungen in der Gewaltambulanz. Sollten die Mediziner auch eine psychische Belastung oder Erkrankung feststellen, so Yen, könnten sie auf Wunsch auch ein Netzwerk von der Psychiatrischen Klinik bis zu spezialisierten Trauma-Beratungsstellen aktivieren.

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Die Gewaltambulanz ist über eine Telefonnummer rund um die Uhr erreichbar. Melden kann man sich dort selbst, auch Ärzte, die Polizei oder Opferhilfeeinrichtungen rufen dort an. Die Kontaktaufnahme über Telefon ist wichtig. Dann können die Mediziner sofort entscheiden, ob eine Untersuchung zum Beispiel noch mitten in der Nacht sinnvoll ist und wo sie erfolgen sollte. Die Gewaltambulanz ist auch mobil unterwegs; sie versorgt den gesamten Bereich Nordbaden.

"Die Sicherung und Dokumentation von Verletzungen und Spuren ist nicht mehr möglich, wenn zu lange gewartet wird", erklärt Prof. Yen. "Das beste Ergebnis wird in den ersten Stunden bis höchstens ein, zwei Tage nach einer Tat erzielt." Danach nähmen die Chancen, etwa DNA-Spuren zu finden, erheblich ab. Beim Nachweis, dass K. O.-Tropfen verabreicht wurden, geht es sogar nur um Stunden.

Viele Betroffene gehen zuerst zu einem niedergelassenen Arzt oder in eine Klinik, die dann oft auf das Angebot der Gewaltambulanz hinweisen. Denn die Beurteilung von Gewalt an Kindern oder nach sexuellen Übergriffen erfordert die spezifischen Fachkenntnisse der Rechtsmediziner. "Auch die Jugendämter stellen immer häufiger Kinder vor", berichtet Kathrin Yen, "das ist ein wichtiger Schritt dazu, dass von Gewalt betroffene Kinder frühzeitig erkannt werden und das Jugendamt Maßnahmen einleiten kann, die weitere Übergriffe verhindern." Auch Eltern sollten sich Rat holen, wenn sie sich von ihren Kindern überfordert fühlten.

Nach der Untersuchung, Dokumentation der Ergebnisse und der Spurensicherung – das alles geschieht kostenlos –, besprechen die Ärzte mit dem Gewaltopfer, ob weitere Untersuchungen benötigt werden, ob etwa bei nachgewiesener Kindesmisshandlung eine Anzeige erfolgen soll oder ob zusätzliche Beratungsangebote vermittelt werden sollen.

Wie sich auch das Opfer entscheidet – die Daten bleiben gesichert, in der Regel ein ganzes Jahr lang, bei Kindern bis zum 19. Lebensjahr. Wer sich erst später zu einer Anzeige gegen den Täter durchringen kann, kann dann immer noch auf die Unterlagen zurückgreifen.

Bei Untersuchungen nach sexualisierter Gewalt, so Yen, seien auf jeden Fall Ärzte der passenden Fachrichtungen dabei und übernähmen die weitere Betreuung. Bei Kinder erfolgt diese über das Jugendamt, Kinderschutzteams in den Kliniken oder das von der schwedischen Königin Silvia gegründete Childhood House unweit der Gewaltambulanz.

Info: Die Telefonnummer der Gewaltambulanz steht auch im Internet und gilt rund um die Uhr: 0152/5464-8393

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