Eberbach

Coronakrise führt bisher zu keiner gemeldeten Zunahme von Häuslicher Gewalt

Allerdings gibt es die Befürchtung: Je länger die Bewegungseinschränkungen durch die Krise dauern, desto mehr Gewalt könnte es geben. Die Hemmschwelle für eine Strafanzeige ist auch schon in "normalen Zeiten" bei den Opfern groß.

08.04.2020 UPDATE: 09.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden
Oft reicht eine Kleinigkeit, bis es zu zur Gewalt kommt. Foto: pa

Von Peter Bayer

Eberbach. Räumliche Enge fördert Aggressionen, es gibt keine Rückzugsmöglichkeiten – viele fürchten, dass es im Zusammenspiel von Corona-Krise und Osterfeiertage vermehrt zu Fällen häuslicher Gewalt kommen kann. Familienanwältin Karin Koch kann das für Eberbach noch nicht bestätigen, wo die Zahl der Fälle relativ überschaubar sei. "Wenn es länger andauert, kann ich mir aber schon vorstellen, dass es mehr häusliche Gewalt gibt", will sie eine solche Entwicklung auch hier nicht ausschließen.

Telefonate mit den "helfenden Einrichtungen" im Kreis hätten ihr bestätigt, dass die Zahlen steigen, weil bei manchen Menschen die plötzliche Nähe und Unausweichlichkeit auf beschränktem Raum schon bei keinem oder geringstem Anlass in körperliche Gewalt mündet. Auslöser könne zum Beispiel schon ein misslungenes Essen sein, das der Partner auf den Tisch gestellt bekommt. Oder eine an sich banale Frage, die dem Partner oder der Partnerin in dem Moment gerade nicht passt.

Familienanwältin Karin Koch. Foto: Bayer

Doch häusliche Gewalt entstehe nicht aus einer Situation heraus, wie etwa bei einer Kneipenschlägerei. Sie hätte einen "Vorlauf", so Koch, sei vielmehr Ausdruck eines andauernden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täter bzw. Täterin und Opfer und unterliege einer Eigendynamik. Sind es am Anfang noch verbale Beschimpfungen, schaukelt es sich hoch. Die Abstände zwischen den einzelnen Gewaltausbrüchen würde eventuell kürzer würden und die Schwere der Gewalt nehme zu.

Hintergrund

Häusliche Gewalt umfasst alle Formen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt zwischen Personen, die zusammen leben. Dazu gehören Demütigungen, Beleidigungen, Einschüchterungen, Erpressung, Mobbing und Freiheitsberaubung. Der Ort des Geschehens kann in der Wohnung

[+] Lesen Sie mehr

Häusliche Gewalt umfasst alle Formen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt zwischen Personen, die zusammen leben. Dazu gehören Demütigungen, Beleidigungen, Einschüchterungen, Erpressung, Mobbing und Freiheitsberaubung. Der Ort des Geschehens kann in der Wohnung liegen oder außerhalb, wie zum Beispiel auf der Straße, im Geschäft, auf dem Spielplatz oder der Arbeitsstelle.

Fast alle Formen häuslicher Gewalt stellen Handlungen dar, die gesetzlich unter Strafe stehen. Häusliche Gewalt ist daher keine Privatsache.

[-] Weniger anzeigen

Das gilt sowohl bei psychischer Gewalt als auch bei körperlicher Gewalt über Ohrfeigen oder nicht sichtbare Verletzungen eben bis hin zu nicht mehr übersehbaren und Vergewaltigungen. Blutergüsse oder andere sichtbare Spuren von Gewalt seien dann oft auf den berühmten "Sturz auf der Kellertreppe" zurückzuführen, werde das Opfer darauf angesprochen. "Es muss schon viel passieren, bis jemand zur Polizei oder zum Anwalt geht", weiß Koch aus Erfahrung. Gewalt in der Beziehung werde unter den Tisch gekehrt, sagt die Anwältin, entsprechend hoch sei die Dunkelziffer. Die Betroffenen seien traumatisiert, würden sich schämen. Bei geschlagenen Männern sei die Scham noch viel größer, würden sie doch "als Witzfigur dastehen", die sich von der Frau schlagen lasse.

Auch interessant
Gewalt gegen Frauen: UN-Generalsekretär: "Schreckliche Zunahme" häuslicher Gewalt
Familienministerin: Giffey: Mehr häusliche Gewalt vor allem in Städten
Häusliche Gewalt und Jugendhilfe: Über die veränderte Arbeitsweise am Landratsamt in Zeiten von Corona
Heidelberg/Rhein-Neckar: Noch keine Zunahme häuslicher Gewalt (Update)

Ursachen für häusliche Gewalt sieht Koch in nicht intakten Beziehungen, Trennungen oder Trennungsabsichten eines Partners. Beim Gewalt ausübenden sei sicher ein gewisser Grad Gewaltbereitschaft oder ein "Bestimmen wollen" vorhanden. Letzterem könne zum Beispiel zuwider laufen, wenn die nicht berufstätige Ehefrau oder Mutter sich in der Freizeit des Mannes eine Nebentätigkeit suche und ihrem Partner damit nicht wie gewünscht zur Verfügung stehe.

Oft stellt sich die Frage "Warum hat man sich das alles bieten lassen?". Das kann der Wunsch nach einer heilen Familie sein, durch den man viel hinnehme, bis es dann eben "kracht". Oder auch die Angst vor den finanziellen Folgen. Oft rutsche der Partner in die Sozialhilfe ab. Zum Teil hindert aber auch das gegebene Eheversprechen, "in guten wie in schlechten Zeiten" zusammenzuhalten.

Doch wann sollte man sich um professionelle Hilfe bemühen? Spätestens, wenn man die physische oder psychische Gewalt nicht mehr ertragen kann", sagt Koch. Öffentliche Beratungshilfen gebe es nicht in ausreichender Zahl, bedauert sie. Mit dem Gang zu einem Anwalt sei das Opfer gut beraten, der könne die nötigen Schritte zur Hilfe in dieser Situation besser abwägen. Unter dem kostenlosen Hilfetelefon 08000 / 116 016 von "Gewalt gegen Frauen" erhalten die Betroffenen neben psychisch-sozialer Unterstützung auch die Ermutigung, Schritte zu unternehmen. Wichtig wäre, dass die Opfer – und das können auch Männer sein – ihre Verletzungen wenigstens mit einem Selfie, am besten aber durch einen ärztliche Bescheinigung dokumentieren lassen. Die Hemmschwelle dazu sei leider sehr groß.

"Wir konnten bislang keine Corona bedingte Zunahme häuslicher Gewalt über das normale Maß hinaus feststellen", sagt Norbert Schätzle, kommissarischer Leiter der Pressestelle im Polizeipräsidium Mannheim. Es gibt keine Ausgangssperre, sondern nur eine -beschränkung, weshalb er an den Feiertagen nicht mit einem "Lagerkoller" rechnet. "Die Leute werden bei dem schönen Wetter nicht drinsitzen", ist er überzeugt. Das Augenmerk des Polizeipräsidiums richte sich in den kommenden Feiertagen eher darauf, dass die Leute sich an die Auflagen halten und soziale Kontakte meiden.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.