Häusliche Gewalt und Jugendhilfe

Über die veränderte Arbeitsweise am Landratsamt in Zeiten von Corona

Renate Körber, Fachbereichsleitung Soziales im Landratsamt, im Interview

02.04.2020 UPDATE: 03.04.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 10 Sekunden
Einen Anstieg häuslicher Gewalt verzeichnet man im Landkreis nicht. „Wir hoffen, dass wir von einem signifikanten Anstieg verschont bleiben und insbesondere keine Kinder ernsthaft zu Schaden kommen“, sagt Renate Körber. Symbolfoto: dpa

Von Stephanie Kern

Neckar-Odenwald-Kreis. Experten erwarten in der Coronakrise einen Anstieg häuslicher Gewalt, andere prangern an, dass der Kinderschutz in Deutschland massiv vernachlässigt werde. Das alles zeigt: Auch der Fachbereich Soziales des Landratsamtes muss durch das Coronavirus seine Arbeit umstellen – ohne dabei den Kontakt zu den Menschen zu verlieren. Im RNZ-Interview erklärt Fachbereichsleiterin Renate Körber, wie die Abteilung aktuell arbeitet.

Das Coronavirus überlagert im Moment alles. Und es verändert unser Leben. Wie wirkt sich das auf ihre Klienten in allen Bereichen aus und werden sie auch weiterhin betreut?

Insgesamt wirkt sich Corona in allen Familien und besonders in Familien mit Kindern aus. Eltern und Kinder sind einer völlig neuen Situation ausgesetzt. Keine Kita, keine Schule, keine Kontakte, nicht einmal zu den Großeltern. Es entsteht durch diese Sondersituation sicherlich in vielen Fällen eine eigene Dynamik. Diese kann sich in vielerlei Hinsicht auswirken. Sowohl positiv, indem Kernfamilien näher zusammenrücken, aber auch negativ, indem Konflikte aufbrechen.

Die von der Jugendhilfe des Landratsamtes betreuten Familien und Kinder kommen oft aus belasteten Lebensumständen. Diese schwierige Grundsituation verstärkt sich nun leider in einigen Fällen, da Unterstützungsangebote wegfallen oder nur eingeschränkt möglich sind. Enge Wohnsituationen, ungeklärte Familienkonflikte und auch die zeitliche Ungewissheit können hier zu einer unguten Gemengelage führen. Hinzu kommt, dass durch geschlossene Kitas und Schulen unerlässliche Kontrollinstanzen wegfallen.

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Wie schützen sich Ihre Mitarbeiter? Wie halten sie Kontakt?

Unsere Fachkräfte bleiben trotz der eingeschränkten Möglichkeiten weiterhin am Ball. Es wird hierbei verstärkt auf Telefonanrufe und soziale Medien gesetzt, um einen möglichst engen Kontakt zu halten. In besonders schwierig gelagerten Fällen kann all dies jedoch nicht die Inaugenscheinnahme vor Ort ersetzen. Es geht auch gerade jetzt darum, möglichst viele Kontakte in die Familien zu haben, um so ein Bild zu gewinnen und mögliche Gefahren für das Kindeswohl zu erkennen. Gerade deshalb ist der Einsatz unserer Fachkräfte vor Ort besonders wertvoll, um Familien in besonderen Konstellationen zur Seite zu stehen. Sei es in einem Gespräch zwischen Tür und Angel, bei einem gemeinsamen Spaziergang mit einzelnen Familienmitgliedern oder über den Gartenzaun hinweg. Hierbei achten unsere Fachkräfte zum eigenen Schutz darauf, alle Regeln zur Infektionsvermeidung einzuhalten.

Es gibt eine Initiative von Wissenschaftlern, die anprangert, dass der Kinderschutz in Deutschland derzeit dramatisch vernachlässigt werde. Sie prangern an, dass Hilfen zurückgefahren, Verbindungen gekappt, die gefährdeten Kinder aus dem Sichtfeld geraten würden. Was haben Sie dem entgegenzusetzen?

In Zeiten von Kontaktverboten ist es in der Tat besonders schwierig, Kontakte zu halten und zu pflegen. Deshalb versuchen wir auch alle Kanäle zu nutzen, die zur Verfügung stehen, um trotzdem engmaschig an den Familien dranzubleiben. Dies haben wir auch mit den Beratungsstellen, den Schulbegleitern und den Familienhelfern so kommuniziert. Die Familien nehmen das Angebot übrigens gut und dankbar an.

Seit zwei Wochen sind Schulen und Kindergärten geschlossen. Für alle Familien herausfordernd. Was bedeutet es aber für Kinder, die in einem konfliktreicheren Familienumfeld aufwachsen?

Diese Familien trifft die sich zuspitzende wirtschaftliche Lage besonders. Hier entstehen im Zeitraffertempo zusätzliche existenzielle Ängste, bis dahin, dass die Familien in die Zahlungsunfähigkeit rutschen. Auch hier haben wir einen Beratungsauftrag, um so möglichst viel Ruhe und Gelassenheit in den Familien zu erreichen. Ein weiteres Problem ist oft die räumliche Enge. Gerade deshalb motivieren wir Familien, mit ihren Kindern auch mal einen gemeinsamen Spaziergang zu machen.

Wie werden diese Kinder aufgefangen, welche Strategien gibt es?

Mit den bereits genannten Instrumenten. Es gibt zwar weniger Unterstützung als sonst, aber immer noch ein stützendes Netzwerk zum Schutz der Kinder. Klar ist aber auch, dass die aktuell geltenden Rahmenbedingungen den Kinderschutz massiv einschränken.

Wie verfahren Sie aktuell bei den Inobhutnahmen?

Es gibt einige Einrichtungen, die den Entschluss gefasst haben, aktuell Kinder in Not nicht aufzunehmen, um andere Kinder und die Mitarbeiterschaft zu schützen. Aber es gibt auch Einrichtungen und Bereitschaftspflegestellen, die weiterhin bereit sind, Kinder aufzunehmen. Trotz der ungewöhnlichen Lage ist es natürlich jederzeit geboten, Kinder zu schützen, zur Not auch durch Herausnahme aus der Familie. Wir hoffen, dass die Kapazitäten hierzu immer ausreichen werden.

Gibt es schon Pläne für die Zeit nach den Schließungen bzw. Kontaktsperren, sind hier vermehrte Besuche etc. geplant?

Ein sehr großes Problemfeld in der Arbeit der Jugendämter sind die Umgänge zwischen Kindern und nicht mit ihnen lebenden Elternteilen. Der Umgang mit dieser Problematik ist bereits zu normalen Zeiten sehr schwierig. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie lösen hier nun eine deutliche Verschärfung der Lage aus. Es gibt Elternteile, die Kinder nicht herausgeben wollen, und Elternteile, die nicht bereit sind, auf den Umgang mit ihrem Kind zu verzichten. Hier würden wir uns deutlich mehr Gelassenheit wünschen, denn am Ende streiten sich in diesen Fällen häufig die Erwachsenen und die Kinder kommen dadurch in große Loyalitätskonflikte, die vermeidbar wären.

Da niemand einschätzen kann, wie lange die Zeit der Verunsicherung anhalten wird, wagen wir keine Prognose, was nach der Aufhebung der Einschränkungen passieren wird. Wir werden jedoch versuchen, die dann sich stellenden Aufgaben mit Augenmaß zu klären.

Wie steht es um das Frauenhaus?

Unser Frauenhaus ist auch weiterhin geöffnet. Es geht hier um die grundsätzliche Haltung, Menschen in sehr prekären Lagen zu helfen, auch wenn es schwieriger geworden ist. Wir erleben, dass die Beratungsanfragen zwar mit den Schul- und Kindergartenschließungen kontinuierlich zugenommen haben. Deshalb kam es aber nicht zu vermehrten Aufnahmen, sodass wir momentan noch freie Kapazitäten haben. Unsere Mitarbeiterinnen im Frauenhaus schützen sich natürlich entsprechend.

Schwieriger ist es, wenn sich Opfer in einer angeordneten oder freiwilligen Isolierung befinden. Diese Personen können nicht im Frauenhaus aufgenommen werden. Hier ist der Platzverweis für die Täter derzeit die einzige Lösung.

Können Sie schon Aussagen über die Häufigkeit häuslicher Gewalt treffen, kam es da schon zu einem Anstieg?

Bisher gibt es keinen Anstieg dieser Fälle. Wir hoffen, dass wir von einem signifikanten Anstieg verschont bleiben und insbesondere keine Kinder ernsthaft zu Schaden kommen. An dieser Stelle möchten wir unseren Fachkräften und allen in der Familien- und Jugendhilfe tätigen Einrichtungen großen Dank aussprechen, die unter schwierigen Bedingungen eine wirklich tolle Arbeit leisten.

Für viele Menschen ist es wichtig, dass auch das Jobcenter seine Arbeit machen kann, die Mitarbeiter einsatzbereit sind, denn sie sind auf Zahlungen angewiesen. Wie sieht es hier aus?

Im Jobcenter und in den anderen Bereichen, in denen Sozialleistungen ausgezahlt werden, haben wir Vorkehrungen getroffen, dass die Zahlungen auch weiterhin regelmäßig fließen können. Insbesondere wurde durch die Organisation eines Schichtbetriebs dafür Sorge getragen, dass selbst bei einem Krankheitsfall ein Teil der Mitarbeiter in der Abteilung einsatzbereit ist.

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