Wie Pendler unter der Unzuverlässigkeit der Bahn leiden
Baustellen, Krankheitswellen und Fachkräftemangel bremsen die Züge aus. Einige sprechen von der schlimmsten Situation seit 24 Jahren.

Von Joshua Sprenger
Heidelberg. Für Christoph Klatt beginnt die tägliche Lotterie um 5.45 Uhr. Der erste Blick geht aufs Handy, in die "Navigator"-App der Deutschen Bahn: Fällt der Zug schon wieder aus? Welche Alternativen gibt es? Klatt arbeitet als Leiter der Data-Science-Abteilung bei Freudenberg in Weinheim.
Seit 1999 pendelt er täglich von Schlierbach zur Arbeit. "Ich bin großer Fan des öffentlichen Nahverkehrs. Autofahren ist für mich verlorene Zeit", sagt Klatt. "Jetzt ist das Maß aber voll. Das ist die schlimmste Situation seit 24 Jahren."
Für Klatt fangen die Probleme beim Rhein-Neckar-Ticket an. Gegen einen Aufpreis kann er neben dem Nahverkehr zusätzlich den IC nutzen. "Viele Pendler brauchen für den Arbeitsweg auch Fernzüge", sagt Klatt, der auch Vorsitzender des Stadtteilvereins in Schlierbach ist. "Das ist ein ganzheitliches Bedürfnis an den Schienenverkehr."
In den vergangenen Wochen ersetzt die Bahn den IC öfters durch ICE, der seltener hält. "Ich bin auf die Verbindung um kurz vor 8 angewiesen. Kommt ein ICE, kann ich diese Verbindung nicht nutzen", so Klatt. Bis Ende März habe die DB den ICE gänzlich gestrichen – Ersatzverkehr Fehlanzeige.
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Alternativmöglichkeiten, wie Regional- oder S-Bahnen, fallen zurzeit oftmals zusätzlich aus. "Termine im Geschäft kann ich nicht verlässlich wahrnehmen. Ich frage mich, ob die auf dem Schirm haben, was das für die Pendler bedeutet."
Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin der Deutschen Bahn, dass aktuelle Modernisierungsarbeiten an der Infrastruktur der Grund für den Ausfall der ICE-Verbindung sind. "Auch wenn Strecken abschnittsweise nicht unmittelbar von Bauarbeiten betroffen sind, haben Vielzahl und Umfang der Baustellen im Netz Auswirkungen auf die dort fahrenden Verkehre."
Die Bahn möchte aber dafür sorgen, dass ein größtmögliches Angebot aufrechterhalten wird, so die Sprecherin. In Bezug auf den vermehrten Einsatz von ICEs erklärt die Sprecherin, dass dieser Zug lediglich aufgrund "baustellenbedingter Fahrplananpassungen" als IC fuhr. "Bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2022 wurde wieder regulär ein ICE-Fahrzeug eingesetzt."
Im Regional- und S-Bahnverkehr fallen durch hohe Krankheitsausfälle und den Fachkräftemangel viele Verbindungen aus. "Von Grippe- und Erkältungswellen sind in den letzten Monaten alle in Baden-Württemberg tätigen Verkehrsunternehmen betroffen. Leider steht nicht immer genügend Reservepersonal zur Verfügung", erklärt das Verkehrsministerium Baden-Württemberg.
Die Absprache zwischen Fern- und Nahverkehrsunternehmen bei Zugausfällen ist schwierig. Laut Verkehrsministerium haben Ersatzverbindungen und die Benachrichtigung der Fahrgäste Priorität. "Da der Fernverkehr jedoch in der Regel nicht in einem Vertragsverhältnis mit dem Land steht, besteht keine direkte Einflussmöglichkeit."